Nachrichten

11.11.2020 |

IPBES-Bericht: Natur- und Artenschutz beugt Pandemien vor

IPBES-Cover
Eines der Coverfotos des Berichts

Künftig drohen weitere Pandemien wie Corona, wenn dem Raubbau an der Natur und der Zerstörung der biologischen Vielfalt nicht Einhalt geboten wird. Doch es gibt ein wirkungsvolles Instrument zur Verringerung des Pandemierisikos: Natur- und Artenschutz. Das ist die Botschaft eines Berichts, der vom Weltbiodiversitätsrat IPBES Ende Oktober herausgegeben wurde. Verfasst haben ihn zwei Dutzend internationale Expertinnen und Experten, die sich auf einem IPBES-Workshop im Juli mit dem Zusammenhang zwischen Umweltzerstörung und Pandemien befassten. COVID-19 ist mindestens die sechste globale Pandemie seit der Spanischen Grippe von 1918, und obwohl sie ihren Ursprung in Mikroorganismen hat, die von Tieren übertragen werden, entstand sie wie andere Pandemien auch durch Eingriffe des Menschen. „Die Ursachen der COVID-19-Pandemie, oder jeder anderen modernen Pandemie, sind kein großes Geheimnis“, sagte Workshop-Leiter Dr. Peter Daszak. „Dieselben menschlichen Aktivitäten, die den Klimawandel und den Biodiversitätsverlust vorantreiben, erhöhen durch ihre Auswirkungen auf unsere Umwelt auch das Pandemierisiko. Veränderungen in der Art und Weise, wie wir Land nutzen, die Ausweitung und Intensivierung der Landwirtschaft sowie nicht nachhaltiger Handel, Produktion und Konsum beeinträchtigen die Natur und führen zu mehr Kontakt zwischen Wildtieren, Nutztieren, Krankheitserregern und Menschen. So entstehen Pandemien.” Die Veränderung der Landnutzung allein hat weltweit das Auftreten von mehr als 30% der seit 1960 gemeldeten neuen Krankheiten verursacht. Und die Experten schätzen, dass es weitere 1,7 Millionen derzeit „unentdeckte“ Viren in Säugetieren und Vögeln gibt, von denen bis zu 827.000 auf den Menschen überspringen könnten.

Die gute Nachricht ist, dass das Pandemierisiko deutlich gesenkt werden kann, indem die menschlichen Aktivitäten, die den Verlust der Artenvielfalt vorantreiben, reduziert werden, z.B. durch eine stärkere Erhaltung von Schutzgebieten und Maßnahmen, die die nicht nachhaltige Ausbeutung von Regionen mit hoher biologischer Vielfalt verringern. Das würde dazu beitragen, Kontakte zwischen Wildtieren, Nutztieren und Menschen zu verringern und das Überspringen neuer Erreger zu verhindern. Doch das erfordert eine grundlegende Abkehr vom bisherigen Ansatz der Reaktion hin zur Prävention. „Die überwältigenden wissenschaftlichen Belege führen zu einer sehr positiven Schlussfolgerung“, sagte Dr. Daszak. „Wir sind zunehmend in der Lage, Pandemien zu verhindern – aber unsere aktuelle Pandemiebekämpfung macht sich diese Fähigkeit weitgehend nicht zunutze. Unser Ansatz hat praktisch stagniert – wir verlassen uns nach wie vor auf Versuche, Krankheiten einzudämmen und zu kontrollieren, nachdem sie ausgebrochen sind, durch Impfstoffe und Therapeutika. Wir können dem Pandemiezeitalter entkommen, aber dies erfordert neben der Reaktion auch einen viel stärkeren Fokus auf die Prävention.“ Wie in vielen anderen Bereichen auch sind die Kosten des Reagierens viel höher als für Prävention – in etwa um das Hundertfache, schätzen die Experten. Darüber hinaus sei die Strategie des Reagierens, wie Maßnahmen des öffentlichen Gesundheitswesens und die Entwicklung und Verteilung neuer Impfstoffe und Therapeutika, ein „ein langer und unsicherer Weg“, der mit weit verbreitetem „menschlichen Leid und wirtschaftlichem Schaden“ einhergeht.

Der Bericht nennt auch eine Reihe politischer Optionen, die den Wandel hin zur Pandemieprävention unterstützen würden. „Dass der Mensch in der Lage ist, unsere natürliche Umwelt so grundlegend zu verändern, muss nicht immer nur negativ sein. Es liefert auch einen überzeugenden Beweis für unsere Fähigkeit, den Wandel voranzutreiben, der zur Verringerung künftiger Pandemierisiken erforderlich ist – was zugleich dem Naturschutz und der Abmilderung des Klimawandels dienen würde“, heißt es im Bericht. Um den Einfluss von Landnutzungsänderungen beim Entstehen von Pandemien zu verringern, empfehlen die Experten folgende Politiken: Bei größeren Entwicklungs- und Landnutzungsprojekten sollten Gesundheitsfolgenabschätzungen zum Pandemierisiko entwickelt und einbezogen werden, bevor Projekte beginnen dürfen. Die finanzielle Förderung von Landnutzungen sollte umgestaltet werden, sodass Nutzen und Risiken für die biologische Vielfalt und die Gesundheit erkannt und angegangen werden. Zudem sollten nationale Regierungen Subventionen für Aktivitäten streichen, die mit Abholzung, Schädigung von Wäldern und Landnutzungsänderungen einhergehen. Darüber hinaus sollten Entscheidungsträger nicht nachhaltige Konsum- und Wirtschaftsstrukturen, die Pandemien befördern, grundlegend verändern. „Nicht nachhaltige Muster des globalen Konsums treiben die globalisierte landwirtschaftliche Expansion und den Handel an und sind mit dem Pandemierisiko sowie mit Landnutzungsänderungen, dem Verlust der biologischen Vielfalt und dem Klimawandel verbunden“, erklären die Autoren. „Das zunehmende verfügbare Wissens über die wirtschaftlichen Vorteile eines nachhaltigeren Konsums und einer nachhaltigeren landwirtschaftlichen Entwicklung könnte dazu genutzt werden, einen zusätzlichen Anreiz für eine Verlagerung hin zu einer Landwirtschaft zu schaffen, die sich auf die Bereitstellung von Ökosystemdienstleistungen konzentriert und gleichzeitig auf die Bedürfnisse der Ernährungssicherheit für lokale Gemeinschaften eingeht und die Gesundheit von Menschen, Tieren und Ökosystemen fördert“, so der Bericht. Empfohlen werden konkrete politische Maßnahmen, die zu einer Reduzierung des Verbrauchs von Palmöl, Tropenholz, Fleisch und anderen Erzeugnissen aus globalisierter Tierhaltung sowie von Produkten führen, die den Abbau mineralischer Rohstoffe oder neue Verkehrsinfrastrukturen erfordern. Und auch die Erhebung von Steuern oder Abgaben auf Fleischkonsum, die Tierproduktion sowie andere mit einem hohen Pandemierisiko verbundene Verbrauchsmuster sollten in den Blick genommen werden. (ab)

06.11.2020 |

WBGU fordert „Landwende“ und Ökologisierung der Landwirtschaft

Feld
Der WBGU will eine Landwende (Foto: CC0)

Nur wenn sich unser Umgang mit Land von Grund auf ändert, kann das Schwinden der Artenvielfalt gebremst und das globale Ernährungssystem nachhaltiger gestaltet werden. Darauf verweist der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) in einem neuen Gutachten und fordert eine „Landwende“. Daran, dass dringender Handlungsbedarf besteht, lassen die Expert*innen des Beirats keine Zweifel. Beim Klimaschutz sieht es düster aus: Das Erreichen der Pariser Klimaschutzziele scheint nur noch möglich, wenn neben der Dekarbonisierung der Weltwirtschaft Landflächen verstärkt genutzt werden, um der Atmosphäre CO2 zu entziehen. Das globale Ernährungssystem steckt in der Krise: 690 Millionen Menschen sind chronisch unterernährt, weitere 1,3 Milliarden sind von Mangelernährung aufgrund von Mikronährstoffdefiziten betroffen. Zugleich sind 1,9 Milliarden Menschen übergewichtig oder adipös. Land ist die Grundlage unserer Ernährung, doch zugleich bedrohen Umweltschäden und andere externe Effekte der industriellen Landwirtschaft die natürlichen Lebensgrundlagen. Auch die Biodiversität nimmt weltweit dramatisch ab: Damit verringert sich auch die Kapazität der Ökosysteme, zu Klimaregulierung und Ernährungssicherung beizutragen. Die vielfältigen Ansprüche an Land für Klimaschutz, Ernährungssicherung und Biodiversitätserhaltung treten in Konkurrenz zueinander, während sich Landdegradation auf alle drei Bereiche negativ auswirkt. Der WBGU spricht von einem „Trilemma der Landnutzung“.

