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14.03.2020 |

Insektensterben: Forscher veröffentlichen „Warnung an die Menschheit“

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Insekten erbringen Leistungen (Foto: CC0)

Das Insektensterben führt zum Verlust unersetzlicher „Dienstleistungen“, die viele Arten für Mensch und Ökosysteme erbringen. Dies könnte unabsehbare Folgen haben – dringendes und entschlossenes Handeln ist daher geboten, um den Rückgang der Insektenbestände und das Aussterben weiterer Arten zu stoppen, schreibt ein internationales Forscherteam in einer „Warnung an die Menschheit“. In zwei Artikeln in der Februarausgabe der Fachzeitschrift „Biological Conservation“ fassen 30 Experten zusammen, was über die Ursachen und Folgen des Insektensterbens bekannt ist und schlagen praktische Lösungen zur Eindämmung der „Insekten-Apokalypse“ vor. Zunächst weisen sie auf enorme Wissensdefizite hin: Das Insektensterben sei zutiefst beunruhigend, „doch was wir wissen, ist nur die Spitze des Eisbergs“. Das Ausmaß werde kläglich unterschätzt, weil so viele Arten noch nicht beschrieben sind. Aktuellen Schätzungen zufolge könnte es 5,5 Millionen Insektenarten geben. „Es ist überraschend, wie wenig wir über die biologische Vielfalt auf globaler Ebene wissen, da nur etwa 10 bis 20% der Insekten- und anderer wirbelloser Tierarten beschrieben und benannt sind“, beklagt Hauptautor Pedro Cardoso vom Finnischen Naturkundemuseum und der Universität Helsinki. „Es gilt jedoch als wahrscheinlich, dass seit Beginn der Industrialisierung etwa 5 bis 10% der Insekten ausgestorben sind, d.h. 250.000 bis 500.000 Arten.“ Insgesamt seien in den kommenden Jahrzehnten mindestens eine Million Arten vom Aussterben bedroht, die Hälfte davon Insekten.

Als Hauptursachen für das Insektensterben nennen die Experten den Verlust von Lebensräumen, Verschmutzung, invasive Arten und den Klimawandel. „Der Verlust, die Verschlechterung und Fragmentierung von Lebensräumen sind wohl die größte Bedrohung für die biologische Vielfalt“, schreiben sie. Unmittelbare Ursache für den Verlust natürlicher oder naturnaher Lebensräume und der in ihnen lebenden Insekten seien Prozesse, die mit der Abholzung von Wäldern, der Ausbreitung landwirtschaftlicher Flächen und Verstädterung in Verbindung stünden. Aktuellen Berechnungen zufolge werde der Flächendruck bis 2050 dazu führen, dass die intakte natürliche Vegetation, die derzeit ohnehin nur noch sehr eingeschränkt vorhanden ist, bis 2050 in einem Drittel der Biodiversitäts-Hotspots der Welt um weitere 50% reduziert wird. Umweltverschmutzung, unter anderem auch durch schädliche landwirtschaftliche Praktiken, ist ein weiterer Auslöser für den Artenschwund. „Pestizide sind die Hauptursache für den Rückgang von Insekten aufgrund ihres intensiven Einsatzes sowie ungeeigneter Risikobewertungsvorschriften“, heißt es in einem Beitrag.

Die Folgen des Rückgangs und des Aussterbens von Insekten seien schrecklich, da „das Schicksal von Mensch und Insekten eng verknüpft ist“. Die Wissenschaftler warnen vor dem Verlust von Biomasse, Vielfalt, einzigartigen Geschichten, Funktionen und Interaktionsnetzwerken. „Das Artensterben beraubt uns nicht nur eines weiteren Stücks des komplexen Puzzles, das unsere belebte Welt ausmacht, sondern wir verlieren auch Biomasse, die etwa für die Ernährung anderer Tiere in der Lebenskette unerlässlich ist, einzigartige Gene und Substanzen, die eines Tages zur Heilung von Krankheiten beitragen könnten, sowie Ökosystemfunktionen, von denen die Menschheit abhängt“, betont Cardoso. Zu den Funktionen gehört auch die Bestäubung, da die meisten Nutzpflanzen dabei auf Insekten angewiesen sind. Der wirtschaftliche Wert ihrer Bestäubungsleistung könnte sich weltweit auf 235-577 Milliarden US-Dollar jährlich belaufen. „Der Insektenschwund kann sich negativ auf die Sicherstellung der Lebensmittelversorgung und das menschliche Wohlergehen auswirken“, so die Autoren. Weitere Funktionen sind Nährstoff- und Energiekreisläufe, die Unterdrückung von Schädlingen, die Ausbreitung von Samen und die Zersetzung organischer Substanz.

Die Wissenschaftler rufen zu dringendem Handeln auf, um das Insektenaussterben einzudämmen. Mehr Investitionen in Forschungsprogramme, die lokale, regionale und globale Strategien zu Gegenmaßnahmen hervorbringen, seien unerlässlich. Es gebe bereits viele Lösungen, um die Insekten zu schützen, vor allem durch die Erhaltung und Wiederherstellung natürlicher Lebensräume, die Vermeidung schädlicher landwirtschaftlicher Praktiken, einschließlich des Einsatzes schädlicher Pestizide, Maßnahmen zum Umgang mit invasiven Arten und zur Verringerung des Treibhausgas-Ausstoßes sowie Schritte gegen die Übernutzung von Arten. Die Bewahrung der Lebensräume von Insekten erfordere „die Ausweitung einer nachhaltigen Land- und Forstwirtschaft, eine bessere Regulierung und Prävention bei Umweltrisiken und eine größere Anerkennung von Schutzgebieten ebenso wie Agrarökologie in neuartigen Landschaften“, schreiben die Forscher. Darüber hinaus sei die Einbeziehung von Zivilgesellschaft und Politik wichtig: „Während kleine Gruppen von Menschen den Insektenschutz lokal beeinflussen können, sind für eine groß angelegte Erholung der Bestände ein kollektives Bewusstsein und eine global koordinierte Anstrengung zur Inventarisierung, Überwachung und Erhaltung der Arten erforderlich“, sagt Michael Samways von der Universität Stellenbosch. „Es gibt jetzt Lösungen – wir müssen sie umsetzen“, lautet das Fazit der Experten. (ab)

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