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02.06.2023 |

Keine Grüne Revolution für Afrika: Studie belegt Scheitern von AGRA

Ghana
Bäuerin in Ghana (Foto: CC0)

Die Agrarinitiative „Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika“ (AGRA) hat nicht nur ihre Ziele verfehlt, sondern ihre Maßnahmen haben auch negative Folgen für die Menschen und die Umwelt in den Projektländern. Obwohl zivilgesellschaftliche Organisationen schon lange vor den negativen Auswirkungen des von AGRA verfolgten Entwicklungsansatzes warnen, förderte die Bundesregierung die Allianz weiter mit mehreren Millionen Euro. Das zeigt ein am 1. Juni von Brot für die Welt, FIAN Deutschland, Forum Umwelt und Entwicklung, INKOTA-netzwerk und der Rosa-Luxemburg-Stiftung herausgegebener Bericht. Mit mehr als zwei Jahren Verzug hatten das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) Ende 2022 eine Zwischenevaluierung der von ihnen finanzierten AGRA-Projekte in Burkina Faso und Ghana veröffentlicht. Dieses Dokument werteten die Organisationen nun aus. AGRA wurde 2006 von der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung und der Rockefeller-Stiftung geschaffen. Mit kommerziellem Hochertragssaatgut, Pestiziden und synthetischen Düngemitteln sollten die Einkommen von Millionen kleinbäuerlicher Haushalte verdoppelt und sie von Hunger und Armut befreit werden. Doch stattdessen werden die Bauern durch AGRA in teure Abhängigkeiten von externen Inputs gebracht, bemängeln die Organisationen.

Die Zwischenevaluierung wurde für die AGRA-Projekte in Burkina Faso und Ghana von MDF West Africa, einer Consulting-Agentur in Ghana, durchgeführt. Sie befasst sich mit der ersten Projektphase 2017-2022, in der das BMZ und die KfW in Burkina Faso und Ghana insgesamt vier AGRA-Projekte mit circa 10 Millionen Euro unterstützen. In den Projekten wurde der Einsatz von teuren industriellen Betriebsmitteln, wie synthetischem Dünger, Pestiziden und industriellem Saatgut gefördert. „Ohne die kontinuierliche externe Weiterfinanzierung dieser Substanzen können sich die Bäuerinnen und Bauern diese nach der Beendigung der Projekte nicht mehr leisten“, sagt Jan Urhahn, Agrarexperte der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Denn das von AGRA aufgebaute System des Zugangs zu und der Verteilung von externen industriellen Betriebsmitteln durch Berater*innen auf Dorfebene (village-based advisors - VBAs) ist nach Projektende massiv gefährdet. „AGRA hat mit dem Einsatz von VBAs ein Abhängigkeitssystem aufgebaut, das damit beginnt, dass sich VBAs auf die Versorgung mit externen industriellen Betriebsmitteln durch das Projekt verlassen. AGRA-Projekte begünstigen damit, dass Bäuerinnen und Bauern nicht nur in Abhängigkeit zu den von Projektseite empfohlenen Betriebsmitteln, sondern auch in eine Abhängigkeit zu den Unternehmen gebracht werden, die diese Betriebsmittel herstellen und vertreiben“, schreiben die NGOs in ihrer Bewertung. Bricht die Versorgung durch AGRA und deren Finanziers weg, gelangen die Bäuer*innen nicht mehr an die Betriebsmittel, von denen sie im Rahmen der Projekte abhängig gemacht wurden. „Dies widerspricht der Behauptung von AGRA, kleinbäuerliche Landwirtschaft könne zu einem erfolgreichen ‚Business‘ gemacht werden, das sich von selbst trägt“, sagt Urhahn. Auch angesichts der infolge der COVID-19-Pandemie und des Angriffskriegs auf die Ukraine seit zwei Jahren stark gestiegenen Preise für industrielle Betriebsmittel sei der AGRA-Ansatz wenig ökonomisch nachhaltig.

