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08.02.2021 |

UN: Artenschutz erfordert weniger Fleisch, nachhaltigere Landwirtschaft

GEmuese
Mehr Gemüse auf den Teller! (Foto: CC0)

Die Artenvielfalt schwindet schneller als je zuvor. Hauptursache ist die Art und Weise, wie die Menschheit sich ernährt und Lebensmittel produziert. Daher muss sich auf den Äckern und den Tellern schleunigst etwas ändern, mahnt ein Bericht der britischen Denkfabrik Chatham House, der vom UN-Umweltprogramm UNEP und der Tierschutzorganisation Compassion in World Farming unterstützt wird. Das am 3. Februar veröffentlichte Forschungspapier betont, dass es dringend einer Reform des Ernährungssystems bedarf, um den Verlust von Tier- und Pflanzenarten zu bremsen und die Zerstörung von Ökosystemen und Lebensräumen aufzuhalten. Die Autor*innen empfehlen drei miteinander verknüpfte Maßnahmen, um diese Transformation des Lebensmittelsystems voranzubringen: „Wir müssen die weltweiten Ernährungsgewohnheiten ändern, Land schützen und für die Natur zur Verfügung stellen und eine Landwirtschaft betreiben, die sich mehr im Einklang mit der Natur befindet und die Biodiversität fördert“, sagt Susan Gardner, Direktorin der UNEP-Abteilung für Ökosysteme. Die Ergebnisse der Studie wurden im Rahmen einer Online-Veranstaltung vorgestellt.

Das Artensterben beschleunigt sich weltweit, warnt der Bericht. Die Rate, mit der Tiere und Pflanzen schwinden, ist heute höher als im Schnitt der letzten 10 Millionen Jahre. Etwa ein Viertel der meisten Tier- und Pflanzenarten ist bereits vom Aussterben bedroht und etwa einer Million weiterer Arten droht dies innerhalb der nächsten Jahrzehnte. Das globale Ernährungssystem trage die Hauptschuld: Allein die Landwirtschaft gefährde 24.000 der 28.000 vom Aussterben bedrohten Arten. In den letzten 50 Jahren war die Umwandlung natürlicher Ökosysteme für den Ackerbau oder für die Nutzung als Weideflächen Hauptursache für den Verlust von Lebensräumen. „Die größte Gefahr für die Artenvielfalt entstehen durch die Nutzbarmachung von Land – die Umwandlung natürlicher Lebensräume für die Landwirtschaft und die intensive Bewirtschaftung von Land – angetrieben durch die ökonomische Nachfrage nach immer kalorienreicheren, aber nährstoffarmen Nahrungsmitteln, die aus immer weniger im großen Stil angebauten Rohstoffen produziert werden“, sagt Hauptautor Professor Tim Benton, Forschungsdirektor bei Chatham House. „Diese Rohstoffe sind die Basis eines verschwenderischen Lebensmittelsystems, das uns nicht ernährt, die Biodiversität gefährdet und den Klimawandel anheizt.“ Das Lebensmittelsystem ist laut der Studie für etwa 30% der gesamten vom Menschen verursachten Emissionen verantwortlich. Problematisch sei auch, dass die derzeitige Agrarproduktion stark von externen Inputs wie Dünger, Pestiziden, Energie und Wasser abhängig sei sowie von nicht nachhaltigen Praktiken wie Monokulturen und starker Bodenbearbeitung.

