Nachricht

19.10.2018 |

Bericht präsentiert Erfolgsbeispiele für eine agrarökologische Wende

Ochs
Ochsenstärke statt Maschinen (Foto: CC0)

Eine agrarökologische Umgestaltung der Ernährungs- und Agrarsysteme und die Abkehr von der industriellen Landwirtschaft ist keine Utopie, sondern kann in Gemeinden, Regionen oder gar ganzen Ländern erfolgreich gelingen. Das ist die frohe Botschaft des neusten Berichts von IPES-Food (International Panel of Experts on Sustainable Food Systems), einer Expertengruppe unter Vorsitz des ehemaligen UN-Sonderberichterstatters für das Menschenrecht auf Nahrung, Olivier De Schutter, und der Ex-UNICEF-Vertreterin für Kenia, Olivia Yambi. Der diese Woche in Rom präsentierte Bericht stellt sieben Erfolgsbeispiele aus aller Welt für eine agrarökologische Wende vor. Ein erfolgreicher Übergang zur Agrarökologie erfordere Veränderungen in vier Schlüsselbereichen: Produktionsmethoden, Wissensgenerierung und -verbreitung, soziale und wirtschaftliche Beziehungen sowie institutionelle Rahmenbedingungen. Wenn sich auf all diesen Ebenen etwas ändere, verringere sich die Abhängigkeit von den bisherigen Vermittlern von Inputs, Wissen und Marktzugang. So werden Mechanismen, die industrielle Ernährungssysteme am Leben erhalten, durchbrochen und neue nachhaltige Systeme entstehen. „Der Übergang beginnt dann wirklich, wenn sich an verschiedenen Fronten gleichzeitig etwas verändert. Dann entstehen neue Machtverhältnisse und die Logik des Systems verschiebt sich“, erklärt Hauptautor Steve Gliessman.

Eine Fallstudie legt dar, wie es in Kuba gelang, die wirtschaftliche Isolation nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion für eine agrarökologische Wende zu nutzen. Als Reaktion auf die Krise wurde der kleinbäuerliche Agrarsektor in Kuba einer „agrarökologischen Revolution“ unterzogen. Die Bauern konnten die Produktion trotz des weitgehenden Verzichts auf externe Inputs steigern. Zu den Änderungen der Produktionsmethoden gehörten das Ersetzen von Inputs, Anbaudiversifizierung, Fruchtfolgen, Agroforstwirtschaft und die Integration von Ackerbau und Viehzucht. Wissensgenerierung und -verbreitung erfolgte durch eine florierende Campesino-a-Campesino-Bewegung - der Austausch von Bauer zu Bauer. Institutionelle Akteure und Forschungszentren stellten den Landwirten Wissen und z.B. eine große Bandbreite an Saatgut kostenlos bereit. Bauern und Behörden vertieften ihre wissenschaftlichen und fachlichen Kompetenzen durch „Busreisen“ zu verschiedenen Höfen. Zudem erhielten Kleinbauern Infos durch die Genossenschaften, denen die meisten angehörten. Die Agrarökologie wurde auch in den Lehrplänen der Polytechnischen Hochschulen verankert.

Veränderungen in den sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen führten laut IPES-Food zu einer schnellen Ausweitung der Agrarökologie. Eine hochorganisierte bäuerliche Agrarökologie-Bewegung, die von der nationalen Kleinbauernvereinigung (ANAP) vorangetrieben wurde, ermöglichte die Verbreitung von Wissen und schuf Solidarität unter den Bauern. „Die sozialen Beziehungen entwickelten sich auch als Reaktion auf die Modalitäten des Landbesitzes unter dem sozialistischen Regime. Die meisten kubanischen Bauern besitzen ihr Land privat, kultivieren es aber als Teil von Genossenschaften“, so der Bericht. Diese Kooperativen ermöglichten auch den Zugang zu Dienstleistungen, Krediten und den Kauf von Inputs in großen Mengen; Land, Maschinen und Lager befanden sich in gemeinschaftlichem Besitz. Zu den institutionellen Veränderungen gehören die Dezentralisierung des staatlichen Agrarsektors, die Verankerung der Agrarökologie in staatlichen und Forschungseinrichtungen sowie unterstützende Maßnahmen wie die Bodenreform. Schätzungen zufolge betreiben heute rund 300.000 Kleinbauern in Kuba Agrarökologie. Studien deuten darauf hin, dass agrarökologische Praktiken auf 46-72% der kleinen Höfe Anwendung finden, die etwa 60% des in Kuba verzehrten Gemüses, Mais, Bohnen, Früchte und Schweinefleisch produzieren. Zudem florierte die fast chemiefreie urbane Landwirtschaft, die heute größere Städte mit bis zu 70% des frischen Gemüses versorgt. Damit nimmt Kuba eine Vorreiterrolle in der urbanen Landwirtschaft ein.