Doch das Gutachten zeigt, wie diese vermeintlichen Konkurrenzen zwischen Nutzungsansprüchen durch eine Kombination von Schutz und multiplen Nutzungen in der Landschaft überwunden werden können. Es schlägt dazu fünf Strategien vor, mit denen Mehrgewinne erzielt werden können. Erstens soll die Renaturierung von Landökosystemen massiv vorangetrieben werden. Das im Rahmen der Bonn Challenge gesteckte Ziel der Renaturierung von 350 Millionen Hektar degradierter Landfläche solle bis 2030 übertroffen werden. Dabei soll der Fokus auf der Wiederherstellung biodiverser und standortgerechter Wälder, Feuchtgebiete und Graslandschaften liegen, um zugleich einen Mehrgewinn durch die Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre zu erzielen, was natürlich kein Ersatz für die Verringerung der Emissionen sei. Zweitens sollte es mehr effektive, vernetzte Schutzgebietssysteme geben, um die globale Biodiversitätskrise abzumildern. Die terrestrischen Schutzgebietssysteme sollten auf 30% der Erdoberfläche ausgeweitet werden. Dies bringe einen Mehrgewinn für den Klimaschutz und erhalte langfristig Potenziale für die Ernährungssicherung.

Drittens sei mehr Unterstützung für eine auf Vielfalt beruhende Landwirtschaft nötig, damit die Landwende gelingen kann. „Daher empfiehlt der WBGU, die bislang weitgehend monofunktional auf Produktion ausgerichteten Landwirtschaftssysteme in Richtung ökologisch intensiver multifunktionaler Systeme wie z. B. Agroforstwirtschaft zu transformieren und dabei Menschen, agrarökologische Praktiken und die Erbringung von Ökosystemleistungen ins Zentrum zu stellen“, heißt es. Die Bundesregierung müsse den Schwerpunkt auf die erforderliche Transformation der EU-Agrarpolitik legen. Der WBGU empfiehlt eine „Abkehr von der industriellen Landwirtschaft durch ihre umfassende Ökologisierung“. „Agrarsubventionen sollten immer an ökologische Verbesserungen geknüpft werden, die möglichst auf multifunktionale Produktionssysteme setzen. Flächenbasierte Direktzahlungen sollten in Zahlungen für Ökosystemleistungen umgewandelt werden. Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen mit besonders positiven Effekten für die Erhaltung der biologischen Vielfalt („dunkelgrüne Maßnahmen“), sollten trotz des höheren Verwaltungsaufwands weiterentwickelt werden.“ Schade, dass die aktuelle EU-Agrarreform diese Umsetzung bisher verschlafen hat.

Das Gutachten enthält noch weitere Empfehlungen im Bereich Landwirtschaft: „Im Sinne einer Kreislaufwirtschaft sollten der Pflanzenbau mit der Tierhaltung verknüpft, Nährstoffkreisläufe geschlossen sowie steigende Nährstoffeffizienz und verbessertes Nährstoffrecycling (besonders von Phosphor, aber auch von Stickstoff und weiteren Nährstoffen) angestrebt werden.“ Zudem raten die Expert*innen zu Aus- und Weiterbildungsprogrammen, die über diversifizierte landwirtschaftliche Produktionssysteme und agrarökologische Praktiken informieren. Sie blicken auch über den europäischen Tellerrand hinaus: Subsahara-Afrika benötige eine nachhaltige Produktivitätssteigerung der Subsistenzlandwirtschaft, damit langfristig die Bodenqualität erhalten bleibt. Das erfordere finanzielle Unterstützung, nicht nur für Materialien, sondern auch für den zusätzlich notwendigen Arbeitseinsatz, „damit Landwirt*innen und Viehhirt*innen bereit sind, den Mehraufwand während der mehrjährigen Anpassungsphase, die zur Wiederherstellung der Böden notwendig ist, auch ohne Erträge zu übernehmen“. Damit die globale Agrarwende gelingt, sei auch eine stärkere Ausrichtung des internationalen Handels an Nachhaltigkeitskriterien nötig. Zertifizierungsprogramme (z.B. Fairtrade, Bio-Siegel) sollten verbessert oder geschaffen werden (z.B. Klimasiegel für Agrarprodukte).

Als vierte Strategie zur Milderung des Druck auf Landökosysteme nennt der WBGU die Transformation der Ernährungsstile in den Industrieländern, besonders durch die Verringerung des Anteils an tierischen Produkten. „Die erforderliche Transformation der Ernährungsstile kann durch konsequente Veränderung der Rahmenbedingungen, nachhaltigkeitsorientierte Normsetzung und Schaffung entsprechender Anreize für die Wirtschaft und Konsument*innen entscheidend befördert werden“, so die Autor*innen. Eine Orientierung an der „Planetary Health Diet“, die weniger Fleisch vorsieht, sollte als Grundsatz in Ernährungsleitlinien verankert und bei öffentlichen Gemeinschafts- oder Pausenverpflegungen angewandt werden. Außerdem ist es laut WBGU dringend erforderlich, Rahmenbedingungen zu setzen, damit die durch Ökosysteme erbrachten Leistungen sowie die Kosten ihrer Degradation möglichst vollständig in die Preise für Nahrungsmittel einfließen. So sollten bisher vernachlässigte externe Kosten aus Klimawandel und Umweltzerstörung systematisch erforscht, erfasst und eingepreist werden. Als fünfte Strategie wird das Bauen mit Holz als effektive Möglichkeit bezeichnet, langfristig Kohlenstoff zu speichern, wenn das Holz dafür aus standortgerechter, nachhaltiger Waldwirtschaft stamme. Bundesumweltministerin Svenja Schulze, die das Gutachten am 3. November in Berlin entgegennahm, sagte: „Palmöl im Tank, Mais-Monokulturen oder zu viele Tiere auf zu wenig Fläche – es gibt leider viele Beispiele, in denen Nahrungsmittelproduktion, Klima- und Naturschutz miteinander im Konflikt stehen. Die gute Nachricht ist: Das muss nicht so bleiben, wenn wir die vom WBGU vorgeschlagene Landwende ernst nehmen. Wenn man Klimaschutz, Naturschutz und Ernährung zusammendenkt, kann ein dreifacher Nutzen dabei herauskommen. Hier ist kluge Politik gefragt, die über den eigenen Tellerrand schaut.“ Bleibt zu hoffen, dass die Politik die Vorschläge des WBGU in die Tat umsetzt. (ab)

23.10.2020 |

EU-Bericht belegt drastischen Rückgang der biologischen Vielfalt

Rebhuhn
Rebhuhn: im Abwärtstrend (Foto: CC0)

Die meisten Tier- und Pflanzenarten sowie Lebensräume in Europa weisen keinen guten Erhaltungszustand auf. Nicht nachhaltige Land- und Forstwirtschaft, Zersiedelung und Umweltverschmutzung sind die Hauptursachen für den anhaltenden Rückgang der Artenvielfalt. Das sind die unschönen Nachrichten, mit denen die Europäische Umweltagentur (EUA) in ihrem neusten Bericht zur Lage der Natur in der EU am 19. Oktober aufwartete. Dieser bildet den Zustand im Berichtszeitraum 2013-2018 ab und stützt sich auf Daten aus den EU-Mitgliedstaaten, die Rechenschaft über ihre Bemühungen zum Erhalt von mehr als 2000 Arten und Lebensräumen im Rahmen der Naturschutzrichtlinien der EU (Habitat- und die Vogelschutzrichtlinie) ablegen müssen. Die Bilanz fällt düster aus: Das Überleben tausender Tierarten und Lebensräume in der EU ist bedroht. Zwar gibt es auch ein paar Lichtblicke, doch diese Fortschritte reichen bei Weitem nicht aus, um die Ziele der Biodiversitätsstrategie der EU bis 2020 zu erreichen. „Diese Bewertung des Zustands der Natur ist der umfassendste Gesundheitscheck der Natur, der jemals in der EU durchgeführt wurde“, betont Virginijus Sinkevičius, der für Umwelt, Meere und Fischerei zuständige Kommissar. „Sie zeigt sehr deutlich, dass wir weiterhin Teile unserer natürlichen Lebensgrundlage verlieren. (…) Wir müssen dringend die in der neuen EU-Biodiversitätsstrategie eingegangenen Verpflichtungen erfüllen, um diesen Rückgang zum Nutzen der Natur, der Menschen, des Klimas und der Wirtschaft umzukehren.“