Die Reform unseres Ernährungssystems sei daher unerlässlich, um das Artensterben aufzuhalten. Der Bericht nennt drei Hebel, an denen wir drehen können. Erstens müsse sich unsere Ernährungsweise ändern und zwar weg vom Fleisch hin zu einer stärker pflanzlichen Ernährung, da sich die Tierhaltung, so wie sie aktuell betrieben wird, negativ auf die Artenvielfalt, die Landnutzung und die Umwelt auswirkt. „Solch eine Umstellung würde sich auch positiv auf die Gesundheit der Menschen rund um den Globus auswirken und das Risiko von Pandemien verringern. Zudem müsse die globale Verschwendung von Lebensmitteln enorm verringert werden. Kombiniert würden diese Maßnahmen den Druck auf die Ressourcen, einschließlich Land, durch die Reduzierung der Nachfrage verringern“, schreiben die Autoren. Zweitens müsse Land besser geschützt und für die Natur reserviert werden. Am meisten profitiere die Artenvielfalt, wenn wir ganze Ökosysteme erhalten oder wiederherstellen. Deshalb muss die Umwandlung von Land für die Landwirtschaft vermieden werden. Eine Umstellung der Ernährungsgewohnheiten sei notwendig, um Ökosysteme zu schützen oder wiederherzustellen. „Land könnte durch die Umstellung auf eine weniger ressourcenintensive Ernährung tatsächlich eingespart werden“, erklären die Autor*innen. „Somit erfordert die Einsparung von Land nicht immer eine Intensivierung der landwirtschaftlichen Flächen andernorts, um dies zu kompensieren.“

Der dritte Hebel für die Transformation des Ernährungssystems sei der Übergang zu Formen der Lebensmittelproduktion, die Biodiversität fördern, mit weniger Input auskommen und Monokulturen durch Anbaumethoden mit mehreren Kulturen ersetzen. Der Bericht skizziert drei Wege dorthin: Effizienzsteigerung, Ersatz künstlicher Prozesse durch ökologische und Neugestaltung des Systems. Hier gehe es darum zu gewährleisten, dass genügend Nahrung produziert werde, während zugleich die Umweltbelastung verringert werde. Die Autor*innen räumen ein, dass das Konzept der „nachhaltigen Intensivierung“ umstritten sei und oft verwendet werde, um Praktiken zu beschreiben, die alles andere als nachhaltig seien. Eher in Richtung der eingeforderten Reform gehen die Vorschläge, die unter den dritten Weg fallen – der Umstieg auf Produktionsweisen, die Land und andere natürliche Ressourcen grundlegend anders nutzen, wie regenerative Anbaumethoden, der Ökolandbau, Agroforstwirtschaft oder extensive Nutztierhaltungssysteme. „Viele agrarökologische und regenerative Anbausysteme, wie der Ökolandbau, sind von Natur aus vielfältiger und setzen auf Mischkulturen und Fruchtfolgen“, heißt es im Bericht. „Im Allgemeinen bedeutet die Beziehung zwischen Ertrag und Biodiversität, dass solche Systeme tendenziell ertragsärmer sind als die intensive Landwirtschaft.“ Daher führe auch hier kein Weg daran vorbei, dass der Fleischkonsum reduziert werden muss und der Lebensmittelverschwendung Einhalt geboten werden müsse.

Die drei Hebel greifen also ineinander und ohne eine Ernährungsumstellung gehe es nicht. Je schneller und entschlossener diese angegangen werden, desto mehr Spielraum biete sich bei den anderen beiden Hebeln. „Die Zukunft der Landwirtschaft muss naturfreundlich und regenerativ sein, und unsere Ernährung muss pflanzenbasierter, gesünder und nachhaltiger werden“, bringt es Philip Lymbery, Geschäftsführer von Compassion in World Farming, auf den Punkt. Der Bericht enthält auch Empfehlungen für Entscheidungsträger bereit, um die Reform des Ernährungssystems umzusetzen, denn das Jahr 2021 biete mit einer Vielzahl an anstehenden hochrangigen Treffen zu den Themen Ernährung, Klima und Biodiversität beste Chancen dafür, den Wandel auf den Weg zu bringen. Ein Beispiel sei der UN-Gipfel zu Ernährungssystemen (United Nations Food Systems Summit - UNFSS) in diesem Jahr. „Im Jahr 2021 bietet sich eine einzigartige Gelegenheit für die Neugestaltung des Lebensmittelsystems“, lautet der optimistische Appell der Herausgeber. (ab)

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