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23.07.2020 |

Wissenschaftler fordern mehr Agrarökologie für die Artenvielfalt

Feld
Die Landwirtschaft birgt Bedrohung und Potenzial für die Artenvielfalt (Foto: CC0)

Die Bewahrung der Artenvielfalt kann nur mit einer nachhaltigen Landwirtschaft gelingen, betont ein Team von Wissenschaftlern am 20. Juli in der Fachzeitschrift „Nature Ecology and Evolution“ und fordert die Einbeziehung agrarökologischer Prinzipien in internationale Biodiversitätsstrategien. Dieses Thema steht im kommenden Jahr in China auf der Agenda, wenn sich die Staatengemeinschaft Covid-19-bedingt ein Jahr später als geplant zur 15. Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD) trifft, um das globale Biodiversitätsrahmenwerk für die Zeit nach 2020 zu verabschieden. Dieses soll konkrete Ziele enthalten, mit deren Hilfe die Artenvielfalt bewahrt werden soll. Die Forscher um Hauptautor Prof. Dr. Wanger von der Universität Göttingen fordern nun, agrarökologische Grundsätze in das Global Biodiversity Framework (GBF) aufzunehmen: „Wir plädieren dafür, dass Erhaltungsmaßnahmen in Agrarlandschaften, die auf agroökologischen Prinzipien beruhen (…), im GBF in den drei Aktionsziele für 2030 aufgenommen werden“, schreiben sie. Denn „es ist weithin anerkannt, dass es eines agrarökologischen Wandels bedarf, um nachhaltigere Ernährungssysteme zu erreichen.“ Mehr als 360 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt stimmen dieser Ansicht zu und haben den Artikel bereits unterzeichnet.

Die Autoren betonen zunächst die bedeutende Rolle der Landwirtschaft, die das Überleben der wachsenden Weltbevölkerung sichert und dafür mehr als ein Drittel der globalen Landmasse einnimmt. „Doch die Umwandlung naturnaher Lebensräume in landwirtschaftliche Nutzflächen und konventionelle landwirtschaftliche Bewirtschaftungsformen, einschließlich des starken Einsatzes von Agrochemikalien, haben negative Auswirkungen auf die biologische Vielfalt“, so die Verfasser. Die Landwirtschaft, so wie sie derzeit praktiziert wird, ist für die Gefährdung von rund 62% aller bedrohten Arten weltweit verantwortlich ist. Doch das muss nicht so sein: „Die Agrarökologie hat das Potenzial, die Art und Weise, wie wir Landwirtschaft betreiben, zu verändern“, sagt Mitautor Prof. Dr. Teja Tscharntke von der Uni Göttingen. Bei entsprechender Gestaltung könnten Agrarlandschaften den Autoren zufolge sowohl die Ernährung sichern als auch Lebensräume für die biologische Vielfalt bieten, die Vernetzung zwischen Schutzgebieten fördern und die Fähigkeit der Arten erhöhen, auf Umweltbedrohungen zu reagieren. „Die Art und Weise wie wir künftig unser Land nutzen, wird mitentscheiden, ob wir den Verlust an biologischer Vielfalt stoppen können“, betont Prof. Josef Settele, Mitautor und Ko-Vorsitzender des Globalen Berichtes des Weltbiodiversitätsrates IPBES. „Aber die Landwirte allein können das nicht schaffen. Handlungsbedarf besteht für die Politik ebenso wie über die gesamte Versorgungskette – von der verarbeitenden Industrie über den Vertrieb bis hin zu den Verbrauchern.“

Von einer nachhaltigen und diversifizierten Landwirtschaft profitieren dem Artikel zufolge alle, vor allem aber auch die Landwirte. Zum einen verbessern diversifizierte Nutzungskonzepte landwirtschaftlicher Flächen die biologische Vielfalt und die Bestäubung und verringern die Auswirkungen von Krankheitserregern und Schädlingen. Zum andern bieten sie Landwirten eine erhöhte wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit, geringere Abhängigkeit von agrochemischen Betriebsmitteln und in Subsistenzsystemen vielfältigere und nahrhaftere Lebensmittel. Die häufig angeführten Ertragsunterschiede zwischen konventioneller und ökologischer Wirtschaftsweise könnten künftig durch neue Nutzpflanzensorten und kombinierte Anbausysteme weiter verringert werden. „Die Bedeutung der Agrarökologie für die Veränderung der Landwirtschaft und den Schutz der Biodiversität haben viele hochrangige Organisationen in Wissenschaft und Praxis anerkannt“, sagt Prof. Dr. Wanger. Der Artikel verweist für das Verständnis von Agrarökologie dabei vor allem auf einen Bericht des hochrangigen Expertengremiums (HLPE) des UN-Ausschusses für Welternährungssicherung (CFS) von 2019, der sich mit agrarökologischen und anderen innovativen Ansätzen befasst.

Doch um eine ökologische Landwirtschaft voranzubringen, sehen die Wissenschaftler noch die Notwendigkeit, die agrarökologische Forschung zu stärken und zu verändern. Dies sei nur durch weltweit koordinierte Maßnahmen möglich. Die Forschung zu Agrarökologie müsse sich von traditionellen Ansätzen verabschieden und sich zunehmend in globalen Forschungsnetzwerke unter Einbeziehung aller Stakeholder organisieren. Es sei wichtig, mit Landwirten, indigenen Völkern und lokalen Gemeinschaften zusammenzuarbeiten, sie zu unterstützen und auch ihr Wissen und ihre Sichtweisen einzubeziehen. Nur so könnten Maßnahmen definiert werden, die in der Praxis und im Großen und im Kleinen funktionieren. Zudem müssten politische Entscheidungsträger durch leicht zugängliche Beratung in die Lage versetzt werden, Veränderungen herbeizuführen, vor Ort innovative Systeme ins Leben zu rufen und sich dafür einzusetzen, dass Gelder für einen agrarökologischen Wandel bereitgestellt werden. Öffentliche und private Geldgeber müssten dafür gewonnen werden, langfristige Forschungsprogramme zu unterstützen, denn agrarökologische Maßnahmen benötigen einen längeren Zeitrahmen. „Wir hoffen, dass unsere umfassende Forschungsagenda dazu beitragen wird, den Weg zu einer nachhaltigen, diversifizierten Landwirtschaft und zur Erhaltung der Biodiversität in der Zukunft zu beschreiten“, unterstreicht Dr. Tscharntke. (ab)

14.07.2020 |

UN-Bericht: Zahl der Hungernden steigt das fünfte Jahr infolge

Gesund
Gesunde Lebensmittel - für viele Menschen unerschwinglich (Foto: CC0)

Rückschritte statt Fortschritte bei der Hungerbekämpfung vermeldet ein am 13. Juli von fünf UN-Organisationen veröffentlichter Bericht: 2019 hungerten weltweit 60 Millionen Menschen mehr als noch vor fünf Jahren. Zugleich sind rund um den Globus verschiedene Formen von Mangelernährung auf dem Vormarsch. „The State of Food Security and Nutrition in the World” (SOFI) schätzt die Zahl der Hungernden für 2019 auf 687,8 Millionen – fast jeder zehnte Mensch weltweit ist chronisch unterernährt. Dem aktuellen Bericht zufolge waren es im Vorjahr noch 678,1 Millionen Menschen. Seit fünf Jahren steigt die Zahl wieder und wenn sich dieser Trend fortsetzt, werden im Jahr 2030 rund 840 Millionen Menschen unterernährt sein, warnen die Experten. Die Folgen der Covid-19-Pandemie sind dabei noch gar nicht einkalkuliert: Bis zu 132 Millionen könnten 2020 dazukommen. Das Erreichen des 2. UN-Nachhaltigkeitsziels (SDG2), wonach bis 2030 Hunger und alle Formen der Mangelernährung besiegt sein sollten, rückt damit in weite Ferne. „Hunger ist das eine. Zudem musste eine wachsende Zahl von Menschen die Menge und Qualität der Lebensmittel, die sie zu sich nimmt, reduzieren“, schreiben die Leiter der Welternährungsorganisation FAO, des Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung, des UN-Kinderhilfswerks UNICEF, des Welternährungsprogramms und der Weltgesundheitsorganisation im gemeinsamen Vorwort zum Bericht. Insgesamt hatten 2019 über 2 Milliarden Menschen keinen regelmäßigen Zugang zu sicherer, nahrhafter und ausreichender Nahrung. „ Die Lage könnte sich verschlimmern, wenn wir nicht umgehend und entschlossen handeln“, heißt es weiter.

