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16.10.2023 |

Welternährungstag: Hungerbekämpfung im Fokus unterschiedlicher Interessen

Muter
Die Vorräte von Millionen Menschen sehen dürftiger aus (Foto: CC0)

Am 16. Oktober ist Welternährungstag – und wie jedes Jahr rücken Hunger und Mangelernährung um diesen Tag herum wieder für eine Weile in den Fokus der Presse, von Veranstaltungen und Berichten oder sind Gegenstand politischer Willensbekundungen. Nichtregierungsorganisationen beklagen lautstark die mangelnden Fortschritte im Kampf gegen den Hunger und fordern zu entschlossenem Handeln auf. Und wie jedes Jahr werden die Artikel und Posts mit Bildern von traurig dreinblickenden Kindern mit dünnen Ärmchen dann auch recht schnell wieder abgelöst von anderen Schreckensmeldungen. Alljährlich bleibt festzustellen, dass die Weltgemeinschaft von ihrem Ziel, bis 2030 Hunger und alle Formen von Unterernährung zu beenden, meilenweit entfernt ist. Immer noch leidet eine Dreiviertelmilliarde Menschen weltweit an chronischer Unterernährung und nimmt dauerhaft zu wenige Kalorien zu sich. Die FAO gibt für 2022 eine Spanne von 691 bis 783 Millionen Hungernde an – meist wird mit 735 Millionen die goldene Mitte zitiert. Im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 ist die Zahl um weitere 122 Millionen Menschen in die Höhe geschnellt. 2,4 Milliarden Menschen – rund 30 Prozent der Weltbevölkerung – sind von mittlerer bis schwerer Ernährungsunsicherheit betroffen. Der Welthunger-Index 2023 vermeldet, dass die Hungersituation in 43 Ländern nach wie vor ernst oder sehr ernst ist. In der Zentralafrikanischen Republik waren etwa im Zeitraum 2020-2022 fast die Hälfte der Bevölkerung (48,7%) unterernährt.

Seit 1981 ruft die UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) jedes Jahr ein Motto aus, um den Tag zu begehen und die Aufmerksamkeit auf zentrale Aspekte für die Welternährung zu lenken. Wie schon 1994 und 2002 steht das Thema Wasser dieses Jahr im Mittelpunkt: „Wasser ist Leben. Wasser ist Nahrung. Niemanden zurücklassen“, lautet das Motto. Rund 2,4 Milliarden Menschen leben in Ländern, die unter starkem Wasserstress leiden. Süßwasser macht lediglich 2,5% der globalen Wasserreserven aus und die Landwirtschaft ist für 72% der globalen Süßwasserentnahme verantwortlich, schreibt die FAO auf ihrer Themenseite. Am 16. Oktober startet sie in die Woche mit einer großangelegten Zeremonie, bei der FAO-Generaldirektor QU Dongyu, der irische und italienische Staatspräsident und andere Gäste präsent sein werden. Am 19. Oktober geht es dann weiter mit dem „Junior World Food Day“, der Schüler*innen „eine unterhaltsame Veranstaltung mit Geschichten, Musik, Kunst und Tanz“ bieten soll, auf der sie mit Promis und Aktivist*innen übers Wassersparen und andere nachhaltige Praktiken debattieren können. Ein Promo-Video mit fröhlich tanzenden Kindern, die in mehreren Sprachen vom Wassersparen singen, soll die Jugend dazu inspirieren, sich für Veränderungen einzusetzen.

Mit dem Welternährungstag gibt die FAO auch den Startschuss zum einwöchigen World Food Forum (WFF) in Rom. Das Forum wurde 2021 als „unabhängiges, von der Jugend angeführtes globales Netzwerk von Partnern“ aus der Taufe gehoben, das eine globale Bewegung mit dem Ziel der Transformation der Agrar- und Ernährungssysteme und Erreichung der UN-Nachhaltigkeitsziele anstoßen soll. Neben Online-Veranstaltungen und anderen Plattformen ist die Großveranstaltung im Oktober das Aushängeschild des WFF. QU Dongyu hat mit der 3. Ausgabe des neuen Formats die Sitzung des Welternährungskomitees CFS von ihrem seit Jahren etablierten Termin in der Woche um den Welternährungstag herum auf die darauffolgende Woche verbannt. Das CFS ist die zentrale internationale und zwischenstaatliche Plattform der UN für Ernährungssicherheit und Ernährung, an der alle Mitgliedsstaaten, aber auch die Zivilgesellschaft, der Privatsektor und das Hochrangigen Expertengremium (HLPE) als wissenschaftlicher Arm des CFS mitwirken. NGOs kritisiert seit Langem, dass das Welternährungskomitee als inklusivstes multilaterales Gremium zunehmend entmachtet werde und die FAO stattdessen verstärkt auf Multistakeholder-Koalitionen baue, bei denen private Konzerne und Stiftungen immer mehr Einfluss gewinnen.