Die Daten zur EU-Vogelschutzrichtlinie beziehen sich auf 463 in der EU natürlich vorkommende Vogelarten. Nur knapp die Hälfte (47%) der Vogelarten weisen einem guten Erhaltungszustand auf. Im letzten Berichtszeitraum 2008-2012 waren es noch 5% mehr. Bei 39% aller Vogelarten war ein mangelhafter oder schlechter Erhaltungszustand zu verbuchen – ein Plus von 7% im Vergleich zu 2008-12. Bei den restlichen 14% ist er Erhaltungszustand aufgrund fehlender Daten unklar. Bei den Brutvögeln sieht der Kurzzeittrend nicht gerade rosig aus: Zwar liegt der Anteil der Brutvogelarten mit zunehmenden Bestandstrends bei 23%, doch bei 30% der Vogelarten sind Bestandsrückgänge zu verzeichnen. Bei Brutvögeln wie dem Kranich und dem Roten Milan gab es den höchsten Anteil an Berichten, die eine positive Bestandstrends zeigen. Besser geht es vor allem auch in Feuchtgebieten lebenden Vögeln und Meeresvögeln, für die Natura-2000-Schutzgebiete ausgewiesen wurden, z.B. der Rostgans oder der Gryllteiste. Dazu beigetragen habe die Wiederherstellung von Lebensräumen sowie mehr Wissen, Überwachung und Bewusstsein. Bei den Vögeln der Agrarlandschaft geht es kaum bergauf. Zu den Brutvögeln, die in fast 50% aller Mitgliedsstaaten abnehmende Bestände aufweisen, gehören der Wachtelkönig, der Neuntöter oder das Rebhuhn.

Im Rahmen der Habitatrichtlinie meldeten die Mitgliedsstaaten, wie es um 233 Lebensräume und 1.389 Arten bestellt ist. „Die meisten EU-weit geschützten Arten wie z. B. der Würgfalke und der Donaulachs sowie Lebensräume von Grünland bis Dünen in allen Teilen Europas sehen einer ungewissen Zukunft entgegen, wenn nicht mehr dringend notwendige Maßnahmen ergriffen werden, um die Situation umzukehren“, betont die Europäische Umweltagentur in ihrer Pressemitteilung. Bei den Lebensräumen sieht es verheerend aus: Insgesamt 81% aller Lebensräume weisen einen mangelhaften (45%) oder schlechten (36%) Erhaltungszustand auf – Tendenz abfallend. Im letzten Berichtszeitraum wurden nur 30% der Lebensräume als schlecht eingestuft. Lediglich 15% der Lebensräume haben nun einen guten Erhaltungszustand, bei 4% ist die Lage ungewiss. Die weitere Entwicklung bei den Lebensräumen, die keinen guten Erhaltungszustand haben, lässt nichts Gutes verheißen: Nur bei 9% zeichnet sich ein Aufwärtstrend ab, während sich bei 36% der Zustand weiter verschlechtert. Bei Grünland- und Dünengebieten sowie Hoch- und Niedermoorlebensräumen zeigt sich eine starke Verschlechterung, während bei Wäldern die klarste Verbesserung zu verzeichnen ist.

Bei den Arten ist nur bei einem Viertel (27%) ein positiver Erhaltungszustand festzustellen, aber immerhin sind es 4% mehr als im letzten Berichtszeitraum. Bei 63% der Arten sieht es hingegen schlecht (21%) oder mangelhaft (42%) aus. Bei Reptilien wie der Ruineneidechse oder der Hufeisennatter sowie bei Gefäßpflanzen wie der weichhaarige Odermennig oder dem Gelben Enzian ist der Anteil, der sich in gutem Erhaltungszustand befindet, am höchsten (35%). Der höchste Anteil mit schlechtem Erhaltungszustand ist bei den Fischen mit 38% zu verzeichnen. Meeressäuger sind die Art mit dem höchsten Anteil, bei denen der Erhaltungszustand im Dunklen liegt.

Zu den Gründen für den schlechten Zustand von Lebensräumen und Arten sagt der Bericht: „Auch wenn die Ursachen für die Zerstörung der Lebensräume und den Artenrückgang vielfältiger Natur sind, ist der Haupttreiber die intensive Landwirtschaft.“ Düngemittel und der Einsatz von Pestiziden haben laut den Autoren einen erheblichen Einfluss auf viele Lebensräume und Arten. Das gelte vor allem für die Auswirkungen von Ackergiften auf Amphibien, Insekten und Säugetiere, z.B. Fledermäuse, den Feldhamster oder Vögel. Andere Ursachen sind die Verschmutzung von Luft, Wasser und Boden sowie die übermäßige Ausbeutung von Tieren durch illegale Entnahme und nicht nachhaltige Jagd und Fischerei. Weitere Faktoren sind dem Bericht zufolge Veränderungen an Flüssen und Seen (z.B. Staudämme und Wasserentnahme), invasive gebietsfremde Arten und der Klimawandel. „Unsere Bewertung zeigt, dass die Erhaltung der Gesundheit und Widerstandsfähigkeit der Natur und des Wohlergehens der Menschen grundlegende Änderungen in der Art und Weise erfordert, wie wir Lebensmittel erzeugen und konsumieren, Wälder bewirtschaften und nutzen und Städte bauen“, erklärte Hans Bruyninckx, Exekutivdirektor der EUA. „Diese Anstrengungen müssen mit einer besseren Umsetzung und Durchsetzung der Naturschutzpolitik, einem Schwerpunkt auf der Wiederherstellung der Natur sowie immer ehrgeizigeren Klimaschutzmaßnahmen, insbesondere im Verkehrs- und Energiesektor, einhergehen.“ (ab)

20.10.2020 |

Jahrbuch: Klima, Ernährung, Mensch und Natur hängen zusammen

Infografik
Infografiken aus dem Jahrbuch (Foto: RtFNWatch Supplement)

In der Vergangenheit hat die Politik den Menschen und die übrige Natur isoliert betrachtet – mit fatalen ökologischen und sozialen Folgen, wie die Unweltzerstörung, die Emission von Treibhausgasen und die Vertreibung von Gemeinschaften von ihrem Land. Doch Welternährung, Klimagerechtigkeit, Menschenrechte und der Schutz der Biodiversität gehören zusammen, heißt es im neuen „Jahrbuch zum Recht auf Nahrung“, das von der Menschenrechtsorganisation FIAN und dem evangelischen Hilfswerk Brot für die Welt anlässlich des Welternährungstags am 16. Oktober präsentiert wurde. Daher sei es unerlässlich, dass wir zur Bewältigung der aktuellen Krisen Natur und Mensch wieder zusammenzubringen. Und die Ernährung, bei der unsere Verbindung mit dem Rest der lebenden Welt am augenfälligsten ist, ist der perfekte Ausgangspunkt dafür. Hier fordert das Jahrbuch eine grundsätzliche Umgestaltung der Art und Weise gefordert, wie wir Lebensmittel produzieren, verteilen und konsumieren. Aber neu gedacht werden müsse auch, wie wir uns kollektiv gegen die Ausbeutung der Natur wehren. Notwendig sei eine viel engere Zusammenarbeit der Bewegungen für Klimagerechtigkeit, Ernährungssouveränität und Menschenrechte.

