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13.07.2023 |

Weltweit hungern 783 Millionen Menschen – 122 Millionen mehr als 2019

FrauReis
Oft bleiben die Taschen leer (Foto: CC0/Pixabay)

Im Kampf gegen den Hunger geht es einfach nicht voran: Noch immer leiden auf der Erde bis zu 783 Millionen Menschen an Unterernährung und im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 ist die Zahl um weitere 122 Millionen in die Höhe geschnellt. Das zeigt der Bericht „The State of Food Security and Nutrition in the World 2023”, der am 12. Juli von fünf UN-Organisationen veröffentlicht wurde. Fast jeder zehnte Mensch ist damit von Hunger betroffen und an dieser Kernbotschaft ändert sich seit Jahren nichts – ganz egal, mit welcher Berechnungsmethode der jährlich erscheinende Bericht in der jeweiligen Ausgabe zu welcher exakten Prozentzahl oder leicht anders verlaufenden Kurve gelangt. Ebenso wenig wie an der Prognose, dass es mit dem Ziel, Hunger, Ernährungsunsicherheit und Mangelernährung in all ihren Formen bis zum Jahr 2030 zu beenden, vermutlich nichts wird. Oder wie es die Spitzen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO), des Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD), von UNICEF, des Welternährungsprogramms (WFP) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im gemeinsamen Vorwort zum Bericht etwas diplomatischer formulieren: „Zweifellos stellt die Verwirklichung des nachhaltigen Entwicklungszieles, den Hunger bis 2030 zu beenden, eine gewaltige Herausforderung dar.“ Die globalen Hungerzahlen blieben zwar 2022 auf hohem Niveau stabil, nachdem sie 2020 inmitten der Pandemie stark und 2021 etwas gebremst angestiegen waren, doch in einigen Regionen, gerade in Afrika, verschärft sich die Lage weiter. „Unsere Agrar- und Ernährungssystem sind nach wie vor sehr anfällig für Schocks und Beeinträchtigungen durch Konflikte, Klimaveränderungen und -extreme sowie wirtschaftlichen Abschwung. Diese Faktoren, in Verbindung mit wachsender Ungleichheit, stellt die Fähigkeit der Ernährungssysteme, nahrhafte, sichere und erschwingliche Nahrung für alle bereitzustellen, auf eine harte Probe“, heißt es im Vorwort weiter. Die Hauptursachen für Ernährungsunsicherheit und Mangelernährung seien unsere „neue Normalität“.

In der Ausgabe 2023 des Berichts wird, wie auch schon in den beiden Jahren zuvor, eine Zahlenspanne angegebenen, um den pandemiebedingten Unsicherheiten bei der Datenerhebung Rechnung zu tragen, die noch bestehe, auch wenn die Meldung der Daten allmählich wieder normal laufe. Es wird geschätzt, dass im Jahr 2022 zwischen 691 und 783 Millionen Menschen von Hunger betroffen waren. Nimmt man die Mitte der Spanne (735 Millionen), so ist die Zahl der unterernährten Menschen gegenüber 613 Millionen in 2019 um 20% gestiegen. Der neusten Datengrundlage zufolge ging der Anteil der unterernährten Menschen zunächst von 12,1% im Jahr 2005 auf 7,7% in 2014 zurück. Dann blieb er auf diesem Niveau, bevor er mit dem Ausbruch von Covid-19 sprunghaft anstieg und im Jahr 2022 dann 9,2% der Weltbevölkerung erreichte – oder 9,8%, wenn man die obere Grenze berücksichtigt. „Dennoch ist der in den letzten zwei Jahren beobachtete Anstieg des Welthungers gebremst und 2022 litten etwa 3,8 Millionen weniger Menschen Hunger als noch 2021. Die wirtschaftliche Erholung von der Pandemie hat dazu beigetragen, aber die bescheidenen Fortschritte wurden ohne Zweifel durch ansteigende Lebensmittel- und Energiepreisen, die durch den Krieg in der Ukraine weiter in die Höhe getrieben werden, unterlaufen“, schreiben die Leiter*innen der UN-Organisationen. Es gebe keinen Grund, sich zurückzulehnen.