Ein anderer Leuchtturm ist das „Ökodorf“-Projekt in Chololo, Tansania, das mithilfe agrarökologischer Praktiken erfolgreich den wenigen Regen optimal nutzte, die Bodenfruchtbarkeit verbesserte, die Arbeitslast der Bauern reduzierte und die Qualität des lokalen Saatguts verbesserte. Das Dorf im semiariden Trockengebiet Zentral-Tansanias hatte mit häufigen Dürren, Ernährungsunsicherheit und den Folgen des Klimawandels zu kämpfen. Ein multidisziplinäres Projektteam ermutigte die Dorfbewohner, agrarökologische Methoden anzuwenden und zu verfeinern, von der Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit durch Mist über Regenwassergewinnung bis hin zu optimalen Pflanzzeitplänen. Technische Beratungsgruppen, die Zusammenarbeit von Bauer zu Bauer sowie partizipative Ansätze veränderten die Art der Wissensgenerierung und -verbreitung. Veränderungen im Zusammenleben ergaben sich durch Auszeichnungen, Feierlichkeiten und das Sichtbarmachen von wegweisenden Bauern. Frauen wurden gestärkt durch das Eröffnen neuer Existenzgrundlagen, z.B. Hühnerzucht. Veränderungen der institutionellen Bedingungen gelangen durch die bewusste Ausrichtung des Projekts an der nationalen Klimapolitik. Dank der Einbeziehung lokaler Institutionen rückte Chololo in den Fokus der Politik auf nationaler Ebene und wurde zu einem Modellprojekt für die Anpassung an den Klimawandel. Der agrarökologische Wandel hatte enormen Einfluss auf das Leben der Menschen im Dorf. Am Ende des ersten Projektzyklus 2011-2014 nutzten 54 Prozent der Landwirte und Tierhalter Innovationen zur Anpassung an den Klimawandel, ein deutliches Plus gegenüber den 19 Prozent im ersten Jahr. Die Erträge stiegen zwischen 37,5 und 70 Prozent. Der Anteil der Haushalte, die drei Mahlzeiten pro Tag zu sich nehmen, erhöhte sich von 29 auf 62 Prozent, und die durchschnittliche Dauer der Nahrungsmittelknappheit wurde von 7,3 auf 2,8 Monate reduziert. „Die Fallstudien zeigen, dass Veränderungen nicht immer auf dem Feld beginnen. Der Übergang kann durch gemeinschaftliche Aktivitäten, Partnerschaften zwischen Landwirten und Forschern und sogar durch externe Schocks, die den Status Quo in Frage stellen, eingeleitet werden“, so Steve Gliessman.

Zurück zu den Meldungen

Unterstützer

Unterstützer von www.weltagrarbericht.de Verlag der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V. Bioland biovision Brot für die Welt Brot für alle Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland Demeter Zukunftsstiftung Entwicklung in der GLS Treuhand Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz Heidehof Stiftung Mission EineWelt Misereor Naturland Public Eye | Erklärung von Bern Rapunzel - Wir machen Bio aus Liebe Swiss Aid, Ihr mutiges Hilfswerk tegut W-E-G Stiftung
English versionEnglish versionDeutsche Version