Die im neusten SOFI-Bericht genannten 690 Millionen Hungernden liegen deutlich unter der in der vorigen Ausgabe für 2018 genannten Zahl von 821 Millionen Unterernährten. Dies liegt den Autoren zufolge an einer verbesserten Datengrundlage. Neue Daten zur Bevölkerungszahl, der Verfügbarkeit von Lebensmitteln und Angaben aus Haushaltsbefragungen ermöglichten für 13 Länder eine Überarbeitung der Schätzungen, darunter auch für China. Dort gelten nun weniger als 2,5% der Bevölkerung als unterernährt, während der Anteil ohne Überarbeitung der Methode auf knapp 10% gestiegen wäre. Da in China ein Fünftel der Weltbevölkerung lebt, sinkt die absolute Zahl der Hungernden dadurch deutlich und auch rückwirkend bis zum Jahr 2000. „Obwohl China immer noch vor Herausforderungen in den Bereichen Ernährungssicherheit und Ernährung steht, hat es seit der letzten Aktualisierung beeindruckende wirtschaftliche und soziale Entwicklungsfortschritte erzielt, die in früheren Bewertungen nicht berücksichtigt wurden“, erläutern die Autoren. Am generellen Trend ändert die Überarbeitung jedoch nichts: Die Zahl der Hungernden steigt weiter.

Der Großteil der weltweit Hungernden lebt in Asien, doch in Afrika steigt die Zahl am schnellsten. Etwa 55,4% der Unterernährten oder 381 Millionen Menschen lebten 2019 in Asien, gefolgt von Afrika mit 250,3 Millionen (36,4%) und Lateinamerika und der Karibik mit 47,7 Millionen (6,9%). 2030 könnte Afrika mit 433 Millionen Unterernährten vor Asien mit 329 Millionen liegen. Auch der Anteil der chronisch Unterernährten an der wachsenden Weltbevölkerung steigt leicht an, von 8,6% im Jahr 2014 auf 8,9% in 2019. Die prozentual am stärksten von Unterernährung betroffene Region ist Afrika: Dort hungern fast 19,1% der Bevölkerung. Besonders besorgniserregend ist die Situation in Ostafrika, wo mehr als ein Viertel der Bevölkerung (27,2%) unterernährt ist. In Asien hungern 8,3% der Bevölkerung, während in Lateinamerika und der Karibik 7,4% der Menschen betroffen sind.

Der Bericht stellt auch fest, dass eine gesunde Ernährung, die Mangelernährung vorbeugen würde, für fast die Hälfte aller Menschen unerschwinglich ist. Die Kosten für eine gesunde Ernährung, die u.a. den Verzehr von mindestens 400g Obst und Gemüse am Tag beinhaltet, übersteigen die auf 1,90 US-Dollar pro Person und Tag festgesetzte internationale Armutsgrenze. Selbst der Preis für die billigsten gesunden Nahrungsmittel ist fünfmal höher als eine rein stärkebasierte Ernährung. Nährstoffreiche Milchprodukte, Obst, Gemüse und proteinreiche Nahrungsmittel (pflanzliche und tierische) gehören weltweit zu den teuersten Lebensmittelgruppen, betonen die Autoren. Den jüngsten Schätzungen nach können sich 3 Milliarden Menschen keine gesunde Ernährung leisten. In Subsahara-Afrika und Südasien gilt dies für 57% der Bevölkerung. „Es ist nicht hinnehmbar, dass sich in einer Welt, die genügend Nahrungsmittel produziert, um alle zu ernähren, mehr als 1,5 Milliarden Menschen keine Ernährung leisten können, die den erforderlichen Gehalt an essentiellen Nährstoffen enthält, und mehr als 3 Milliarden Menschen sich nicht einmal die billigste Form einer gesunden Ernährung leisten können. Menschen ohne Zugang zu gesunder Ernährung leben in allen Regionen der Welt; wir stehen also vor einem globalen Problem, das uns alle betrifft“, schreiben die UN-Organisationen. Der Bericht nennt auch finanzielle Argumente für eine weltweite Umstellung auf eine gesunde Ernährung. Denn die Investitionen dafür könnten durch Einsparungen bei den Gesundheitskosten, die mit ungesunder Ernährung zusammenhängen (2030 voraussichtlich 1,3 Billionen US-Dollar), fast vollständig wieder wettgemacht werden. Zudem ist eine gesündere Ernährung auch gut fürs Klima: Dadurch könnten die ernährungsbedingten sozialen Kosten der Treibhausgasemissionen, die für 2030 auf 1,7 Billionen US-Dollar geschätzt werden, um bis zu drei Viertel gesenkt werden. (ab)

10.07.2020 |

AGRA - leere Versprechungen für Afrikas Kleinbauern

Corn
Mehr Mais für Afrika? (Foto: bit.ly/AWanga, Anne Wangalachi/CIMMYT, bit.ly/3_CC_BY-NC-SA_2-0)

Im Jahr 2006 wurde die Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (AGRA) von der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung und der Rockefeller-Stiftung aus der Taufe gehoben, um mithilfe der Landwirtschaft Hunger und Armut in Afrika zu verringern. Mit den Patentrezepten der Grünen Revolution – sprich kommerziellem Hochertragssaatgut, Pestiziden und synthetischen Düngemitteln – sollten die Einkommen von 20 Millionen kleinbäuerlichen Haushalten bis 2020 verdoppelt und die Ernährungsunsicherheit in 20 Ländern durch Produktivitätssteigerungen halbiert werden. Um dieses Ziel zu erreichen, erhielt AGRA seither über eine Milliarde US Dollar – vor allem von der Gates-Stiftung, aber auch von der Bundesregierung. Die Ziele wurden nach und nach verändert: 2015 verkündete die Allianz, die Produktivität und die Einkommen von nun 30 Millionen kleinbäuerlichen Haushalten bis 2020 verdoppeln zu wollen. Heute ist auf der Webseite nur noch zu lesen, dass die Einkommen und die Ernährungssicherheit von 30 Millionen Kleinbauern in 11 afrikanischen Ländern bis 2021 „verbessert“ werden sollen. Doch eine heute von zivilgesellschaftlichen Organisationen veröffentlichte Studie zeigt, dass AGRA auf ganzer Linie gescheitert ist. 14 Jahre nach Gründung hungern 30% mehr Menschen in den 13 AGRA-Schwerpunktländern und das Verschuldungsrisiko für Kleinbauern hat sich erhöht. Zudem werden traditionelle klimaresistente und nährstoffreiche Nahrungsmittel verdrängt.

Die Studie „Falsche Versprechen“ überprüft den Erfolg von AGRA anhand der selbstgesteckten Ziele und wertet dafür öffentlich zugängliche Informationen aus und stellt eigene Recherchen an. Ein Großteil der Analyse basiert auf einer Studie, für die Wissenschaftler der Tufts University die Agrarproduktion, die Erträge und die Anbauflächen für die wichtigsten Nahrungsmittelpflanzen in den 13 AGRA-Hauptzielländern anhand von Länderdaten untersucht haben. Herangezogen wurden die aktuellsten Zahlen aus der Datenbank FAOSTAT der UN-Welternährungsorganisation (FAO) und das Dreijahresmittel 2016-18 wurde mit dem Zeitraum 2004-06 vor AGRA-Gründung verglichen. Die Bilanz fällt ernüchternd aus. Die anvisierte Verdoppelung der Erträge bei den Hauptanbaupflanzen von AGRA blieb weitgehend aus. In zwölf Jahren AGRA (2006–2018) hat sich die Maisproduktion in den 13 Hauptzielländern um 87% erhöht, doch zugleich wurden die Anbauflächen um 45% ausgeweitet, sodass die Produktivität beim Mais nur um 29% stieg. „Nur in Äthiopien, wo die Erträge um 73% stiegen, ist ein produktivitätsbedingtes Ertragswachstum sichtbar, wie es von der Grünen Revolution versprochen wurde“, heißt es in der Studie. Die führenden AGRA-Maisproduzenten weisen entweder nur ein sehr beschränktes Wachstum der Erträge auf (+7% in Nigeria, +15% in Tansania) oder gar einen Rückgang (-4% in Kenia). „Die Ergebnisse der Studie sind für AGRA und die Propheten der Grünen Revolution vernichtend“, sagt Jan Urhahn, Agrarexperte bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung. „Die Ertragssteigerungen für wichtige Grundnahrungsmittel in den Jahren vor AGRA liegen auf einem fast identischen Niveau wie während der Implementierung der AGRA-Programme.“