Das in englischer Sprache erhältliche Jahrbuch 2020 wurde vom „Global Network for the Right to Food and Nutrition“ herausgegeben, dem 49 Organisationen aus aller Welt angehören. Es ist gegliedert in fünf Kapitel, in denen dargelegt wird, wie alles zusammenhängt: die Zunahme des Hungers mit dem Klimawandel, mit dem Verlust der Biodiversität, mit der Verbreitung von Infektionskrankheiten wie Zoonosen und das wiederum mit der Verdrängung der bäuerlichen Landwirtschaft durch die industrielle Agrarproduktion. „Die industrielle Landwirtschaft ist mit dem Versprechen angetreten, den Hunger zu besiegen. Doch die Zahl der Menschen, die an Hunger leiden, steigt seit fünf Jahren kontinuierlich an – trotz stark wachsender Agrarproduktion“, so Bernhard Walter, Agrarexperte von Brot für die Welt. „Parallel dazu wird unsere Ernährung immer einseitiger.“ Denn nur noch 4% der etwa 300.000 essbaren Pflanzen nutzt der Mensch tatsächlich für seine Ernährung. Und lediglich drei Pflanzen, nämlich Mais, Reis und Weizen, sichern heute 60 Prozent der weltweiten pflanzlichen Kalorien und Proteine. Die vermeintliche Vielfalt im Supermarktregal ist also ein Trugschluss. „Es ist offensichtlich, dass die heutigen Gesellschaften und ihre aktuellen Ernährungsgewohnheiten – durch die sogenannten ‚modernen Ernährungssysteme‘ – zur Biodiversitätskrise beigetragen haben sowie zu einem erhöhten Risiko von bestehenden und neuen Zoonosen, wie der COVID-19-Pandemie“, schreibt Hernando Salcedo Fidalgo von FIAN Kolumbien in seinem Kapitel.

„Wenn wir das Recht auf Nahrung umsetzen wollen und Ernährung ausgewogen gestalten wollen, müssen wir die Ernährungssysteme in Richtung Agrarökologie entwickeln. So erhalten wir die Vielfalt der Sorten, und die Landwirtschaft kann sich besser an die Folgen des Klimawandels anpassen“, sagt Walter. Philipp Mimkes, Geschäftsführer von FIAN Deutschland, ergänzt: „Hierfür müssen die Rechte von Bauern, indigenen Völkern und all jenen Gemeinschaften, die sich um lokale Ökosysteme kümmern und mittels der Agrarökologie nachhaltig Nahrungsmittel produzieren, im Mittelpunkt stehen.“ Er betont, dass Kleinbauern und Indigene die Vorreiter eines solchen Wandels seien, denn sie produzieren im globalen Süden heute schon bis zu 80% der Lebensmittel – und das, obwohl sie nur über 25% der Agrarfläche verfügen. Hier kritisieren die Herausgeber jedoch, dass gerade diese Bevölkerungsgruppen von der Politik oder bei internationalen Abkommen und Konferenzen oft übersehen werden. „Mit Blick auf die 2021 anstehenden UN-Konferenzen zu Ernährung, Biodiversität und Klima besteht die Chance, diese Kluft zu überwinden“, hebt Mimkes hervor. Die Bundesregierung müsse sich an den Bedürfnissen marginalisierter Bevölkerungsgruppen in den Ländern des Südens orientieren und dafür sorgen, dass diese bei der Vorbereitung der Gipfel stärker eingebunden werden.

In einem weiteren Kapitel spricht Marta Guadalupe Rivera Ferre in einem Interview über den Zusammenhang zwischen Klima, Land und dem Recht auf Nahrung. Sie war sowohl am Weltagrarbericht (IAASTD) beteiligt als auch am Sonderbericht des Weltklimarates IPCC zum Thema Klimawandel und Land von 2019 (siehe auch ihr Artikel zum Sonderbericht im kürzlich erschienenen Buch „Transformation of our food systems“ am Ende dieser Nachricht). Ihr Kapitel im Sonderbericht zeigt die genannten Zusammenhänge ebenfalls auf: „Wir haben uns Ernährungssicherheit in all ihren Dimensionen angeschaut und wie sie durch den Klimawandel beeinflusst wird, sowie den Beitrag von Ernährungssystemen zum Klimawandel in Form von Treibhausgasemissionen“, erläutert Rivera Ferre. Aber auch, wie die Landwirtschaft einen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten kann. Hier kam die Agrarökologie ins Spiel: „Wir wollten zeigen, wie einige landwirtschaftliche und agrarökologische Praktiken, wie der Humusaufbau im Boden, der Anbau von Zwischenfrüchten, Fruchtfolge, usw. sowohl zur Abmilderung als auch zur Anpassung an den Klimawandel beitragen können.“ Wenn wir den Schwerpunkt auf die Agrarökologie legen, können wir eine stärker integrierte Antwort auf den Klimawandel liefern, betont Rivere Ferre. (ab)

13.10.2020 |

Positionspapier: NGOs fordern Kehrtwende bei der Hungerbekämpfung

Positionspapier
Cover des Positionspapiers

Eine radikale Kehrtwende bei der Hungerbekämpfung ist unerlässlich und die Bundesregierung muss ihren Einfluss nutzen, um auf eine gerechte, agrarökologische und demokratische Ausrichtung der globalen Ernährungssysteme hinzuwirken. Das fordert ein Bündnis von 46 deutschen Nichtregierungsorganisationen im Vorfeld des Welternährungstages, der am 16. Oktober begangen wird. In einem von MISEREOR, FIAN, INKOTA, Oxfam und Brot für die Welt herausgegebenen Positionspapier stellen sie 11 notwendige Schritte vor und liefern 60 Empfehlungen, wie sich die Bundesregierung in den jeweiligen Bereichen für eine Welt ohne Hunger einsetzen kann. Mit den UN-Nachhaltigkeitszielen (SDGs) hatten sich die UN-Mitglieder und damit auch Deutschland dazu bekannt, bis 2030 den Hunger auf der Welt zu beseitigen. Doch seit fünf Jahren steigt die Zahlen der hungernden Menschen wieder stetig an. 2019 litten rund 690 Millionen Menschen chronisch an Hunger, 10 Millionen mehr als im Vorjahr. Die Vereinten Nationen schätzen, dass ohne eine radikale Kehrtwende bei der Hungerbekämpfung im Jahr 2030 schon 840 Millionen Menschen hungern werden. Daher fordern die Organisationen aus den Bereichen Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung und Entwicklungszusammenarbeit, darunter auch die Zukunftsstiftung Landwirtschaft, dass die Strategien gegen Hunger neu ausgerichtet und die politischen Voraussetzungen geschaffen werden, um die globalen Ernährungssysteme umzugestalten.

„Mit Menschenrechten gegen den Hunger, statt Vereinnahmung durch Konzerne“, lautet die erste der 11 Forderungen oder Schritte. „Wer den Hunger bekämpfen will, muss die Rechte der Menschen stärken, die von Hunger betroffen sind“, erklärt Sarah Schneider, Welternährungexpertin bei MISEREOR, sprich: z.B. die Rechte von kleinbäuerlichen Erzeuger*innen, Indigenen, Fischer*innen, Arbeiter*innen und Frauen achten, fördern und schützen. Die Bundesregierung und die UN müssten daher den Grundsatz „Nichts über uns ohne uns“ in allen Bereichen und Programmen zentral verankern. Das gelte auch für den 2021 stattfindenden UN-Welternährungsgipfel (Food Systems Summit), wo die Weichen für die Ernährungspolitik neu gestellt werden sollen, aber die am meisten von Hunger und Armut Betroffenen bisher nicht in die Planungen mit einbezogen werden. Das unterstreicht auch Stig Tanzmann, Landwirtschafts-Experte von Brot für die Welt: „Kleinbäuerliche Betriebe erzeugen einen Großteil der Lebensmittel und sind zugleich überproportional von Hunger betroffen. Deshalb brauchen sie Zugang zu politischen Entscheidungsprozessen, damit ihr Zugang zu Land, Wasser, Saatgut und Wissen endlich gesichert wird. Sie müssen über ihre Zukunft mitbestimmen können“, so Tanzmann. Die Corona-Pandemie habe gezeigt, wie problematisch es ist, wenn Kleinbauern, Landarbeiterinnen, Indigene und Frauen bei Entscheidungen übergangen werden.

Zudem fordern die Organisationen die Regierung auf, Agrarökologie statt das Agrobusiness zu fördern. Sie solle den Aufbau von ökologischen, gerechten und widerstandsfähigen Ernährungssystemen auf lokaler und regionaler Ebene unterstützen, die die Interessen von kleinbäuerlichen Erzeuger*innen und Arbeiter*innen vor die Profitinteressen der Agrar- und Lebensmittelindustrie stellen. Das BMZ sollte deshalb systematisch agrarökologische Ansätze fördern und den Aufbau agrarökologischer Netzwerke und Basisorganisationen im globalen Süden, besonders von Frauen, finanziell unterstützen. Des Weiteren müsse der Einsatz von chemisch-synthetischen Düngemitteln und Pestiziden stufenweise bis 2030 beendet werden. In der Entwicklungszusammenarbeit dürfe keine (alte und neue) Gentechnik zum Einsatz kommen und finanziert werden, so eine weitere Empfehlung. Es wird auch an die Bundesregierung appelliert, sich national und international für Agrarökologie als zentrales Förderkonzept bei Klimaschutz und Klimaanpassung im Agrar- und Ernährungsbereich einzusetzen. „Bei agrarökologischen Ansätzen wird vielfältiges Saatgut eingesetzt, die Bodenfruchtbarkeit verbessert und Humus im Boden aufgebaut. Dies bringt viele Vorteile: stabilere Ernten, weniger Krankheits- und Schädlingsdruck sowie eine verbesserte Wasserregulierung und mehr gespeicherter Kohlenstoff im Boden“, so das Papier.