Schon frühere, AGRA-eigene Evaluierungen hatten zudem das Problem der Überschuldung durch Kreditaufnahme für die von AGRA beworbenen externen industriellen Betriebsmittel belegt. Auch die Zwischenevaluierung stellt fest, dass die Überschuldung von Bäuer*innen ein weit verbreitetes Phänomen gerade in Ghana ist. Dort sollen 41% der Reisbäuer*innen sowie 33% der Cassavabäuer*innen große Probleme haben, ihre Kredite zurückzuzahlen. MDF stellt diese Überschuldung jedoch als allgemeines Problem ohne Bezug zu AGRA dar. Außerdem wurde bei der Befragung der überschaubaren Anzahl an Bäuer*innen gar nicht nach einem möglichen Zusammenhang zwischen AGRA-Projekten und der Überschuldung gefragt, wundern sich die NGOs. Den Landwirt*innen wird zudem in Schulungen die Verwendung des an die Marktnachfrage angepassten Saatguts und synthetischer Düngemittel nahegelegt, während organischer Dünger oder lokal angepasste traditionelle Saatgutsorten keine Rolle spielen. Somit wird ihre Wahlfreiheit stark eingeschränkt. Die Evaluation hebt als positiv hervor, dass Saatgutunternehmen durch die Projekte in Gebiete vordringen konnten, in denen sie zuvor nicht tätig waren. „Davon profitieren einseitig Saatgut- und andere Betriebsmittelkonzerne, weil neue Absatzmärkte für ihre Produkte geschaffen werden“, kritisieren die NGOs. Das wird flankiert durch Lobbyarbeit von AGRA in den Projektländern, mit dem Ziel, nationale Gesetze oder Rahmenwerke für die Zulassung und Vermarktung von synthetischen Düngemitteln und industriellem Saatgut zu vereinfachen. Die Möglichkeit der Bäuer*innen, lokales Saatgut zu vermehren und ohne Kosten wiederzuverwenden, wird zunehmend eingeschränkt.

„Obwohl die wirtschaftliche Ausbeutung von Kindern eine nicht akzeptable Menschenrechtsverletzung ist, wurde sie bei der Evaluierung in den AGRA-Projekten festgestellt. Das ist nicht hinnehmbar“, sagt Roman Herre, Agrarreferent bei FIAN Deutschland. Beispielsweise wurde berichtet, dass junge Kinder mit aufs Feld gebracht wurden, um fehlende Arbeitskräfte zu ersetzen. Oft schälten Kleinkinder Cassava für die Weiterverarbeitung zu Stärke und „diese Praxis erschien recht systematisch und nicht zufällig“, heißt es in der Evaluation. „Vor allem vor dem Hintergrund, dass sich das BMZ für die Beendigung von Kinderarbeit und die Verwirklichung entsprechender UN-Konventionen einsetzt. Dieser Umstand muss umgehend angegangen werden“, fordert Herre. Die Organisationen kritisieren, dass die Berücksichtigung und Umsetzung zentraler Menschenrechte – wie das Recht auf Nahrung oder der Schutz von Kindern vor wirtschaftlicher Ausbeutung – in der Evaluation nicht systematisch überprüft wird. Auch das für die KfW verbindliche Menschenrechtskonzept des BMZ wird nicht einbezogen. „Während die Zwischenevaluierung an einigen Stellen versichert, dass die Projekte keine wesentlichen sozialen Verwerfungen hervorriefen, werden gleichzeitig an anderen Stellen Fälle von absichtlicher und systematischer Kinderarbeit bestätigt“, heißt es in der Auswertung. MDF schreibt: „AGRA hofft, dass mit steigenden landwirtschaftlichen Einkommen solche Praktiken verschwinden und die Kinder stattdessen zur Schule gehen werden. Wir kommen zu dem Schluss, dass die Projektträger zwar keine Schuld an einigen unglücklichen Gegebenheiten in den Projektgebieten tragen, dass aber auch keine großen Anstrengungen unternommen wurden, um diese zu beheben.“