Beim Ziel der Hungerbekämpfung fällt die Bilanz verheerend aus. Am 13. Juli wird die FAO ihren jährlichen Bericht zur Zahl der unterernährten Menschen weltweit vorlegen und einen erneuten Anstieg verkünden müssen. Gestützt auf die bisherigen Zahlen zeigt der Bericht, dass in den AGRA-Schwerpunktländern die Zahl der Menschen, die unter extremem Hunger leiden, seit 2004-06 von 100,5 Millionen sogar um 30% auf 130 Millionen in 2016-18 gestiegen sind. Vor allem in Nigeria und Uganda ist die Situation übel: Die Hungerzahlen haben sie sich mehr als verdoppelt. Nur in Äthiopien ist die Anzahl hungernder Menschen stark gesunken. Selbst in Sambia, wo die Erzeugung von Grundnahrungsmitteln stark zunahm, ist nur eine minimale Verringerung der ländlichen Armut oder des Hungers zu verzeichnen. „Statt den Hunger zu halbieren, hat sich seit dem Start von AGRA die Lage in den 13 Schwerpunktländern sogar verschlechtert“, sagt Urhahn. „Das ist ein Armutszeugnis für eine Initiative, die mit ihrem Narrativ der Grünen Revolution erheblichen Einfluss auf die Agrarpolitiken in vielen Ländern hat. Höchste Zeit AGRA nicht weiter auf den Leim zu gehen.“

Auch die Verdoppelung der Einkommen von 30 Millionen Kleinbauern ist nicht nachweisbar. Obwohl es aufgrund mangelnder Transparenz schwierig ist, genaue Informationen von AGRA zu bekommen, deuten deren Berichte auf eine sehr begrenzte Reichweite in Bezug auf die direkten Zielgruppen hin, heißt es in der Studie. Die jährlichen Länderberichte beziehen sich auf im Projekt „engagierte“ Bäuerinnen und Bauern, ohne genauer zu definieren, was damit gemeint sei. Die Studie zeigt hingegen, dass kleinbäuerliche Erzeuger einem hohen Verschuldungsrisiko ausgesetzt sind. In Sambia und Tansania konnten sie schon nach der ersten Ernte die Kredite für Dünger und Saatgut nicht zurückzahlen. „AGRA ist ein Teufelskreis, der kleinbäuerliche Erzeuger*innen immer weiter in die Armut treibt und dabei ihre natürlichen Lebensgrundlagen zerstört“, sagt die Landwirtschaftsexpertin Mutinta Nketani von der Organisation PELUM Sambia und Mitautorin der Studie. „Die Bäuerinnen und Bauern werden gedrängt, das teure Hybridsaatgut der Konzerne zu kaufen, das nur in Kombination mit Düngemitteln funktioniert, die sich die Menschen eigentlich gar nicht leisten können.“

Die Studie zeigt auf, dass AGRA-Projekte zudem die Wahlfreiheit kleinbäuerlicher Erzeuger einengen was die Auswahl der Anbauprodukte betrifft. Das hat fatale Folgen für die Vielfalt von Nahrungsmitteln: So ging die Hirseproduktion im AGRA-Zeitraum von 2006 bis 2018 in den 13 AGRA-Fokusländern um 24% zurück. Die Sorghum-Produktion nahm nur um 17% zu. In der Zeit vor AGRA wurde fast doppelt so viel Land für den Anbau von Hirse oder Sorghum genutzt wie für den Maisanbau. Trotz der großen Anpassungsfähigkeit an lokale Bedingungen vieler traditioneller Kulturpflanzen und ihrer Bedeutung für eine gesunde Ernährung und die Vermeidung von Mangelernährung dominiert nun der Maisanbau. In dieser Hinsicht untergraben AGRA und andere Programme der Grünen Revolution die Bemühungen von kleinbäuerlichen Produzenten, sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen. Die Herausgeber der Studie fordern das Aus für den Ansatz der Grünen Revolution und eine stärkere Förderung der Agrarökologie. „Angesichts der Ergebnisse der Studie muss die Bundesregierung konsequent umsteuern und jede politische und finanzielle Unterstützung für AGRA unterlassen. Stattdessen sollte sie Agrarökologie und das Menschenrecht auf Nahrung als Kompass für ihre Politik nehmen“, fordert Lena Bassermann, Agrarexpertin von der Entwicklungsorganisation INKOTA. (ab)

30.06.2020 |

EPA-Moratorium beendet: Drohen weitere Patente auf Pflanzen und Tiere?

Salat
Keine Patente auf Salat (Foto: CC0)

Die Hoffnung auf ein eindeutig auslegbares Verbot von Patenten auf Pflanzen und Tiere aus konventioneller Züchtung in Europa hat einen Dämpfer erhalten. Im rechtlichen Theater am Europäischen Patentamt (EPA) in München, das mit der Vergabe dieser Patente regelmäßig für Empörung sorgte, folgt der nächste Akt: Präsident António Campinos hob Anfang Juni ein Moratorium zur Prüfung von Patenten auf Pflanzen und Tiere aus konventioneller Züchtung auf. Dieses war 2019 wegen eines Rechtstreits über die Patentierbarkeit von Pflanzen und Tieren, die nicht mithilfe von Gentechnik gezüchtet wurden, sondern mit herkömmlichen Verfahren – im Fachjargon „im Wesentlichen biologische Verfahren“ genannt – am EPA verhängt worden. Noch Mitte Mai urteilte die Große Beschwerdekammer, die höchste rechtliche Instanz des Patentamtes, in ihrer Stellungnahme „G3/19“, dass Pflanzen und Tiere aus „im Wesentlichen biologischen Züchtungsverfahren unter dem Europäischen Patentübereinkommen nicht patentierbar sind“. Nun heißt es in einer Mitteilung vom 3. Juni: „Der Präsident des EPA hat beschlossen, die Aussetzung von Verfahren mit Wirkung vom 15. Mai 2020 aufzuheben. Die betreffenden Verfahren werden schrittweise wieder aufgenommen.“ Nichtregierungsorganisationen fürchten nun eine neue Welle von Patenten auf Pflanzen und Tiere.

Deswegen appellieren jetzt rund 40 Organisationen an Bundesjustizministerin Christine Lambrecht, dem Hin und Her einen Riegel vorzuschieben. In einem Brief fordert das Bündnis „Keine Patente auf Saatgut!“ die Bundesregierung auf, ihren Platz im Verwaltungsrat des EPA zu nutzen und auf eine klare und korrekte Auslegung der Patentgesetze zu drängen. Zu den Unterzeichnern dieses Briefes gehören zahlreiche deutsche Organisationen von A wie Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) bis Z wie Zukunftsstiftung Landwirtschaft (ZSL). „Wir vertrauen darauf, dass Ministerin Lambrecht tatsächlich aktiv wird, bevor weitere strittige Patente erteilt werden. Dies entspricht nicht nur dem Inhalt des Koalitionsvertrages, sondern betrifft eine grundlegende Frage von Gerechtigkeit und Ethik“, kommentiert Georg Janßen, Bundesgeschäftsführer der AbL. „Das Patentrecht wird sonst dazu missbraucht, um sich Kontrolle über die Landwirtschaft und die Grundlagen unserer Ernährung zu verschaffen.“ Die Organisationen kritisieren, die Bundesregierung habe das Urteil der Großen Beschwerdekammer zwar begrüßt, aber keinerlei weitergehende Initiativen angekündigt.