Das Bündnis sieht die Gründe für die fehlenden Fortschritte bei der Hungerbekämpfung maßgeblich darin, dass sich die Politik an den Interessen großer Konzerne ausrichtet. Weitere Forderungen lauten daher: „Menschenwürdige Arbeitsbedingungen statt Hungerlöhne und Ausbeutung“, „Gerechter Agrarhandel statt neo-liberale Agrarhandelspolitik“ oder „Vorrang der Menschenrechte vor Profitgier, Nahrungsmittelspekulation und Schuldendienst“. Weltweit leiden viele Landarbeiter*innen unter katastrophalen Arbeits- und Lebensbedingungen, sind hochgefährlichen Pestiziden ausgesetzt und sie gehören zu den ärmsten Menschen im ländlichen Raum und viele von ihnen hungern – obwohl sie dort leben, wo Lebensmittel produziert werden oder diese gar selbst für internationale Märkte produzieren, ist in dem Papier nachzulesen. „Kleinbäuerliche Erzeuger und Landarbeiterinnen hungern, weil sie in globalen Lieferketten ausgebeutet werden, weil ihre Lebensgrundlagen zerstört werden und der Klimawandel sie besonders stark trifft“, kritisiert Philipp Mimkes, Geschäftsführer von FIAN. Trotz harter Arbeit erzielen sie keine existenzsichernden Einkommen und Löhne. Die NGOs betonen, dass Landwirtschaft und Ernährung nicht den konzerndominierten Märkten überlassen werden darf. „Die enorme Macht von großen Konzernen ist nicht alternativlos. Die Bundesregierung hat es in der Hand, die Macht der Konzerne zurückzudrängen“, erklärt Marita Wiggerthale, Agrarexpertin bei Oxfam. Sie könnte etwa Patente auf Leben verbieten und eine rechtliche Grundlage schaffen, um übermächtige Konzerne zu entflechten.“ (ab)

24.09.2020 |

Buch: Wie die Transformation unserer Ernährungssysteme gelingt

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Cover des Buches

Die COVID-19-Pandemie bringt große Ungerechtigkeiten und ein Systemversagen der heute vorherrschenden Landwirtschafts- und Ernährungssysteme schonungslos ans Licht. Sie haben sich beschleunigt im Laufe des vergangenen Jahrzehntes, das wohl als die destruktivste Periode globaler Landwirtschaft und Ernährung in die Geschichte eingehen wird. In ihrem neuen Buch „Transformation of our food systems – the making of a paradigm shift“ beschreiben 40 internationale Expertinnen und Experten Entwicklungen und Meilensteine seit Veröffentlichung des „Weltagrarberichts“ (IAASTD) der Vereinten Nationen, der einen Paradigmenwechsel in der Wahrnehmung des globalen Ernährungssystems einleitete.

„Weiter wie bisher ist keine Option“ war die provokante Botschaft von mehr als 400 Autorinnen und Autoren des 2009 im Auftrag der UNO und der Weltbank erstellten „International Assessment of Agricultural Knowledge, Science and Technology for Development“ (IAASTD). Dieser sogenannte „Weltagrarbericht“ ist die bis heute umfassendste Bestandsaufnahme der globalen Landwirtschaft. Heute sind sich die meisten internationalen Vertreter*innen von Wissenschaft, Politik, Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft der Welt einig, dass unsere Ernährungssysteme grundlegend transformiert werden müssen. Nur so können sie den enormen Herausforderungen von heute und morgen widerstehen: der Klima- und der Biodiversitätskrise, der Erschöpfung natürlicher Ressourcen sowie der zunehmenden Unter- und Fehlernährung und deren gesundheitlichen Auswirkungen. Denn das vergangene Jahrzehnt war die vielleicht destruktivste Periode der globalen Ernährungssysteme für die Ökosysteme, aber auch für das soziale und kulturelle Gefüge ländlicher Gemeinschaften weltweit.

40 Landwirtschafts- und Ernährungsexpertinnen und -experten, die meisten von ihnen bereits am IAASTD beteiligt, beschreiben die Entwicklung der Diskussion und der Realität unserer Ernährungssysteme des letzten Jahrzehntes in ihrem gemeinsamen Buch „Transformation of our food systems – the making of a paradigm shift“ (Umgestaltung unserer Ernährungssysteme – die Entstehung eines Paradigmenwechsels). 13 internationale wissenschaftliche Folgeberichte und UN-Abkommen werden von an diesen Prozessen Beteiligten vorgestellt und erläutert. In 15 Beiträgen beschreiben dazu ehemalige IAASTD-Autor*innen die wichtigsten Entwicklungen im Laufe der vergangenen Dekade, die auch mit 13 Infografiken illustriert werden. Das Buch kam auf Initiative von Hans Herren, Träger des Welternährungspreises und ehemaliger Ko-Präsident des IAASTD, und Benny Haerlin, einem NGO-Vertreter im IAASTD-Büro und langjährigen Ernährungs- und Agraraktivisten, zustande. Sie wurden von einem 16-köpfigen Beirat unterstützt.

„Diese Mischung internationaler Ansichten und Perspektiven ist eine Fundgrube für Entscheidungstragende, Aktivistinnen, Wissenschaftler und Praktikerinnen vom Feld bis zum Teller“, so Benny Haerlin. „Es beschreibt die Unausweichlichkeit der Transformation, zeigt wie sie gelingen kann und wo sie bereits stattfindet.“ Das Buch richtet sich auch an das in diesem Jahr virtuell ausgerichtete hochrangige Treffen des UN-Welternährungsausschusses (Committee on World Food Security, CFS). Erstmals steht hier Mitte Oktober die Agrarökologie im Mittelpunkt der Diskussion, in der es auch um einen „besseren Wiederaufbau“ („build-back-better“) nach COVID-19 geht. „Dieses Buch zeigt aus verschiedenen Perspektiven, dass der agrarökologische Ansatz das wichtigste, umfassendste und innovativste Konzept für eine nachhaltige Transformation unserer Ernährungssysteme ist“, sagt dazu Hans Herren. „Das ist auch unsere besorgte und kritische Botschaft an den sogenannten Food Systems-Gipfel im kommenden Jahr, der zurzeit unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen organisiert wird“.

11.09.2020 |

Anpassung an den Klimawandel: Studie belegt Potenzial der Agrarökologie

Biov
Agrarökologisch produzierende Kleinbauern in Kenia (Foto: Peter Lüthi/Biovision)

Die Agrarökologie birgt großes Potenzial, um die Landwirtschaft an den Klimawandel anzupassen und Agrarökosysteme widerstandsfähiger gegenüber den Folgen des Klimawandels zu machen. Das ist die Botschaft einer Studie, die im August von der UN-Welternährungsorganisation FAO und der Schweizer Stiftung Biovision veröffentlicht wurde. Die Auswirkungen des Klimawandels stellen Bäuerinnen und Bauern weltweit vor enorme Herausforderungen. Dürren, Unwetter und Überschwemmungen bedrohen ihre Existenz und Ernährungssicherheit. In Subsahara-Afrika, das im Fokus der Studie steht und wo aktuellen Zahlen der FAO zufolge ohnehin schon 22% der Bevölkerung chronisch unterernährt sind, trifft es Landwirte besonders hart: Unregelmäßige Regenzeiten, Dürren, Stürme und Überflutungen zerstören immer häufiger ihre Ernten und damit ihre Lebensgrundlage. Unsere Ernährungssysteme müssen dringend nachhaltiger und widerstandsfähiger gestaltet werden, betonen die Autoren. „Die vorliegende Studie (…) liefert solide Beweise dafür, dass vielfältige agrarökologische Systeme, die auf lokalen Gemeinschaften aufbauen, die Widerstandsfähigkeit gegen den Klimawandel erhöhen“, schreiben René Castro von der FAO und Frank Eyhorn, Geschäftsführer von Biovision, im Vorwort zum Bericht. „Die Agrarökologie ist kein Patentrezept, aber sie liefert dringend benötigte Impulse und Prinzipien, um Ernährungssysteme im Einklang mit den UN-Nachhaltigkeitszielen umzugestalten.“