Die Zahlen zeigen ein anhaltend regionales Gefälle, wobei in Afrika der Anteil der Hungernden in der Bevölkerung am höchsten ist: Jeder Fünfte (19,7%) ist dort unterernährt – das ist fast das Doppelte des globalen Durchschnitts –, während Asien in absoluten Zahlen führt. Mehr als die Hälfte (54,6%) der 735 Millionen Menschen, die im Jahr 2022 unterernährt waren, lebten in Asien (401,6 Millionen Menschen), gefolgt von Afrika mit 281,6 Millionen bzw. 38,3% der Gesamtzahl sowie Lateinamerika und Karibik mit 43,2 Millionen bzw. 5,9% der Hungernden. Die Zahl der Hungernden in Afrika ist seit 2021 um 11 Millionen und seit dem Ausbruch der Pandemie um mehr als 57 Millionen Menschen gestiegen. Der Anteil der unterernährten Menschen hat ebenfalls zugenommen. Besonders alarmierend ist die Situation in der Subregion Zentralafrika, zu der Länder wie der Tschad und die Demokratische Republik Kongo gehören. Dort war vergangenes Jahr fast ein Drittel der Bevölkerung (29,1%) unterernährt, wenn man die Mitte der Spanne heranzieht. In Ostafrika waren 28,5% der Bevölkerung betroffen. In Asien waren es 8,5% der Bevölkerung, wobei die Zahl in den Unterregionen Südasien (15,6%) und Westasien (10,8%) deutlich höher lag. Lateinamerika und die Karibik als Region verzeichnete Fortschritte, da der Anteil der unterernährten Menschen von 7,0% im Jahr 2021 auf 6,5% in 2022 sank – ein Rückgang um 2,4 Millionen, doch es sind immer noch 7,2 Millionen mehr als 2019. Der Rückgang ist auf Südamerika zurückzuführen, denn in der Karibik stieg der Anteil der Unterernährung von 14,7% in 2021 auf 16,3% im Folgejahr.

Der Bericht enthält nicht nur Schätzungen zur Zahl der chronisch unterernährten Menschen, sondern auch zur moderaten und schweren Ernährungsunsicherheit. Moderate Ernährungsunsicherheit wird definiert als „ein Schweregrad der Ernährungsunsicherheit, bei dem Menschen die Ungewissheit haben, ob sie sich mit Lebensmitteln versorgen können“, was bedeutet, dass sie gezwungen sind, zu bestimmten Zeiten im Jahr aufgrund von Mangel an Geld oder anderen Ressourcen Abstriche bei der Qualität und/oder Quantität der verzehrten Lebensmittel zu machen. Insgesamt hatte fast jeder dritte Mensch (29,6%) auf der Welt im Jahr 2022 keinen ganzjährigen Zugang zu angemessener Nahrung – ein Anstieg um fast 391 Millionen Menschen seit 2019, dem Jahr vor Pandemiebeginn. Von diesen 2,4 Milliarden Menschen, die von moderater und schwerer Ernährungsunsicherheit betroffenen sind, waren 900 Millionen von schwerer Ernährungsunsicherheit betroffen, was bedeutet, dass ihnen die Nahrungsmittel ausgingen, sie Hunger litten und im Extremfall einen Tag oder länger nichts zu essen hatten. Dies ist ein Anstieg um 50 Millionen Menschen im Vergleich zu 2019. Auch eine gesunde Ernährung ist für unzählige Menschen unerschwinglich geworden. 2021 konnten sich fast 3,1 Milliarden Menschen keine gesunde Ernährung leisten, 134 Millionen mehr als noch 2019. Die gute Nachricht ist, dass die Zahl im Vergleich zu 2020 um 52 Millionen sank.