Das Bündnis moniert, dass die Entscheidung des Präsidenten getroffen wurde, bevor alle entscheidenden Fragen geklärt wurden. Aktuell herrsche Unklarheit darüber, wie herkömmliche Zuchtverfahren definiert sind und es wurden weiterhin Patente auf Pflanzen erteilt, die nicht aus gentechnischen Verfahren, sondern aus zufälligen Prozessen hervorgegangen sind. Beispiele sind erteilte Patente auf Gerste und Bier der Firma Carlsberg, die auf zufälligen Mutationen beruhen, oder Patente auf konventionell gezüchteten Salat, Melonen, Zwiebeln und Tomaten. Patent EP2966992 erstreckt sich auf einen Salat, der auch bei höheren Temperaturen angebaut werden kann. Diese Eigenschaft beruht auf einer zufälligen Mutation im Erbgut und erleichtert die Anpassung an den Klimawandel. Die niederländische Saatgutfirma Rijk Zwaan Zaadteelt will sich diese Ansprüche sichern. „Wenn eine Firma exklusiv jene Eigenschaft in Händen hat, die den Anbau von Salat bei höheren Temperaturen ermöglicht, wird diese Firma in Zukunft bestimmen, welchen Salat wir anbauen und essen können und zu welchem Preis“, warnt Katherine Dolan, Expertin für Saatgutpolitik bei ARCHE NOAH. „Die EuropäerInnen wollen nicht, dass wichtige Kulturpflanzen patentierbar werden und dass die Vielfalt eingeschränkt wird“, so Dolan. „Die Botschaft ist beim EPA nicht angekommen. Also muss die Politik die Regeln des Patentsystems in die Hände nehmen.“

Die Unterzeichner des Briefes an Lambrecht warnen, dass wegen der fehlenden Rechtsklarheit das EPA den Spielraum habe, Patente auf natürliche Prozesse bzw. Zufallsmutationen zu erteilen. „Neben der Frage, wie ‚im Wesentlichen biologische Verfahren‘ definiert sind, betrifft das auch die Frage, wie der Patentschutz für gentechnische Verfahren so begrenzt werden kann, dass er sich nicht auch auf alle anderen Pflanzen und Tiere mit entsprechenden züchterischen Merkmalen erstreckt. Auch muss sichergestellt werden, dass jegliches Zuchtmaterial und jegliche herkömmliche Zuchtmethode, wie bestimmte Auswahlverfahren, tatsächlich von der Patentierung ausgenommen sind“, heißt es in dem Schreiben. Die Autoren fordern zudem eine Überprüfung, ob das Urteil G3/19 vom Mai konform mit dem Patentrecht ist. Denn vor Juli 2017 widerrechtlich erteilte Patente hätten weiterhin Bestand und angemeldete Patente auf herkömmlich gezüchtete Pflanzen und Tiere, deren Prüfergebnis aussteht, könnten noch erteilt werden. „Nach unserer Recherche könnten davon über 300 Patentanträge betroffen sein. Bisher galt dagegen die Regel, dass Patentanträge und Einspruchsverfahren nach der aktuellen Rechtsauslegung entschieden werden“, schreiben die Organisationen. (ab)

23.06.2020 |

FAO-Prognose fürs Pandemie-Jahr: Weniger Fleisch, mehr Getreide

Fleisch
Die Fleischproduktion sinkt 2020 (Foto: CC0)

Die Covid-19-Pandemie schlägt sich auch auf den Weltagrarmärkten nieder und wird 2020 zu einem Rückgang der globalen Fleischproduktion führen. Insgesamt ist der Agrar- und Lebensmittelsektor jedoch in Corona-Zeiten besser aufgestellt als während der Lebensmittelpreiskrise 2007-2008. Das geht aus einem Bericht der UN-Welternährungsorganisation (FAO) hervor, der am 11. Juni erschienen ist. Der „Food Outlook“ liefert Zahlen und Prognosen zu den meistgehandelten Agrarerzeugnissen, wie Getreide, Ölsaaten, Fleisch, Milchprodukte, Fisch und Zucker. „Die Folgen der Covid-19-Pandemie waren, in unterschiedlichem Ausmaß, in allen von der FAO bewerteten Lebensmittelsektoren spürbar. Obwohl Covid-19 eine ernsthafte Bedrohung für die Ernährungssicherheit darstellt, zeigt unsere Analyse insgesamt, dass sich die Agrarrohstoffmärkte aus globaler Sicht als widerstandsfähiger gegenüber der Pandemie erweisen als viele andere Sektoren. Angesichts der Größe der Herausforderung und der enormen Unsicherheiten, die damit verbunden sind, muss die internationale Gemeinschaft jedoch weiter wachsam und bereit sein, gegebenenfalls zu reagieren“, sagte der Leiter der FAO-Abteilung Handel und Märkte, Boubaker Ben-Belhassen.

Die Weltgetreideproduktion wird 2020 voraussichtlich auf 2,78 Milliarden Tonnen wachsen, ein Anstieg um 2,6% gegenüber dem bisherigen Rekordwert von 2,71 Milliarden Tonnen in 2019. Von den 2,68 Milliarden Tonnen Getreide, die 2019 verwendet wurden, dienten 43% oder 1,1 Milliarden Tonnen als Nahrungsmittel, während 36% an Tiere verfüttert wurde und 21% für andere Zwecke genutzt wurden, etwa für die Herstellung von Industrieprodukten oder Agrartreibstoffen. Die Produktion von Ölsaaten ließ 2019 nach, vor allem bei Soja und Raps. Die Sojaproduktion sank um 7,6% auf 337,9 Millionen Tonnen, da in den USA aufgrund widriger Wetterbedingungen deutlich weniger Soja angebaut wurde und die Erträge hinter den Erwartungen zurückblieben.

Die Weltfleischproduktion ging 2019 erstmals nach Jahren des Wachstums leicht zurück auf 338,9 Millionen Tonnen. Für 2020 erwartet die FAO einen erneuten Rückgang um 1,7% auf 333 Millionen Tonnen. Dies sei dem Einbrechen der Schweinebestände in China und anderen asiatischen Ländern geschuldet, wo die Afrikanische Schweinepest grassiert, sowie Marktstörungen infolge der Covid-19-Pandemie. „Eine Kombination aus COVID-19-bedingten wirtschaftlichen Notlagen, logistischen Engpässen und einem starken Nachfragerückgang im Lebensmittelsektor aufgrund der Lockdowns hat zu einem weltweiten Einbruch der Importnachfrage geführt“, schreiben die Experten. Das hat die Fleischpreise seit Januar um 8.6% einbrechen lassen. Da Restaurants und Caterer zeitweise kein Fleisch mehr benötigten, kam es zu einer Anhäufung von Fleischvorräten, wodurch die Exportverfügbarkeit erhöht wurde, obwohl die Fleischproduktion aufgrund des Arbeitskräftemangels in den Schlachthöfen, der Verarbeitung und Verpackung zurückging. Rein rechnerisch waren für jeden Menschen weltweit im Jahr 2018 noch 44,6 Kilo Fleisch verfügbar. Dieser Wert sank 2019 auf 43,6 Kilo und für das Jahr 2020 rechnet die FAO mit einem weiteren Absinken des Konsums auf 42,4 Kilo.

In einem Extrakapitel befasst sich der Bericht auch mit Parallelen und Unterschieden zwischen der aktuellen Corona-Pandemie und der Lebensmittelpreiskrise 2007-2009. Zunächst stellen die Autoren fest, dass es der Welt im Vergleich zur globalen Nahrungsmittelpreiskrise 2007-08 jetzt besser geht, da die Aussichten für die weltweite Nahrungsmittelproduktion positiv sind, die Nahrungsmittelpreise niedrig und die Lager gut gefüllt sind. Zu Beginn der Corona-Krise befanden sich die Bestände in den Getreidelagern mit 850 Millionen auf dem höchsten Stand seit Jahren und die Lager waren fast doppelt so gut gefüllt als 2007/08 mit 472 Millionen Tonnen. So sei man besser gegen Schocks gewappnet, wie etwa Extremwetterereignisse.