Die Studie führt die Ergebnisse drei verschiedener Analysen zusammen: Die Autoren untersuchten zum einen die Rolle der Agrarökologie in der internationalen Klimapolitik, insbesondere im Rahmen der Prozesse der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC). Zum anderen wurde eine Metaanalyse von wissenschaftlichen Peer-Review-Studien zu Agrarökologie und Klimawandel vorgenommen und drittens zwei Fallstudien ausgewertet, die sich die institutionellen Rahmenbedingungen für Agrarökologie in Kenia und im Senegal sowie die Widerstandsfähigkeit agrarökologischer Systeme im Feld ansehen. Laut der Meta-Analyse gibt es robuste wissenschaftliche Belege, die zeigen, dass agrarökologische Methoden, einschließlich des Ökolandbaus, die Klimaresistenz erhöhen. Das liegt daran, dass sie auf Schlüsselelementen aufbauen, die für die Anpassungsfähigkeit an den Klimawandel wichtig sind. „Agrarökologie erhöht die Anpassungsfähigkeit und verringert die Verletzlichkeit von Agrarökosystemen, vor allem durch verbesserte Bodengesundheit, Biodiversität und hohe Diversifizierung von Arten und genetischen Ressourcen innerhalb landwirtschaftlicher Produktionssysteme“, heißt es in der Studie. So tragen agrarökologische Methoden etwa zur Erhöhung der organischen Bodensubstanz (Kohlenstoffbindung) bei. „Gesunde Böden sind der Schlüssel für eine nachhaltige Landwirtschaft und für Ernährungssysteme, welche mit den Herausforderungen des Klimawandels umgehen und Ernährungssicherheit garantieren können“, sagte der Mitautor der Metaanalyse Adrian Müller vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL), das zur Studie beigetragen hat. „Die Umsetzung der Agrarökologie in die Praxis und der biologische Landbau haben solche gesunden Böden zur Folge und verdienen deshalb umfassende Förderung.“

Die zwei Fallstudien zeigen, dass bäuerliche Betriebe, die sich in Kenia und Senegal an agrarökologischen Projekten beteiligten, widerstandsfähiger gegenüber den Folgen des Klimawandels sind als Betriebe aus der Kontrollstichprobe und sie besser Krisenzeiten bewältigen und ihre Familien ernähren konnten. Die Studie ergab auch, dass es der interdisziplinäre und systemische Charakter der Agrarökologie ist, der ihr Transformationspotenzial ausmacht. Doch genau darin liege auch die Herausforderung: Agrarökologie ist wissensintensiv und um sie in der landwirtschaftlichen Ausbildung, Beratung und Forschung voranzubringen, bedarf es geeigneter Strategien. Heutige Gesetze, Politikinstrumente und Strategien greifen hier in der Regel jedoch zu kurz. Die Studie enthält auch Empfehlungen, wie das Potenzial der Agrarökologie voll ausgeschöpft werden kann. Angesichts der soliden Wissensbasis müsse darauf hingewirkt werden, dass sie als tragfähige Anpassungsstrategie an den Klimawandel anerkannt wird. Positiv zu vermelden sei bereits, dass die Agrarökologie an Schwung gewinnt: Immer mehr Länder und Interessenvertreter mit unterschiedlichen Hintergründen würden die Agrarökologie und verwandte Ansätze als ein vielversprechendes Mittel betrachten, u.a. als relevanten Ansatz in den internationalen Agrar-Klima-Diskussionen. Zudem empfehlen die Autoren, die Hindernisse für die Verbreitung der Agrarökologie entschlossen anzugehen: Ein verbesserter Zugang zu Wissen und Verständnis für systemische Ansätze müsse in allen Sektoren und unter allen Stakeholdern auf allen Ebenen gefördert werden. „Die Politik muss ein günstiges Umfeld und gleiche Ausgangsbedingungen schaffen, um die Übernahme agrarökologischer Prinzipien zu fördern. Eine evidenzbasierte Politikgestaltung ist daher das Gebot der Stunde“, betonen Castro und Eyhorn im Vorwort. Zudem braucht es den Autoren zufolge weitere vergleichende Forschung zu Agrarökologie. „Die Entscheidungsträgerinnen und -träger sind jetzt gefragt, die Weichen neu zu stellen – und zwar in Richtung Agrarökologie“, fordert Eyhorn. (ab)

26.08.2020 |

Wissenschaftlicher Beirat fordert Transformation des Ernährungssystems

Gemuese
Eine nachhaltigere und gesündere Ernährung ist nötig (Foto: CC0)

In Deutschland braucht es dringend einen Umbau des Ernährungssystems und eine integrierte Politik für eine nachhaltigere Ernährung, um nationale und internationale Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Das ist die Botschaft eines Gutachtens, das der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) am 21. August an Bundesministerin Julia Klöckner übergab. „Es geht um einen politischen Paradigmenwechsel. Die gegenwärtige Gestaltung unserer Ernährungsumgebungen macht es Konsumenten und Konsumentinnen sehr schwer, sich nachhaltiger zu ernähren“, sagt WBAE-Vorsitzender Professor Harald Grethe von der HU Berlin. Hier hinke die Bundesrepublik im europäischen und teils auch im globalen Vergleich hinterher, da die Verantwortung zu stark auf das Individuum verlagert werde und viele verfügbare Steuerungsinstrumente ungenutzt blieben, schreiben die 18 Expertinnen und Experten. „Wir benötigen stärkere politische Steuerungsimpulse für die Unterstützung nachhaltigerer Konsumentscheidungen.” Ihr Fazit lautet: „Eine umfassende Transformation des Ernährungssystems ist sinnvoll, sie ist möglich und sie sollte umgehend begonnen werden.“

Zunächst definiert das Gutachten vier zentrale Zieldimensionen einer nachhaltiger Ernährung (Gesundheit, Soziales, Umwelt und Tierwohl) und beschreibt die aktuellen Probleme. Gemessen an seinem Wohlstand stehe Deutschland bezüglich ernährungsbezogener Gesundheitsindikatoren (z. B. hoher Anteil von übergewichtigen oder fettleibigen Menschen) nur mittelmäßig da. „Armut korreliert deutlich mit ernährungs(mit)bedingten gesundheitlichen Beeinträchtigungen“, heißt es. Im Bereich Soziales existiere zwar eine weitreichende Arbeits- und Sozialgesetzgebung in Deutschland, doch zugleich gebe es Hinweise auf Umsetzungsdefizite, gerade im Bereich der Saison- und Leiharbeitskräfte sowie in der Schlachtindustrie und Gastronomie. In der globalen Lieferkette bei Agrarprodukten seien Zwangsarbeit, schwerwiegende Formen der Kinderarbeit und andere Verletzungen häufig. Auch Umweltprobleme gibt es zuhauf: „In der Wertschöpfungskette für Lebensmittel (…) treten vermeidbare negative ökologische Effekte auf, insbesondere hinsichtlich Biodiversität, Überschüssen an reaktiven Stickstoffverbindungen und Treibhausgasemissionen“ schreiben die Wissenschaftler. Die Verlagerung des Konsums auf umwelt- und klimaverträglichere Lebensmittel, z.B. durch eine Reduktion des Konsums tierischer Produkte und von Lebensmittelverschwendung, ist noch ausbaufähig. Beim Tierwohl seien in den letzten Jahren zwar Einzelschritte in Richtung eines Umbaus der landwirtschaftlichen Tierhaltung hin zu mehr Tierschutz erfolgt. Doch eine umfassende, von politisch legitimierten Entscheidungsträgern verabschiedete Strategie, die auch die Finanzierung umfasst und damit größere Fortschritte ermöglicht, fehle noch.

