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25.01.2021 |

Oxfam: Corona macht die Welt noch ungleicher

Slum
Die Ungleichheit verstärkt sich (Foto: CC0)

Die Covid-19-Pandemie hat die soziale Ungleichheit weltweit noch weiter verschärft: Während die 1.000 reichsten Menschen des Planeten ihre coronabedingten Verluste in gerade einmal neun Monaten wieder wettmachten, werden die Ärmsten auch in einem Jahrzehnt noch an den ökonomischen Folgen der Pandemie leiden. Das prognostiziert die Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam in einem neuen Bericht, der im Vorfeld des Weltwirtschaftsforums veröffentlicht wurde, bei dem sich dieses Jahr die Reichen und Mächtigen nur online ein Stelldichein geben. Gleich verteilt ist lediglich, dass als Folge der Corona-Pandemie die wirtschaftliche Ungleichheit erstmals in fast allen Ländern der Welt gleichzeitig anzusteigen droht. Wen es aber trifft und wie heftig, das ist wieder einmal höchst ungleich verteilt. Die Milliardäre dieser Welt profitieren sogar trotz der Pandemie, während die Ärmsten noch weiter abgehängt werden. „Die tiefe Kluft zwischen Arm und Reich erweist sich als ebenso tödlich wie das Virus“, sagt Tobias Hauschild, Leiter des Teams „Soziale Gerechtigkeit” von Oxfam Deutschland. Während „einige Wenige die Pandemie im Luxus überstehen“, kämpfe über die Hälfte der Menschheit darum, „ihre Rechnungen zu bezahlen und Essen auf den Tisch zu bringen“.

Für den englischen Bericht, zu dem es die deutsche Kurzversion „Das Ungleichheitsvirus“ gibt, hat Oxfam 295 Ökonom*innen aus 79 Ländern befragen lassen, darunter führende Ungleichheitsforscher wie Jeffrey Sachs, Jayati Ghosh und Gabriel Zucman. Insgesamt gehen 87% der Befragten davon aus, dass die Einkommensungleichheit in ihrem Land infolge der Pandemie zunehmen oder stark zunehmen wird. Mehr als die Hälfte befürchtet, dass die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern wahrscheinlich oder sehr wahrscheinlich zunehmen wird. Besonders alarmierend ist, dass zwei Drittel der Ökonom*innen der Ansicht sind, dass ihre Regierung keine Strategie zur Bekämpfung der Ungleichheit habe. Laut dem Bericht hat die Corona-Krise im Globalen Süden zu einem extremen Anstieg des Hungers geführt. Schätzungen zufolge starben bis Ende 2020 jeden Tag mindestens 6.000 Menschen an Hunger, der durch die Folgen der Krise verursacht wurde. So droht die Pandemie, die in den vergangenen Jahrzehnten mühsam erzielten Erfolge bei der Armutsbekämpfung zunichte zu machen. Schon vor Pandemiebeginn musste fast die Hälfte der Menschheit mit weniger als $5,50 am Tag auskommen und gilt damit nach der erweiterten Definition der Weltbank als arm. Die Gesamtzahl dieser Menschen könnte allein im Jahr 2020 noch um 200-500 Millionen gestiegen sein und noch 2030 über dem Vorkrisenniveau liegen. Gut zwei Drittel der Menschen, die aufgrund der Krise verarmen, leben in Süd- und Ostasien sowie der Pazifikregion.