Doch obwohl es weltweit theoretisch genug Nahrung für alle gibt, hat sich der deutliche Rückgang des Wirtschaftswachstums aufgrund der Pandemie zu einem Problem entwickelt: Der Zugang zu Nahrungsmitteln sei für viele Menschen eingeschränkt und sie könnten sich nicht mit genügend und ausreichend nahrhaften Lebensmitteln versorgen. „Nicht alle Länder verfügen über die finanziellen Mittel, um die Auswirkungen der Pandemie zu bewältigen“, schreibt Josef Schmidhuber in dem Sonderfeature. Das gelte vor allem für die Länder, die in hohem Maße von Nahrungsmittelimporten abhängig sind. „Ebenfalls verwundbar sind schockanfällige Länder in Afrika südlich der Sahara, die von anderen Krisen wie Schädlingsbefällen und Krankheiten (Heuschrecken, afrikanische Schweinepest), ungünstigen Wetterbedingungen oder Sicherheitsproblemen (innere Unruhen) heimgesucht werden.“ Dort verlieren die Menschen ihre Einkommensmöglichkeiten und seien mit einer zunehmenden Bedrohung ihrer Lebensgrundlagen konfrontiert. Daher sei internationale Unterstützung unerlässlich, um die gefährdeten Bevölkerungsgruppen dieser Länder zu schützen und eine Verschärfung der Ernährungsunsicherheit zu vermeiden, schlussfolgert der Autor. (ab)

16.06.2020 |

Studie fordert mehr Investitionen in agrarökologische Forschung

Push
Eine Bäuerin erlernt die Push-Pull-Methode (Foto: Biovision)

Nur ein Bruchteil der Gelder für landwirtschaftliche Entwicklungszusammenarbeit in Afrika fließt in agrarökologische Projekte, während der Löwenanteil immer noch die industrielle Landwirtschaft fördert. Das zeigt ein neuer Bericht von Biovision, dem internationalen Experten-Panel IPES-Food und dem Institute of Development Studies, der die Finanzflüsse in diesem Bereich genauer untersucht. Zwar hätten bereits rund 30% der landwirtschaftlichen Betriebe weltweit ihre Produktionssysteme an agrarökologischen Prinzipien ausgerichtet und Betriebe, Kleinbauernfamilien, Gemeinschaften und Regionen engagierten sich erfolgreich für den agrarökologischen Wandel, betonen die Autoren. Doch bei den internationalen Geldgebern habe dies noch zu keiner wesentlichen Neuausrichtung der Finanzflüsse geführt, die nach Subsahara-Afrika gehen. Sie setzten nach wie vor auf eine Nahrungsproduktion, die auf Monokulturen, synthetischen Pestiziden und Kunstdünger basiert. „Tatsächlich befürworten die meisten Regierungen, sowohl in den Entwicklungs- als auch in den Industrieländern, immer noch die ‚Grüne Revolution‘ und die Forschung in die konventionelle Landwirtschaft. Sie sind überzeugt, dass dies der einzige Weg ist, um genügend Nahrungsmittel zu produzieren. Dasselbe gilt für die Gates Foundation und ihre in Nairobi ansässige Entwicklungsagentur AGRA“, sagt Hans Herren, Präsident von Biovision und einstiger Ko-Präsident des Weltagrarberichts. Dabei habe der industrielle Ansatz „auf der ganzen Linie versagt – bei den Ökosystemen, bei den Bauernfamilien, in ganz Subsahara-Afrika“, so Herren, und auch das Versprechen, den Hunger zu besiegen, sei bis heute nicht eingelöst.

Der Studie zufolge sind 85% der Projekte, die von der Bill and Melinda Gates Foundation, dem größten gemeinnützigen Investor in landwirtschaftliche Entwicklung, unterstützt werden, auf die industrielle Landwirtschaft und/oder deren Effizienzsteigerung beschränkt, etwa durch gezielte Ansätze, wie verbesserte Pestizidpraktiken, Impfstoffe für Nutztiere oder die Reduzierung von Nachernteverlusten. Nur 3% der durch die Stiftung finanzierten Projekte waren agrarökologisch, d.h. sie enthielten Elemente zur ökologischen Umgestaltung der landwirtschaftlichen Systeme. In Kenia, einem führenden Empfängerland von Agrarforschungsgeldern in Afrika, werden 70% der Projekte von Instituten durchgeführt, die auf industrielle Landwirtschaft setzen. Nur 13% der Projekte kenianischer Forschungsinstitute sind der Agrarökologie zuzurechnen und weitere 13% konzentrierten sich auf den Ersatz synthetischer Inputs mit ökologischen Alternativen. Etwas besser schneidet die Schweiz ab: Immerhin 51% der mit eidgenössischen Entwicklungsgeldern finanzierten Agrarforschungsprojekte enthalten Elemente der Agrarökologie, 41% davon beinhalten auch systemische Komponenten wie faire Arbeitsbedingungen und die Gleichstellung der Geschlechter. Nur 13% der Schweizer Projekte sind allein auf industrielle Landwirtschaft und effizienzbasierte Ansätze ausgerichtet. Dennoch bestehe Verbesserungspotenzial, da nur wenige der finanzierten Projekte wirklich systemische Ansätze verfolgen und einzelne agrarökologische Komponenten wie Agroforstwirtschaft oder komplexe Fruchtwechsel nur isoliert angegangen würden.

Der Bericht fordert einen Neuausrichtung der Finanzströme und Agrarforschung. Agrarökologische Methoden müssten verstärkt erforscht und das gewonnene Wissen verbreitet werden. „Mit der multiplen Herausforderung des Klimawandels, dem ökonomischen Druck auf Land und Wasser, ernährungsbasierten Gesundheitsproblemen sowie Pandemien wie Covid-19, welche das Problem der Ernährungsunsicherheit in Subsahara-Afrika noch verschärft, brauchen wir den Wandel jetzt“, sagt Herren. „Und um ihn realisieren zu können, müssen deutlich mehr Forschungsgelder in die Agrarökologie fließen.“ Der Studie zufolge bedarf es mehrerer Schritte, um alte Muster zu durchbrechen, die Prioritäten neu zu setzen und die Entwicklung und Verbreitung agrarökologischen Wissens zu beschleunigen. Dafür enthält sie eine Reihe von Empfehlungen, die sich besonders an bilaterale Geldgeber, gemeinnützige Förderer und Forschungseinrichtungen wenden.

In einer langfristigen Transformationsstrategie sei der Schwerpunkt zunächst auf die „operativen Elemente der Agrarökologie“ zu setzen. Neue Akteure könnten an das Thema Agrarökologie mit Kernpraktiken und Grundprinzipien herangeführt werden (z.B. Agroforstsysteme, Fruchtwechsel, die Push- und Pull-Technologie oder das System of Rice Intensification). Eine weitere Empfehlung lautet: „Brücken bauen zwischen formeller und informeller Forschung sowie unterschiedlichen Teilen der Forschungsgemeinschaft“. Die Zusammenarbeit zwischen Kleinbauerngruppen, NGOs und Forschern müsse verbessert werden. „Konkret müssen wir eine Transformationsstrategie entwickeln, die lokale Meinungen miteinbezieht und partizipativ ist. Wir müssen die Art und Weise ändern, wie wir Erfolg messen. Kg/ha ist nicht aussagekräftig“, betont Herren. Getreu dem Motto „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr!“ fordert die Studie auch einen Wandel bei Aus- und Weiterbildung. Die Entwickelung von agrarökologischen Lehrplänen an Schulen und Hochschulen und das Aufbrechen institutioneller Strukturen und mehr Transdisziplinarität seien nötig sowie ein Generationswechsel in der Forschung. „Es braucht frisch ausgebildete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die an einem nachhaltigen System forschen!“, so Herren. „Dafür brauchen sie langfristige finanzielle Unterstützung, auch von staatlicher Seite. Regierungen, internationale Institutionen, der Privatsektor – alle müssen die Agrarökologie als Weg in die Zukunft sehen.“ (ab)

09.06.2020 |

EU-Rechnungshof: „Unwirksame“ GAP hält Verlust der Biodiversität nicht auf

Kiebitz
Feldvögel: immer öfter allein auf weiter Flur (Foto: CC0)

„Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) war hinsichtlich der Umkehrung des seit Jahrzehnten zu beobachtenden Rückgangs der biologischen Vielfalt nicht wirksam, und intensive Landwirtschaft ist weiterhin eine der Hauptursachen für diesen Verlust.“ Mit diesem ernüchternden Fazit fasst der Europäische Rechnungshof die Ergebnisse seines am 6. Juni erschienenen Sonderberichts „Biodiversität landwirtschaftlicher Nutzflächen“ zusammen. 2011 nahm die EU-Kommission eine Biodiversitätsstrategie an, die den Verlust an biologischer Vielfalt und die Verschlechterung der Ökosysteme bis 2020 stoppen sollte. Sie verpflichtete sich, den Beitrag von Land- und Forstwirtschaft zur Erhaltung der Biodiversität zu erhöhen und eine „messbare Verbesserung“ des Erhaltungszustands von Arten und Lebensräumen, die von der Landwirtschaft beeinflusst werden, herbeizuführen. Die Rechnungsprüfer bewerteten nun, wie die EU dabei abschnitt und statteten dazu Deutschland, Irland, Polen, Rumänien und Zypern Prüfbesuche ab. „Bislang hat die GAP dem Rückgang der biologischen Vielfalt landwirtschaftlicher Nutzflächen, der sowohl für die Landwirtschaft als auch für die Umwelt eine große Gefahr darstellt, nicht ausreichend entgegengewirkt“, lautet die Bilanz von Viorel Ștefan, das für den Bericht zuständige Mitglied des Europäischen Rechnungshofs.