Basierend auf seiner Analyse spricht der WBAE neun Empfehlungen für eine Transformation des Ernährungssystems aus, die mit politischen Instrumenten umgesetzt werden sollen, die besser als bisher aufeinander abgestimmt und deutlich eingriffstiefer sein müssen. 1. soll ein Systemwechsel in der Kita- und Schulverpflegung herbeigeführt werden, u.a. durch eine beitragsfreie und qualitativ hochwertige Verpflegung. 2. soll der Konsum tierischer Produkte global verträglich gestalten werden. Das Motto lautet „Weniger und besser”. Das soll durch ein umfassendes Programm gelingen, das u.a. den reduzierten Mehrwertsteuersatz für tierische Erzeugnisse abschafft und perspektivisch eine Nachhaltigkeitssteuer einführt. Zudem soll ein verpflichtendes Klimalabel für Lebensmittel entwickelt und eine Infokampagne zur Sensibilisierung der Verbraucher für die Klimabilanz tierischer Produkte durchgeführt werden. 3. sollten Preisanreize deutlich verstärkt und ungesunde bzw. nicht nachhaltige Produkte teuer werden, z.B. durch eine Verbrauchssteuer auf zuckerhaltige Getränke, die mit dem Zuckergehalt steigt. Hierdurch entstehende finanzielle Spielräume für Investitionen in nachhaltigere Ernährung, z.B. durch eine Steuerrückzahlung für ärmere Haushalte, eine Mehrwertsteuersenkung für Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte oder den Umbau hin zu einer tierfreundlicheren Nutztierhaltung. „Die so dringend nötige ökologische Transformation wird nur akzeptiert werden, wenn wir sie sozialverträglich gestalten“, so Professor Grethe. „Es ist ärgerlich, wenn in der politischen Debatte etwa um CO2-Steuern oder die Besteuerung des Konsums tierischer Produkte vorgeschoben wird, das sei nicht möglich, weil einkommensschwachen Haushalten nicht zuzumuten.“ Denn es gebe viele Modelle, um diese Haushalte zu entlasten, etwa durch pauschale Transferzahlungen.

Viertens müssen den Verbrauchern verlässliche Informationen bereitgestellt werden, um Wahlmöglichkeiten zu schaffen. Dazu müsse eine wirksame Labelpolitik entwickelt werden und die Werbeumgebung nachhaltiger gestaltet werden, z.B. durch eine Einschränkung von an Kinder gerichtete Werbung für nicht oder wenig gesunde Lebensmittel oder eine verpflichtende Angabe des Nutri-Scores in der Lebensmittelwerbung. Fünftens müsse nachhaltigere Ernährung als das „New Normal“ gelten. Kleinere Portionsgrößen müssten dafür zum Standard gemacht werden, die Bevölkerung zum Trinken von mehr Leitungswasser statt zuckerhaltigen Getränken animiert und Lebensmittelabfälle effizient reduziert werden. Sechstens müssten Angebote in öffentlichen Einrichtungen verbessert und Großküchen nachhaltiger gestaltet werden.

Die 8. Empfehlung lautet: „Landbausysteme weiterentwickeln und kennzeichnen – „Öko und mehr”. Die Förderung des Ökolandbaus solle ausgebaut werden, u.a. mit dem Ziel, die Ertragslücke zwischen ökologischem und konventionellem Landbau zu verringern. „Der WBAE unterstützt in der Gesamtschau eine Förderung des Ökolandbaus und empfiehlt ihn als ein Element eines nachhaltigeren Lebensmittelkonsums, und dies umso mehr, je stärker ein Konsum von Bioprodukten mit einer Reduktion des Konsums tierischer Produkte und einer Verringerung der Lebensmittelverschwendung einhergeht.“ Klar sei aber auch, dass eine Ausdehnung des Ökolandbaus in Deutschland nicht das einzige Instrument sein sollte, um die durch die Landwirtschaft bedingten Umweltprobleme zu lösen. Es seien zudem deutliche Anpassungen in der konventionellen Landwirtschaft notwendig und die Etablierung von Zwischenformen nachhaltigerer Landbausysteme, die bei den Umweltleistungen mit dem Ökolandbau mithalten können, aber höhere Erträge erzielten. Dies könne in zertifizierungsfähige Landbaustandards münden, für die dann ein Label nötig sei. Und 9. müsse das Politikfeld „Nachhaltigere Ernährung” aufgewertet und institutionell weiterentwickelt werden. Das Fazit des Beirates lautet: „Die Realisierung der empfohlenen Maßnahmen erfordert erhebliche staatliche Mehrausgaben.“ Im Verhältnis zu den derzeitigen und künftig erwartbaren hohen sozialen und individuellen (Folge)Kosten unserer gegenwärtigen Ernährung stellen diese Ausgaben jedoch laut dem WBAE eine gesamtgesellschaftlich gebotene Investition dar. Wir können es uns also nicht leisten, die erforderliche Neuausrichtung zu verschieben. (ab)

22.08.2020 |

Erdüberlastungstag: COVID-19 verringert den Ressourcenverbrauch

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Wir verbrauchen immer noch mehr als eine Erde (Foto: CC0)

Auf den 22. August fällt dieses Jahr der „Earth Overshoot Day“ – das Datum, an dem die Menschheit die für 2020 nachhaltig nutzbaren Ressourcen verbraucht hat. Für den Rest des Jahres leben wir wieder auf Pump und strapazieren das Ressourcenbudget der Natur über das regenerierbare Maß hinaus. Das zeigen Berechnungen der internationalen Nachhaltigkeitsorganisation „Global Footprint Network“ und der York University. Aufgrund der Coronakrise hat sich das Tempo der Übernutzung dieses Jahr etwas verlangsamt – 2019 war der Erdüberlastungstag schon am 29. Juli. Die Verschiebung um mehr als drei Wochen nach hinten im Kalender ist die erste Trendwende seit der letzten leichten „Verschnaufpause“ für den Planeten im Jahr 2009. Doch Grund zum Feiern gibt es noch nicht: „Das diesjährige plötzliche Schrumpfen des ökologischen Fußabdrucks darf nicht mit Fortschritt verwechselt werden“, sagte Laurel Hanscom, CEO des Global Footprint Network. Zwar ist der Fußabdruck um fast 10% geschrumpft, doch es sei eine erzwungene Reduzierung, die Leid verursacht habe. Und: Um unseren Konsum zu decken, sind rein rechnerisch immer noch 1,6 Erden nötig. Doch eines zeigt die Verlangsamung: Durch ein anderes Wirtschaften und Konsumieren kann der Ressourcenverbrauch auf ein verträglicheres Maß sinken.

Das Global Footprint Network berechnet den Erdüberlastungstag jährlich neu. Gegenübergestellt werden dabei einerseits die biologische Kapazität der Erde zum Aufbau von Ressourcen sowie zur Aufnahme von Müll und Emissionen und andererseits der ökologische Fußabdruck – der Bedarf an Acker-, Weide- und Bauflächen, die Entnahme von Holz, Fasern oder Fisch, aber auch der CO2-Ausstoß und die Müllproduktion. Der weltweite Overshoot begann in den frühen 1970er-Jahren. Seither hat sich eine ökologische Schuld von 18 Erdenjahren angehäuft, betont das Netzwerk: Dies bedeutet, dass sich unser Planet 18 Jahre vollständig regenerieren müsste, um die Schäden der Übernutzung der natürlichen Ressourcen wieder auszugleichen – falls die Schäden reversibel sind. Doch eine Trendwende ist nach wie vor möglich: „Es gibt viele Lösungswege, die gemeinschaftlich oder individuell angegangen werden können. Wir beeinflussen die Zukunft maßgeblich dadurch, wie wir die Nahrungsmittel produzieren, wie wir uns fortbewegen, wie wir uns mit Energie versorgen, wie viele Kinder wir haben und wie viel Land wir für wilde Tiere schützen“, so das Netzwerk. Würde etwa eine Halbierung der CO2-Emissionen gelingen, wäre der Erdüberlastungstag 115 Tage später. Allein durch das Verschieben des Earth Overshoot Day-Datums um 5 Tage pro Jahr nach hinten würden wir es noch vor 2050 schaffen, wieder innerhalb der Biokapazitäten des einen Planeten zu leben.

Doch das Global Footprint Network nennt fünf Schlüsselbereiche, die das größte Potenzial zur Begrenzung des ökologischen Overshoot bergen: Städte, Energie, Nahrung, Bevölkerung und Planet. Unser Nahrungssystem beansprucht heute bereits über 50% der Biokapazität des Planeten. Daher spiele es eine Rolle, wie und was wir essen. Ernährungsweisen, die weniger CO2-intensiv sind und die biologische Vielfalt schonen, sind nicht nur gesünder, sondern weisen auch einen kleineren ökologischen Fußabdruck auf. Tierische Kalorien sind in der Regel ressourcenintensiver in der Produktion als pflanzliche. Der ökologische Fußabdruck einer ausgewogenen vegetarischen Ernährung ist nach Berechnungen des Netzwerkes etwa 2,5 Mal geringer als der einer vor allem auf tierischen Proteinen beruhenden Ernährungsweise. Die chinesische Regierung hat sich dazu bekannt, bis 2030 den Fleischkonsum zu halbieren. Dies allein würde den Erdüberlastungstag um 5 Tage verschieben, unter anderem auch wegen geringerer Methanemissionen. Auch die Verschwendung von Lebensmitteln belastet den Planeten: Ein Drittel aller produzierten Lebensmittel gelangen immer noch nicht vom Acker auf die Teller der Verbraucher. Ein Halbieren der Lebensmittelabfälle würde den Earth-Overshoot-Day um 13 Tage verschieben.