Die Menschenrechtsorganisation FIAN International und die US-NGO „Corporate Accountability“ veröffentlichten im Vorfeld des „World Food Forum“ einen Bericht, in dem sie den Einfluss von Konzernen auf die Agenda des WFF kritisieren. Sie nahmen die 44 Kooperationspartner, die auf der WFF-Webseite stehen, genauer unter die Lupe und kamen zu dem Ergebnis, dass 40% davon mindestens eine Verbindung zur Lebensmittel- oder Agrarindustrie, Pharmazie- oder Technologie-Unternehmen pflegten und dass 16 Kooperationspartner mehrere oder sich überschneidende Beziehungen mit Organisationen hatten, die von Konzernen finanziert werden. Das diesjährige WFF werde eindeutig von unternehmensgesteuerten Narrativen, der Vereinnahmung von jugendlichen Teilnehmern und dem Bestreben der FAO, problematische öffentliche und private Investitionspartnerschaften zu vermitteln, dominiert, klagen die Organisationen. „Die Führung der FAO fördert konsequent die Konsolidierung und Ausweitung von konzerngesteuerten, industriellen Lebensmittelsystemen“, beklagt Sofia Monsalve, Generalsekretärin von FIAN International. „Das WFF ist ein wesentlicher Teil einer breiteren FAO-Strategie. Eine noch nie dagewesene umfassende Politik der offenen Tür für Unternehmen ist in den letzten Jahren zu einer institutionellen Priorität der FAO geworden“, sagt sie. Viele der WFF-Unterstützer scheinen den Fokus auf technologische Innovation und globale Wertschöpfungsketten zu legen und eher Privatinvestoren als sozialen Akteuren verbunden zu sein. „Unternehmen investieren strategisch in die Gestaltung industriefreundlicher Narrative und versuchen, eng gefasste, von fossilen Brennstoffen abhängige und technologiegetriebene Lösungen zur Umgestaltung der Ernährungssysteme zu legitimieren“, heißt es in der Studie. „Diese Bemühungen scheinen den Wissensschatz, der sich aus traditionellen Ernährungssystemen, agrarökologischen Anbaumethoden und den Praxiserfahrungen von Millionen Kleinbauern, Viehzüchtern, Fischern und all jenen, für die Land und Lebensmittel keine Handelsware, sondern eine Lebensgrundlage darstellen, zu umgehen oder nur am Rande zu berücksichtigen.“

Auch zahlreiche deutsche NGOs und Hilfswerke kritisieren den Einfluss von Konzernen bei Fragen der Hungerbekämpfung schon lange. Anlässlich des Welternährungstages verweisen sie vor allem auf die strukturellen Ursachen von Hunger und Mangelernährung. „Das Recht auf Nahrung, das für jeden Menschen gleichermaßen gilt, meint mehr als kalorisch satt zu werden. Damit Menschen ihrer Würde entsprechend leben können, ist eine ausgewogene Ernährung nötig“, erklärt Lutz Depenbusch, Experte für Landwirtschaft und Welternährung von Misereor. Dabei macht er auf Armut als eine der zentralen Ursachen für Hunger und Mangelernährung aufmerksam. Mit Blick auf die Halbzeit der UN-Nachhaltigkeitsziele in diesem Jahr sei problematisch, dass die dort definierte Armutsgrenze von 2,15 US-Dollar pro Tag, die ein Mensch als Minimum zum Leben zur Verfügung haben muss, nicht reiche, gesunde Ernährung zu sichern und sie sei damit unzureichend. „Es ist nicht akzeptabel, dass aktuell 3 Milliarden Menschen auf der Welt aus Armutsgründen von gesunder Ernährung abgeschnitten sind. Wer Hunger und Mangelernährung beenden will, muss verstärkt Armut bekämpfen und Ungleichheit abbauen. Vielfach fehlt hierfür der politische Wille“, bemängelt Depenbusch.

Auch FIAN Deutschland prangert an, dass sich die strukturellen Ursachen von Hunger und Mangelernährung, wie Landkonzentration, die Industrialisierung der Agrar- und Ernährungssysteme sowie der wachsende Einfluss von Finanzinvestoren, verschärften und es die Politik versäume, diese Probleme anzugehen. „Dies geht einher mit der systematischen Ausgrenzung und Diskriminierung von kleinen und handwerklichen Nahrungsmittelproduzent*innen im globalen Süden“, sagt Philipp Mimkes, Geschäftsführer von FIAN Deutschland. Zudem werde ländlichen Gemeinden durch Landgrabbing seit Längerem regelrecht der Boden unter den Füßen weggezogen. „100 bis 214 Millionen Hektar Land wurden nach aktuellen Schätzungen seitdem an Investoren transferiert. Die damit einhergehende gewaltige – und oft gewaltsame – Expansion einer agrarindustriellen Landwirtschaft produziert entgegen der landläufigen Meinung nur wenig Nahrungsmittel“, so FIAN. Seit 2000 nahm die Anbaufläche von Palmöl, Zuckerrohr, Soja und Mais um 150 Millionen Hektar zu. Nur 13% der weltweiten Maisernte werden aber für die menschliche Ernährung verwendet. Die Anbaufläche von Grundnahrungsmitteln wie Kartoffeln, Hirse, Roggen und Sorghum sei zugleich um 24 Millionen Hektar gesunken. „Die globale Landwirtschaft ist immer weniger darauf ausgerichtet, die Menschen zu ernähren“, erklärt Roman Herre, Agrarreferent von FIAN. „Diese grundlegende Fehlentwicklung ist weitgehend abwesend in den Debatten zum Thema Welternährung“. (ab)

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