Der Rechnungshof stellte fest, dass in der Biodiversitätsstrategie der EU für 2020 keine messbaren Zielvorgaben für die Landwirtschaft festgelegt wurden, wodurch die Bewertung der EU-finanzierten Maßnahmen deutlich erschwert wurde. Außerdem war die Koordinierung zwischen den die Biodiversität betreffenden politischen Maßnahmen und Strategien der EU unzulänglich, sodass z.B. nichts gegen den Rückgang der genetischen Vielfalt, eine Unterkategorie der biologischen Vielfalt, getan wurde. In Europa sind Bestand und Vielfalt der Arten im Agrarland seit vielen Jahren rückläufig. Die Feldvogel- und Wiesenschmetterlingspopulationen haben sich seit 1990 um mehr als 30% verringert. Intensive Landwirtschaft hat zu einem Rückgang der Bestandsdichte und der Vielfalt der natürlichen Vegetation und damit auch der Tiere geführt und bleibt eine der Hauptursachen für den Verlust an Biodiversität, schreibt der Hüter der EU-Finanzen und stützt sich dabei unter anderem auf einen Bericht über den Zustand der Umwelt 2019 der Europäischen Umweltagentur. Für Deutschland war der im Mai veröffentlichte „Bericht zur Lage der Natur“ des Bundesumweltministeriums und des Bundesamts für Naturschutz ebenfalls zu dem Ergebnis gelangt, dass der Zustand von Tier- und Pflanzenarten sowie Lebensräumen in Deutschland insgesamt schlecht ist und gerade in der Agrarlandschaft der Artenschwund weiter rasant voranschreitet.

Mit den Direktzahlungen, die rund 70% der EU-Agrarausgaben ausmachen, gehen die Prüfer hart ins Gericht. Soweit bekannt wirken sie sich „nur begrenzt auf die biologische Vielfalt landwirtschaftlicher Nutzflächen aus“. Zwar hätten einige Voraussetzungen für Direktzahlungen, gerade Ökologisierung und Cross-Compliance, das Potenzial, die biologische Vielfalt zu verbessern, doch die Prüfer bemängeln, dass die Kommission und die Mitgliedstaaten Optionen mit geringen Auswirkungen wie den Zwischenfruchtanbau oder stickstoffbindende Pflanzen bevorzugten. Die EU-Instrumente zur Entwicklung des ländlichen Raums hingegen hätten ein größeres Potenzial zur Erhaltung und Verbesserung der Biodiversität als Direktzahlungen, insbesondere, wenn mit ihnen umweltfreundliche Bewirtschaftungsmethoden gefördert werden, die über die einschlägigen rechtlichen Verpflichtungen hinausgehen. Doch auch hier kritisiert der Hof, dass die EU-Staaten nur selten hochwirksame Maßnahmen wie ergebnisorientierte Regelungen einsetzen und lieber weniger anspruchsvollen, aber auch weniger vorteilhaften Regelungen den Vorzug gaben, die bei den Landwirten beliebter sind. Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament, nannte den Bericht eine „schallende Ohrfeige für das bestehende Agrarmodell“. „Damit ist klar, dass Lobbyinteressen die seit Jahrzehnten versprochene, aber nie verwirklichte Umkehr beim Artenschwund verhinderten. Denn wenn, wie vom Hof kritisiert, die Länder im Zweifel zu den weniger Artenschutz-wirksamen Programmen greifen, dann belegt auch dies den Kniefall vor der Agrarindustrie“, so Häusling.

Der Bericht enthält aber nicht nur Kritik, sondern auch Ratschläge. Die Prüfer empfehlen der Kommission, die Koordinierung und Gestaltung der EU-Biodiversitätsstrategie für die Zeit nach 2020 zu verbessern und die Ausgaben genauer verfolgen, den durch Direktzahlungen und Maßnahmen zur Entwicklung des ländlichen Raums geleisteten Beitrag zur Biodiversität von Agrarland zu optimieren und zuverlässige Indikatoren zur Bewertung der Auswirkungen der GAP auf die biologische Vielfalt zu entwickeln. Häusling fordert klipp und klar, dass die EU-Gelder nur noch dann gezahlt werden, wenn die Zahlungen an Nachhaltigkeitskriterien im Sinne der Biodiversität und Umwelt sowie des Klima- und Tierschutzes gebunden werden. Von der Kommission verlangt er, dass sie endlich in die GAP-Verhandlungen eingreift. „Sie muss nach der Vorlage der eigenen Biodiversitätsstrategie und der Farm-to-Fork-Strategie bekennen, ob ihre Ideen mehr wert sind, als das Papier, auf dem die Strategien geschrieben stehen.“ (ab)

05.06.2020 |

Qual der Wahl: die komplexe Klimabilanz unserer Lebensmittel

Obst
Qual der Wahl (Foto: CC0)

Die Klimabilanz von Lebensmitteln kann höchst unterschiedlich ausfallen – je nach Anbau- und Transportform, Saison, Herkunft und Verpackung. Verbraucherinnen und Verbraucher stehen im Supermarkt häufig vor der Entscheidung, ob sie zur plastikverpackten Biogurke aus Spanien oder der unverhüllten Gurke aus konventionellem Anbau in Deutschland greifen sollen oder ob im Winter frische Tomaten aus hiesigen Gewächshäusern klimafreundlicher sind als die passierten Tomaten im Glas. Unzählige Faktoren gilt es zu berücksichtigen und wer Studien und Klimarechner zu Rate zieht, bleibt oft ratlos zurück, da man sich schnell im Dickicht der diversen Bezugsgrößen und zugrunde gelegten Daten verirrt. Nun liefert das Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu) eine neue Studie, die dem Verbraucher Orientierung bieten soll und den ökologischen Fußabdruck von 200 Lebensmitteln und Gerichten ermittelt. Ihr Grundfazit lautet: Frisches, saisonal und regional angebautes Obst und Gemüse ist meist deutlich klimafreundlicher als außerhalb der Saison importierte Lebensmittel aus entfernten Regionen. Und eine Umstellung auf weniger Fleisch und Milchprodukte ist die wichtigste Stellschraube für eine nachhaltige Ernährungswende.

Die Autoren untersuchten fünf Produktgruppen, darunter Obst, Gemüse, Fleisch- und Milchprodukte sowie vegetarisch-vegane Ersatzprodukte. Ein Schwerpunkt der Studie ist der Einfluss unterschiedlicher Lebensmittel-Bereitstellungsprozesse auf den CO2-Fußabdruck eines Lebensmittels, z.B. Verpackung, Transporte und Anbausysteme. Eine Rolle spielt auch, auf welchen Flächen Lebensmittel angebaut werden und ob etwa tropische Regenwälder für den Anbau von Palmöl gerodet oder wie in Deutschland Moorgebiete für die Landwirtschaft umgewandelt werden. Das ifeu betont, dass bei allen Lebensmitteln Flächennutzungsänderungen konsequent eingerechnet wurden. Und die Studie unterscheidet, ob es sich um die Bilanz eines Lebensmittels an der Supermarktkasse handelt oder fertig zubereitet auf dem Teller.