Auch deutsche Organisationen mahnen anlässlich des Erdüberlastungstags zu einem Leben und Wirtschaften innerhalb der ökologischen Möglichkeiten des Planeten. BUNDjugend, FairBindung, Germanwatch und NAJU betonen in einer gemeinsamen Pressemitteilung, dass ein ressourcenschonender Weg aus der Coronakrise nötig sei, damit der Erdüberlastungstag auch 2021 weiter nach hinten verschoben werden kann. „Wenn dies kein Einmal-Effekt bleiben soll, müssen die Investitionen zur ökonomischen Erholung nach der Pandemie konsequent an Nachhaltigkeit gekoppelt werden“, sagt Steffen Vogel von Germanwatch. „Unsere Wirtschaft darf nicht länger an Profit ausgerichtet sein, der Klimaziele und Menschenrechte untergräbt. Der Ressourcenverbrauch muss sinken.“ Auch Constantin Kuhn aus dem Vorstand der BUNDjugend drängt auf ein Umsteuern: „Wenn wir jetzt nicht ambitioniert umsteuern, wird sich weltweit auch die Kluft zwischen Arm und Reich weiter verschärfen, die Abfallmengen werden weiter zunehmen und es wird teurer werden, diese Krisen abzuwenden – alles auf dem Rücken unserer und künftiger Generationen.“ (ab)

10.08.2020 |

Rückgang der Bienenbestände bedroht Ernten in Nordamerika

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Bienen sind wichtige Bestäuber (Foto: CC0)

Die Ernteerträge in den USA und Kanada könnten durch den Rückgang der Bestände von Bienen und anderen Bestäubern stark beeinträchtigt werden. Und die wilden Verwandten der Honigbiene sind für einige Nutzpflanzen von größerer Bedeutung als bisher gedacht, schreibt ein Team von Wissenschaftlern in der Fachzeitschrift „Proceedings of the Royal Society B“. Die Studie unter der Leitung der Rutgers University in New Jersey warnt, dass der Mangel an Bestäubern vor allem zu geringeren Erträgen bei wichtigen Nutzpflanzen wie Äpfeln, Kirschen und Blaubeeren führen könnte. „Wir haben festgestellt, dass viele Nutzpflanzen beschränkt bestäubt werden, was bedeutet, dass die Produktion höher wäre, wenn die Blüten verstärkt bestäubt würden“, sagte die Hauptautorin, Dr. Rachael Winfree von der Rutgers University. „Zudem zeigte sich, dass Honigbienen und Wildbienen eine vergleichbare Bestäubungsleistung erbringen.“ Den Autoren zufolge ist die Studie die erste, die den Beitrag der wildlebenden Bestäuber für die Befruchtung von Nutzpflanzen in den USA so umfassend bewertet.

„Die Bestäubung durch Insekten ist eine kritische Ökosystemdienstleistung, die für die Produktion der meisten Nutzpflanzen notwendig ist, einschließlich jener, die essentielle Mikronährstoffe liefern, und sie ist daher für die Ernährungssicherheit von elementarer Bedeutung“, heißt es in dem Artikel. Allein in den USA beläuft sich der Produktionswert von auf Bestäubung angewiesenen Nutzpflanzen auf über 50 Milliarden US-Dollar im Jahr. Das Schrumpfen der Bestände der Westlichen Honigbiene und ihrer wilden Verwandten bedeutet nicht nur Verluste für die Artenvielfalt, sondern auch für das Einkommen der Landwirte. Wenn die Bestände bestimmter Bestäuber abnehmen, sinken die Erträge aber nur, wenn es den Pflanzen auch an Bestäubung mangelt. Um mehr Informationen hierzu zu erhalten, ermittelten die Forscher daher für sieben Nutzpflanzen landesweit, ob die Bestäubungsleistung leidet. Im Rahmen eines von der Michigan State University koordinierten Projekts erhoben sie Daten zur Bestäubung und zum Ertrag von Äpfeln, Heidelbeeren, Süß- und Sauerkirschen, Mandeln, Wassermelonen und Kürbis. „Für jede Kulturpflanze wählten wir Studienfarmen in wirtschaftlich für die landesweite Produktion wichtigen Anbaugebieten dieser Kulturpflanzen aus, sodass diese Betriebe in Bezug auf Anbaubedingungen, Bestäubergemeinschaften und Betriebspraktiken repräsentativ für das Gros der Produktion waren“, erläutern die Autoren im Studiendesign.

Die Forscher fanden heraus, dass Äpfel, Süß- und Sauerkirschen sowie Heidelbeeren nachweislich beschränkt bestäubt werden, was darauf hindeutet, dass die Erträge derzeit niedriger sind, als sie sein könnten, wenn es mehr Bestäuber gäbe. Zudem stellten sie fest, dass Wild- und Honigbienen für die meisten Nutzpflanzen eine vergleichbare Bestäubungsleistung erbrachten, selbst in Regionen mit intensiver Landwirtschaft. Der Anteil der Besuche von Honigbienen oder Wildbienen war jedoch je nach Kulturpflanze unterschiedlich hoch. Wildbienen waren die häufigsten Besucher (74,6%) bei Kürbissen, ignorierten aber Mandelbäume komplett. Zudem waren sie bei Kirsche und Apfel stärker vertreten, bei Heidelbeere hingegen weniger. Die Studie beziffert auch den ökonomischen Wert von Honig- und Wildbienen basierend auf ihrem relativen Bestäubungsanteil. Die Forscher schätzten den Wert der Bestäubungsleistung von Honigbienen bei den untersuchten Nutzpflanzen auf jährlich 6,4 Milliarden Dollar, wobei allein 4,2 Milliarden auf die Mandelproduktion entfielen. Wildbienen schufen einen Produktionswert von 1,5 Milliarden Dollar pro Jahr. „Auf nationaler Ebene schätzten wir den Wert der wilden Bestäuber am höchsten bei Äpfeln ein mit einem Wert von $1,06 Milliarden, mit einem erheblichen Wert auch bei Süßkirsche ($145 Millionen), Wassermelone ($146 Mio.), Kürbis ($101 Mio.), Heidelbeere ($50 Mio.) und Sauerkirsche ($32 Mio.)“, heißt es in der Studie. Den Wert, den wilde Bestäuber bei allen bestäuberabhängigen Nutzpflanzen schaffen, ist natürlich deutlich höher.

Die Studie legt nahe, dass die Erträge gesteigert werden könnten, wenn Praktiken angewandt würden, die zur Erhaltung und Vermehrung von Wildbienen beitragen, wie z.B. die Verbesserung der Lebensräume mit blühenden Bäumen, Sträuchern und Wildblumen, oder indem andere Bestäuber als nur Honigbienen zum Einsatz kommen. Auch höhere Investitionen in Honigbienenvölker wären eine Option. „Die Bewirtschaftung des Lebensraums für einheimische Bienenarten und/oder die Aufstockung des Honigbienenbestands würde die Bestäubungsrate erhöhen und könnte die Pflanzenproduktion steigern“, sagte Rachael Winfree. Damit die Felder weiterhin bestäubt werden, empfiehlt die Professorin den Landwirten, ihre Betriebe umzustellen, „sodass Wildbienen dort leben können“. Das könne durch den Verzicht von Pestiziden gelingen, die giftig für Bienen sind, sagte sie der Presseagentur AFP. Pestizide kommen in den USA jedoch in Mengen zum Einsatz. Die Studie gibt Daten wieder, wonach Betriebe in den USA jedes Jahr 9 Milliarden Dollar für Pestizide ausgeben. „In Fällen, in denen die Bestäubungsleistung begrenzt ist, wird es kaum einen Nutzen bringen, große Summen für die Schädlingsbekämpfung auszugeben“, betonen die Autoren. (ab)

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