Besonders betroffen von der Krise sind die Menschen, die ohnehin häufig mit Diskriminierung und Ungleichheit zu kämpfen haben. „Menschen in Armut sind dem Corona-Virus am stärksten ausgesetzt. Sie leben häufiger in beengten Verhältnissen, teilweise ohne Wasser und sanitäre Einrichtungen. Viele, insbesondere im informellen Sektor Tätige, können nicht von zu Hause aus arbeiten“, heißt es in der Zusammenfassung. Studien aus Großbritannien zeigten außerdem, dass die Todesrate von an COVID-19 erkrankten Menschen in einkommensschwachen Gegenden doppelt so hoch ist wie in wohlhabenden. Ähnliche Ergebnisse liegen auch für Frankreich, Spanien und Indien vor. Frauen sind wieder einmal am stärksten betroffen, beklagt Oxfam. In den Sektoren, in denen durch die Pandemie besonders hohe Einkommens- und Arbeitsplatzverluste drohen, z.B. in der Gastronomie oder im Büromanagement, sind 49% der berufstätigen Frauen beschäftigt, aber nur 40% der Männer. Frauen stellen weltweit auch etwa 70% der Arbeitskräfte im Gesundheits- und Sozialwesen – wichtige, aber meist schlecht bezahlte Jobs, in denen das Ansteckungsrisiko größer ist. Auch die Hautfarbe hat Einfluss auf das Risiko, an Corona zu erkranken oder zu sterben. In Brasilien etwa ist die Gefahr, an COVID-19 zu sterben, für Menschen mit dunkler Hautfarbe um 40% höher als für weiße Menschen. Auch in den USA sterben weniger Weiße an dem Virus.

Während die Welt die schlimmste Jobkrise seit über 90 Jahren erlebt und Hunderte Millionen ihr Einkommen oder ihre Arbeit verloren haben, hat sich für die Reichsten die Corona-Krise oft schon wieder ausgezahlt: Das Vermögen der (im Dezember 2020) zehn reichsten Männer der Welt ist seit Februar 2019 um fast eine halbe Billion US-Dollar auf $1,12 Billionen gestiegen. Mit diesem Gewinn könnte man die gesamte Weltbevölkerung gegen Covid-19 impfen und sicherstellen, dass niemand durch die Pandemie verarmt, hat Oxfam berechnet. Die drei derzeit reichsten Milliardäre verzeichneten in diesem Zeitraum exorbitante Zuwächse: Elon Musk $131 Milliarden, Jeff Bezos $60 Milliarden und Bernard Arnault $76 Milliarden. Die zehn reichsten Deutschen konnte Ende 2020 ihr Gesamtvermögen gegenüber Februar 2019 um 35% bzw. $62,7 Milliarden steigern. „Konzerne und Superreiche müssen jetzt ihren fairen Beitrag leisten, um die Krise zu bewältigen“, fordert Hausschild. „Aber das reicht nicht aus. Unternehmen, Märkte und Politik sind weltweit so gestaltet, dass kurzfristige Gewinninteressen zu oft über das Gemeinwohl triumphieren. Auf der Strecke bleiben Arbeitsschutz, Löhne und Menschenrechte. Diese zerstörerische Logik müssen wir umdrehen, doch mächtige Wirtschaftsinteressen verhindern bislang den nötigen Wandel.“

Oxfam fordert daher stärkere Unterstützung von Menschen in Armut und die Ausrichtung der Wirtschaft am Gemeinwohl. „Unternehmen müssen so reguliert werden, dass die Interessen aller von Unternehmensentscheidungen Betroffenen berücksichtigt werden“, heißt es in der Pressemitteilung. Es brauche ein effektives, gemeinwohlorientiertes Kartellrecht und sektorspezifische Regulierungen, die eine gerechte Verteilung von Gewinnen innerhalb der Lieferkette und die Einhaltung fairer Handelspraktiken sicherstellen. Gemeinwohlorientierte Unternehmen müssten besonders gefördert werden, etwa durch Bevorzugung bei öffentlicher Beschaffung und Wirtschaftshilfen. Auch am Steuersystem müsse gedreht werden: Kurzfristig müssen Unternehmen und Superreiche angemessen an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligt. Die Steuergelder werden dringend benötigt, um gerade in Ländern des Globalen Südens Menschen in Armut zu unterstützen und öffentlich finanzierte Systeme für Bildung, Gesundheit und soziale Sicherung auszubauen. Hätte man die Extragewinne der 32 globalen Konzerne, die 2020 trotz Pandemie die größten Zuwächse hatten, einmalig besteuert, wären 104 Milliarden US-Dollar zusätzlich verfügbar gewesen. (ab)

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