„Bei unseren Lebensmitteln im Supermarkt hängt die Umwelt- und Klimabilanz oft weniger am Produkt als daran, wo und wie diese Produkte angebaut und danach transportiert und verpackt wurden“, sagt der Leiter der Studie, Dr. Guido Reinhardt. Frisch geerntete Äpfel aus Deutschland schneiden wenig überraschend besser ab als aus Neuseeland. Eine frische Ananas, die per Schiff zu uns transportiert wird, schlägt mit 0,6 CO2-Äquivalenten pro Kilo (kg CO2-Äq.) zu Buche, während per Flugzeug 15,1 kg CO2-Äq. erzeugt werden und damit 25 Mal mehr. Hier schneidet die Dosenananas im Vergleich zur frischen Flugananas besser ab mit 1,8 kg CO2-Äquivalenten. Die frische Erdbeere aus der Region weist einen Wert von 0,3 und aus Spanien von 0,4 auf im Vergleich zu den frischen Wintererdbeeren mit 3,4 – hier ist außerhalb der Saison Tiefkühlware besser mit einem Wert von 0,7. Regionale Produkte sind also nicht immer besser. Das gilt auch für die Tomate, die in der Saison in Deutschland mit 0,3 kg CO2-Äq. siegt, aber im Winter aus dem mit fossiler Energie beheizten Gewächshaus mit 2,9 gegenüber der Freilandtomate aus Südeuropa das Nachsehen hat. Aber auch der Einkaufsweg zählt: Wenn Hofläden oder Wochenmärkte extra mit dem Auto angefahren werden, um zwei Kilo Kartoffeln oder Spargel zu kaufen, dann habe man eine 20- bis 30-fach höhere CO2-Freisetzung als bei der Herstellung des Lebensmittels selbst, erklärt Reinhardt im Deutschlandfunk.

Bei der Verpackung fällt die Bilanz ebenfalls höchst unterschiedlich aus. „Die Einwegverpackung aus Metall oder Glas hat in vielen Fällen einen größeren Klimaeffekt als das eigentliche Lebensmittel. Das gilt auch für viele Getränke wie Wein und Bier – oft kommt es mehr auf die Hülle als den Inhalt an“, so Dr. Reinhardt. Hier hat beim Bier die 0,5l-Glasmehrwegflasche mit 0,9 die Nase vorne vor der 0,5l-Weißblechdose mit 1,0. Wer für seine Spaghettisoße Tomatenmark kauft, verursacht 4,3 kg CO2-Äquivalente, während der Durchschnittswert frischer Tomaten 0,8 beträgt, gefolgt von passierten Tomaten im Verbundskarton (1,6), in der Dose (1,8) und im Glas (1,9). Der zweite Teil der Studie widmet sich der „Systemgrenze Teller“ und untersucht die Klimabilanz verschiedener Gerichte. „Rind und Reis haben nicht nur einen hohen Klimaeffekt, sondern benötigen für die Erzeugung zusätzlich sehr viel Dünger und Wasser“, sagt Dr. Reinhardt. Greift man bei der Lasagne statt zu Rinderhack (1,6) zu klimafreundlicherem Schweinefleisch (1,0) oder Sojagranulat (0,7), verringert sich der Fußabdruck. Statt Reis als Beilage kann man Kartoffeln oder Dinkel verwenden. Das verursache nicht nur weniger Klimagase, sondern auch einen halb so großen Flächen- und Dünger-Fußabdruck und ein hundertfach geringeren ökologischen Fußabdruck bei Wasser, erläutert Reinhardt.

Beim Vergleich Bio versus konventionell zeigt sich, dass Fleisch, Milch und Eier aus Bioproduktion in einigen Fällen schlechter abschnitten als Produkte aus konventioneller Landwirtschaft. Als Grund wird angeführt, dass Biobetriebe bei diesen Produkten mehr Fläche benötigen, um dieselbe Menge zu produzieren. Daher wurden den Berechnungen höhere Hektarzahlen zugrunde gelegt, was zu höheren CO2-Emissionen führen kann. Für die Biobutter haben die Autoren 11,5 kg CO2-Äq. berechnet gegenüber 9,0 bei der normalen Butter. Die Biovollmilch im Verbundkarton verursacht 1,7, während die konventionelle Vollmilch mit der gleichen Verpackung 1,3 erzeugt. „Hier zeigt sich, dass der alleinige Blick auf die CO2-Emissionen nicht die ganze ökologische Wahrheit sagt“, betont jedoch der Studienleiter. „Die etwas höheren Emissionen werden durch den deutlich geringeren Pestizideinsatz, nachhaltigere Bodenbewirtschaftung und Erhöhung der Artenvielfaltviel mehr als wieder wettgemacht. Gerade in der Landwirtschaft kann ein allein auf die CO2-Emissionen eingeengter Blick die ökologische Gesamtbewertung stark verfälschen“, schlussfolgert Reinhardt. (ab)

29.05.2020 |

EU-Agrarsubventionen: Wohin die 6,7 Milliarden in Deutschland fließen

Geld
Gelder für die Großen (Foto: CC0)

Alle Jahre wieder Ende Mai ist es soweit: Die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) veröffentlicht die Empfänger der Gelder, die im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU ausgeschüttet werden. Von den 59 Milliarden Euro an Agrarsubventionen flossen 2019 rund 6,7 Milliarden an 322.000 Begünstigte. Die Suche in der BLE-Datenbank ist mühsam, doch das Agrarportal Proplanta hat die Informationen ausgewertet und eine Karte erstellt, die abbildet, wohin das Gros der Gelder geht. „Wie schnell zu erkennen ist, sind die Empfänger der millionenschweren Beträge nicht einzelne Landwirte, sondern neben der öffentlichen Hand insbesondere landwirtschaftliche Großbetriebe im Osten Deutschlands sowie diverse andere Unternehmen“, vermeldet das Portal. Insgesamt gab es laut der Datenbank 179 Empfänger, die mehr als eine Million Euro erhielten. An der Spitze stand 2019 das Landesamt für Umwelt Brandenburg mit 20 Millionen Euro, gefolgt vom Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt Mecklenburg-Vorpommern mit 10,2 Euro. Bei den Unternehmen gingen die höchsten Beträge an die Landgard Obst & Gemüse GmbH mit 6,16 Millionen und die Erzeugerorganisation für Obst und Gemüse in Schwerin mit 4.26 Millionen Euro.

Die Zahlungen umfassen sowohl den Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL), die sogenannte 1. Säule der GAP, mit der die Direktzahlungen finanziert werden (ca. 5 Milliarden Euro in Deutschland), als auch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER). Während die Direktzahlungen in Form von Betriebsprämien pro Hektar ausgezahlt werden, wovon vor allem Betriebe mit viel Fläche profitieren, dienen die Mittel aus dem ELER-Topf vorrangig der ländlichen Entwicklung, Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen sowie dem Küsten- und Hochwasserschutz. Empfänger sind hier also auch Kommunen, lebensmittelverarbeitende Betriebe und Biobetriebe. Für den Küstenschutz erhielt etwa der „Landesbetrieb für Küstenschutz Nationalpark und Meeresschutz“ Husum 6,9 Millionen – Platz 4 der Liste. Die Direktzahlungen stehen schon seit Langem in der Kritik, da sie vor allem wenigen großen Betrieben zugute kommen: Gerade einmal 0,5% der Höfe in Deutschland bekommen pro Jahr mehr als 300.000 Euro aus Brüssel überwiesen und 20% der Betriebe in der EU vereinen 80% der gesamten Agrarzahlungen auf sich.

Martin Hofstetter von Greenpeace kritisierte im Interview mit dem Deutschlandfunk die Direktzahlungen, „also das, was mit der Gießkanne an die Landwirtschaft verteilt wird, bezogen auf den Hektar.“ Jeder Landwirt, der einen Hektar – das ist ungefähr ein Fußballfeld groß – bewirtschaftet, kriegt etwa 280 Euro. Diese Förderung erhielten dann sehr große Ackerbaubetriebe, „die wenig Arbeitsplätze liefern, gerade in den neuen Bundesländern, und dort prämienoptimiert wirtschaften“. „Das heißt“, so Hofstetter, „sie halten gerade die Mindestbedingungen ein, bekommen dafür ihr Geld, und das lohnt sich richtig, das dann so durchzusetzen, dass man möglichst viel Fläche bewirtschaftet.“ Dies untermauert auch die Proplanta-Karte, die im Osten der Republik dunkel gefärbt ist- sprich dort sind die Betriebe konzentriert, die die höchsten Einzelzahlungen erhalten. So erhielt die Agrargesellschaft Pfiffelbach in Thüringen 2,19 Millionen Euro, wovon 856.000 Euro auf die Basisprämie entfielen. Die taz berichtete 2019, dass das Unternehmen nach eigenen Angaben 5.060 Hektar bewirtschaftet und 2017 rund 15 Millionen Euro Umsatz machte. Sie kritisierte, dass es allein schon wegen seiner Größe auch ohne Subventionen erhebliche Wettbewerbsvorteile habe und daher nicht auf Gelder aus öffentlicher Hand angewiesen sei.