Der Bericht zeichnet auch ein düsteres Bild von der Ernährungssituation bei Kindern. Geschätzt 45 Millionen Kinder unter fünf Jahren (6,8% aller Kinder dieser Altersgruppe) litten an Auszehrung (wasting), wodurch sich das Sterberisiko für Kinder extrem erhöht. Darüber hinaus waren 148 Millionen oder 22,3% aller Kinder unter fünf Jahren in ihrem Wachstum und ihrer Entwicklung zurückgeblieben (stunting), was bedeutet, dass sie aufgrund eines chronischen Mangels an essenziellen Nährstoffen in ihrer Ernährung zu klein für ihr Alter sind. Seit dem Jahr 2000 sank der Anteil deutlich – damals war noch jedes dritte Kind betroffen. Übergewicht bei Kindern ist hingegen in vielen Ländern auf dem Vormarsch, was auf Bewegungsmangel und den vermehrten Zugang zu stark verarbeiteten Lebensmitteln zurückzuführen ist. Weltweit waren 5,6 % alle Kinder 2022 übergewichtig und damit 37 Millionen Kinder. „Mangelernährung ist eine große Bedrohung für das Überleben, das Wachstum und die Entwicklung von Kindern“, erklärte Catherine Russell, Exekutivdirektorin von UNICEF. „Das Ausmaß der Ernährungskrise erfordert deutlichere, auf Kinder ausgerichtete Antworten. Dazu gehören der vorrangige Zugang zu nährstoffreichen und erschwinglichen Nahrungsmitteln und grundlegenden Ernährungsdienstleistungen, der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor nährstoffarmen, stark verarbeiteten Lebensmitteln und die Stärkung der Lebensmittel- und Nahrungsversorgungsketten, einschließlich angereicherter und therapeutischer Nahrung für Kinder.“

Die Aussichten für die Zukunft sehen düster aus. Das Ziel, den Hunger bis 2030 zu beenden, rückt in immer weitere Ferne. Laut aktuellen Prognosen werden dann immer noch fast 600 Millionen Menschen von Unterernährung betroffen sein. Das ist eine ähnlich hohe Zahl wie 2015, als das Ziel im Rahmen der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung festgelegt wurde. Von den prognostiziert 600 Millionen Hungernden werden 119 Millionen Menschen aufgrund der Pandemie- und Kriegsfolgen von Hunger betroffen sein, rechnen die Verfasser*innen des Berichts vor. Allein ohne den Krieg gegen die Ukraine würden 23 Millionen Menschen weniger hungern. „Der Hunger nimmt zu, während die Ressourcen, die wir zum Schutz der am stärksten benachteiligten Menschen dringend benötigen, gefährlich knapp werden“, beklagt WFP- Exekutivdirektorin Cindy McCain. „Als humanitäre Helfer*innen stehen wir vor der größten Herausforderung, die wir je erlebt haben. Die Weltgemeinschaft muss schnell, klug und mitfühlend handeln, um den Kurs zu ändern und den Hunger zu besiegen.“ IFAD-Präsident Alvaro Lario ist weiterhin optimistisch, dass eine Welt ohne Hunger möglich ist: „Wir können den Hunger bewältigen, wenn wir dies zu einer globalen Priorität machen“, betont er. „Was uns fehlt, sind die Investitionen und der politische Wille, Lösungen in großem Umfang umzusetzen. Investitionen in Kleinbauern und in ihre Anpassung an den Klimawandel, den Zugang zu Produktionsmitteln und Technologien sowie in den Zugang zu Finanzmitteln für die Gründung kleiner landwirtschaftlicher Betriebe können viel bewirken. Kleinerzeuger sind ein Teil der Lösung. Wenn sie richtig unterstützt werden, können sie mehr Lebensmittel produzieren, ihre Produktion diversifizieren und sowohl Märkte im städtischen als auch im ländlichen Raum beliefern - und so ländliche Gebiete und Städte mit nahrhaften und lokal angebauten Lebensmitteln versorgen.“ (ab)

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