Die Evaluierung zeigt zudem, dass Bäuer*innen aus Burkina Faso Umweltschäden durch den Einsatz von Pestiziden in AGRA-Projekten feststellen. „Die Umweltschäden werden in der Tat immer sichtbarer. Die Landwirte nennen Bodenerosion, die Verschlechterung der Bodenfruchtbarkeit, die Notwendigkeit, immer mehr Düngemittel zu verwenden, um produktiv zu sein, sowie das Verschwinden von bisher verbreiteten Insekten und Bodenwürmern und das vermehrte Auftreten von Superunkräutern. Als mögliche Ursachen nannten die Landwirte den Raubbau am Boden und den Einsatz falscher Herbizide und Pestizide“, schreibt MDF. In AGRA-Projekten in Ghana kommen zudem in der EU verbotene Pestizide, wie die Wirkstoffe Propanil und Permethrin unrechtmäßig zum Einsatz. Dies verstößt gegen den „Referenzrahmen für Entwicklungspartnerschaften im Agrar- und Ernährungssektor“ des BMZ und gegen die Sozial- und Umweltstandards der Weltbank, betonen die NGOs. Beide Standards sind für den Einsatz in KfW-Projekten, die von der Bundesregierung finanziert werden, verpflichtend. Zwar lobt die Zwischenevaluierung, dass es durch AGRA-Interventionen zu einer Steigerung von Erträgen und Einkommen und zu einer Verbesserung der Ernährungssicherheit gekommen sei. Dafür fehlen jedoch wissenschaftlich fundierte Daten, was unter anderem auf fehlende Basisdatenerhebungen vor dem Beginn der Projekte, oder auf kleine, nicht repräsentative Erhebungen und die kurze Zeitspanne der Evaluierung zurückzuführen ist. Selbst die Evaluierung kommt an einer Stelle zu dem Ergebnis, dass die „Daten nicht zuverlässig und nützlich“ seien.

Die NGOs melden sich nicht zum ersten Mal zu Wort. Die Ergebnisse der Studie „Falsche Versprechen“ aus dem Jahr 2020 sowie die Analyse der AGRA-eigenen Evaluierungen aus dem Jahr 2021 (Weltagrarbericht berichtete zu beidem) haben bereits dargestellt, dass die AGRA-Ziele in den 13 AGRA-Schwerpunktländern, zu denen Burkina Faso und Ghana gehören, nicht erreicht wurden. Ursprünglich sollten die Ergebnisse der Zwischenevaluierung zur ersten Projektphase als Basis für die Entscheidung dienen, ob das BMZ in einer zweiten Projektphase AGRA weiter finanziert. Doch bereits im Jahr 2020 stellte das BMZ weitere 15 Millionen Euro für die Jahre 2022 bis 2025 bereit, vor allem für Projekte in Burkina Faso und Nigeria. „Die Entscheidung des BMZ, AGRA weiterhin zu fördern und die Fördersumme anzuheben, wurde ohne eine empirisch belastbare Grundlage und trotz substanzieller und fundierter Kritik seitens der Zivilgesellschaft getroffen“, kritisieren die NGOs. Zwar hatte Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze bereits im Frühjahr 2022 angekündigt, die AGRA-Kooperation der Bundesregierung infrage zu stellen, aber konsequent wäre es, die Förderung von AGRA vorzeitig einzustellen, fordern die Organisation. „Mit den Ergebnissen der eigenen Evaluierung bleibt als einzig logische Konsequenz der direkte Ausstieg aus AGRA“, fordert Silke Bollmohr, Landwirtschaftsexpertin beim INKOTA-netzwerk. Statt der Weiterfinanzierung von AGRA solle das BMZ das Recht auf Nahrung und die Agrarökologie zum Kompass deutscher Entwicklungspolitik machen und alle Projekte mit klaren Maßnahmen und messbaren Zielen unterlegen. (ab)

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