Auch andere große Landwirtschaftsbetriebe, die über viel Fläche verfügen, und große Molkereien befinden sich jedes Jahr wieder auf der Empfängerliste. Friesland Campina Germany erhielt im Rahmen des EU-Schulprogramms für Obst, Gemüse und Milch rund 2.3 Millionen Euro und die Südzucker AG aus Mannheim, einer der größten Nahrungsmittelkonzerne Deutschlands, bekam 1.69 Millionen Euro, von denen 1 Million auf die Basisprämie entfiel. Im letzten Jahr teilte das Unternehmen auf Anfrage der taz mit, es habe die Direktzahlungen für die Bewirtschaftung von landwirtschaftlichen Flächen im Umfeld der eigenen Zuckerfabriken empfangen. Statt große Konzerne oder Betriebe mit viel Fläche zu fördern, die sich lediglich an einige minimale Greening-Auflagen halten, fordert Greenpeace, die Milliarden gezielt für Maßnahmen auszugeben, die dem Umweltschutz, dem Klimaschutz und der Artenvielfalt dienen. „Da können Landwirte teilnehmen, große und kleine, vielfältige und auch weniger vielfältige, und die kriegen dann konkret Geld für Leistung,“ erläutert Hofstetter. (ab)

20.05.2020 |

Bericht: Intensive Landwirtschaft setzt Arten und Lebensräumen zu

SChmet
Schmetterlingen geht es mies (Foto: CC0)

Der Zustand von Tier- und Pflanzenarten sowie Lebensräumen in Deutschland ist insgesamt schlecht. Gerade in der Agrarlandschaft schreitet der Artenschwund weiter rasant voran, denn Tiere und Pflanzen leiden unter der intensiven Landwirtschaft. Das zeigt der „Bericht zur Lage der Natur“, der vom Bundesumweltministerium und dem Bundesamt für Naturschutz (BfN) am Dienstag in Berlin präsentiert wurde. Die Bunderegierung legt darin alle sechs Jahre der EU-Kommission Rechenschaft über die Erfüllung der europäischen Fauna-Flora-Habitat (FFH)-Richtlinie und der EU-Vogelschutz-Richtlinie ab. Dafür wurden 14.000 Stichproben von Behörden und Naturschützern aus dem ganzen Bundesgebiet ausgewertet. Zwar gibt es auch Lichtblicke in einigen Lebensräumen zu vermelden, doch das Gesamtfazit fällt düster aus. „In manchen Teilen des Landes erholt sich die Natur: Vielen Buchenwäldern geht es gut, in den Wäldern und Siedlungen gibt es wieder mehr Vögel. Auch die Renaturierung von Flüssen und Auen trägt zur Erholung der Natur bei“, vermeldet Bundesumweltministerin Svenja Schulze zunächst das Positive. Doch: „Vor allem in der Agrarlandschaft geht es der Natur dagegen besorgniserregend schlecht. Das gilt besonders für Schmetterlinge und andere Insektenarten, die auf blütenreiche Wiesen und Weiden angewiesen sind. Denn diese wichtigen Ökosysteme gibt es in der intensiven Landwirtschaft immer seltener. Starke Verluste sehen wir auch bei vielen Vogelarten der Agrarlandschaft wie Kiebitz und Rebhuhn“, teilt die Umweltministerin mit.

Dem Bericht zufolge weisen 25% der untersuchten Arten einen günstigen Erhaltungszustand auf, darunter der Seehund und die Kegelrobbe in der Nordsee oder der Steinbock in den Alpen. Allerdings befinden sich 30% der Arten in einem unzureichenden Zustand und 33% in einem schlechten Zustand – das betrifft vor allem Schmetterlinge, Käfer und Libellen. Der Erhaltungszustand der übrigen Arten ist unbekannt. Bei den Lebensräumen sieht es nicht besser aus: Zwar befinden sich 30% in einem günstigen Zustand, darunter verschiedene Wald-Lebensräume, alpine Heiden und Gebüsche sowie Fels-Lebensräume. Doch 32% der untersuchten Lebensräume weisen einen unzureichenden und 37% einen schlechten Zustand auf, vor allem die landwirtschaftlich genutzten Grünland-Flächen, aber auch Seen und Moore. „Artenreiche Wiesen und Weiden verzeichnen sowohl in der Fläche als auch in ihrer Artenvielfalt starke Rückgänge. Dieser Trend setzt sich seit dem ersten nationalen FFH-Bericht im Jahr 2001 ungebrochen fort“, betont BfN-Präsidentin Prof. Dr. Beate Jessel. „Der Schutz des Grünlands muss deshalb nicht nur auf europäischer, sondern auch auf nationaler Ebene verbessert werden. Wenn wir Arten und Lebensräume erfolgreich schützen und erhalten, kann die Natur ein Teil von Lösungen sein.“ So könnten renaturierte Feuchtgebiete, intakte Moore und nachhaltig genutzte Wälder entscheidend zu Klimaschutz und Klimaanpassung beitragen.

Die wichtigsten Beeinträchtigungen der gefährdeten Lebensräume und Arten stehen dem Bericht zufolge in Verbindung mit der Landwirtschaft. „In der Zusammenschau wird deutlich, dass viele Treiber auf die Art und Intensität der Landnutzung, insbesondere auf eine intensive Landwirtschaft, zurück zu führen sind“, heißt es darin. Die Autoren verweisen auf die hohen Nährstoffeinträge durch landwirtschaftliche Düngung oder Nutzungsänderungen landwirtschaftlicher Flächen und in Wäldern, einschließlich der Aufgabe traditioneller Nutzungsformen. „Die intensive Landwirtschaft führt zu einer immer stärkeren Homogenisierung der Landschaft, in der inzwischen monotone artenarme Lebensräume vorherrschen. Artenreiche Grünland-Lebensräume, wie extensiv genutzte Mähwiesen, Magerrasen und Nasswiesen, verzeichnen starke Rückgänge sowohl quantitativ hinsichtlich ihrer Fläche als auch qualitativ etwa hinsichtlich des vorhandenen Arteninventars“, beklagen die Verfasser. Auch der Pestizideinsatz in der Land- und Forstwirtschaft macht der Natur zu schaffen. „Durch die intensive Bewirtschaftung (Herbizideinsatz, Düngung) sind auch Ackerwildkrautarten besonders gefährdet.“ Viele Arten wie die Kornrade, die Dicke Trespe oder das Flammen-Adonisröschen gebe es nur noch durch gezielte Schutzmaßnahmen. Beim Vogelschutz seien insbesondere die Vogelarten der Agrarlandschaft „bereits seit geraumer Zeit die Sorgenkinder“. Die bundesweiten Bestände von Rebhuhn und Kiebitz sind von 1992-2016 dramatisch eingebrochen, heute sind nur etwa ein Zehntel der Bestände dieser Arten vorzufinden.

Der Bericht enthält auch Vorschläge und Empfehlungen, wie gegengesteuert werden kann. Die Autoren fordern eine deutliche Reduzierung der Nährstoffeinträge und einen Verzicht auf den Einsatz von Pestiziden und Saatgutbeizen in den Natura 2000-Gebieten. „Der Einsatz von Pestiziden sollte generell reduziert und die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln und Bioziden mit besonderer Relevanz für Insekten in ökologisch besonders schutzbedürftigen Bereichen verboten werden.“ Zur Reduzierung der Stickstoffeinträge aus der Landwirtschaft sei eine konsequente Umsetzung der neuen Düngeverordnung erforderlich. Von besonderer Bedeutung sei weiterhin eine grundlegende Neuausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU. Diese sei „in ihrer jetzigen Form nicht ausreichend zu einer umweltgerechten Landwirtschaft und zum Erreichen der europäischen und deutschen Biodiversitätsziele“. Maßnahmen des so genannten Greenings seien bisher weitgehend wirkungslos. Es benötige eine höhere Umschichtung von Mitteln aus der ersten in die zweite Säule der GAP für biodiversitätswirksame Maßnahmen. (ab)

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