Nachricht

16.06.2020 |

Studie fordert mehr Investitionen in agrarökologische Forschung

Push
Eine Bäuerin erlernt die Push-Pull-Methode (Foto: Biovision)

Nur ein Bruchteil der Gelder für landwirtschaftliche Entwicklungszusammenarbeit in Afrika fließt in agrarökologische Projekte, während der Löwenanteil immer noch die industrielle Landwirtschaft fördert. Das zeigt ein neuer Bericht von Biovision, dem internationalen Experten-Panel IPES-Food und dem Institute of Development Studies, der die Finanzflüsse in diesem Bereich genauer untersucht. Zwar hätten bereits rund 30% der landwirtschaftlichen Betriebe weltweit ihre Produktionssysteme an agrarökologischen Prinzipien ausgerichtet und Betriebe, Kleinbauernfamilien, Gemeinschaften und Regionen engagierten sich erfolgreich für den agrarökologischen Wandel, betonen die Autoren. Doch bei den internationalen Geldgebern habe dies noch zu keiner wesentlichen Neuausrichtung der Finanzflüsse geführt, die nach Subsahara-Afrika gehen. Sie setzten nach wie vor auf eine Nahrungsproduktion, die auf Monokulturen, synthetischen Pestiziden und Kunstdünger basiert. „Tatsächlich befürworten die meisten Regierungen, sowohl in den Entwicklungs- als auch in den Industrieländern, immer noch die ‚Grüne Revolution‘ und die Forschung in die konventionelle Landwirtschaft. Sie sind überzeugt, dass dies der einzige Weg ist, um genügend Nahrungsmittel zu produzieren. Dasselbe gilt für die Gates Foundation und ihre in Nairobi ansässige Entwicklungsagentur AGRA“, sagt Hans Herren, Präsident von Biovision und einstiger Ko-Präsident des Weltagrarberichts. Dabei habe der industrielle Ansatz „auf der ganzen Linie versagt – bei den Ökosystemen, bei den Bauernfamilien, in ganz Subsahara-Afrika“, so Herren, und auch das Versprechen, den Hunger zu besiegen, sei bis heute nicht eingelöst.

Der Studie zufolge sind 85% der Projekte, die von der Bill and Melinda Gates Foundation, dem größten gemeinnützigen Investor in landwirtschaftliche Entwicklung, unterstützt werden, auf die industrielle Landwirtschaft und/oder deren Effizienzsteigerung beschränkt, etwa durch gezielte Ansätze, wie verbesserte Pestizidpraktiken, Impfstoffe für Nutztiere oder die Reduzierung von Nachernteverlusten. Nur 3% der durch die Stiftung finanzierten Projekte waren agrarökologisch, d.h. sie enthielten Elemente zur ökologischen Umgestaltung der landwirtschaftlichen Systeme. In Kenia, einem führenden Empfängerland von Agrarforschungsgeldern in Afrika, werden 70% der Projekte von Instituten durchgeführt, die auf industrielle Landwirtschaft setzen. Nur 13% der Projekte kenianischer Forschungsinstitute sind der Agrarökologie zuzurechnen und weitere 13% konzentrierten sich auf den Ersatz synthetischer Inputs mit ökologischen Alternativen. Etwas besser schneidet die Schweiz ab: Immerhin 51% der mit eidgenössischen Entwicklungsgeldern finanzierten Agrarforschungsprojekte enthalten Elemente der Agrarökologie, 41% davon beinhalten auch systemische Komponenten wie faire Arbeitsbedingungen und die Gleichstellung der Geschlechter. Nur 13% der Schweizer Projekte sind allein auf industrielle Landwirtschaft und effizienzbasierte Ansätze ausgerichtet. Dennoch bestehe Verbesserungspotenzial, da nur wenige der finanzierten Projekte wirklich systemische Ansätze verfolgen und einzelne agrarökologische Komponenten wie Agroforstwirtschaft oder komplexe Fruchtwechsel nur isoliert angegangen würden.

Der Bericht fordert einen Neuausrichtung der Finanzströme und Agrarforschung. Agrarökologische Methoden müssten verstärkt erforscht und das gewonnene Wissen verbreitet werden. „Mit der multiplen Herausforderung des Klimawandels, dem ökonomischen Druck auf Land und Wasser, ernährungsbasierten Gesundheitsproblemen sowie Pandemien wie Covid-19, welche das Problem der Ernährungsunsicherheit in Subsahara-Afrika noch verschärft, brauchen wir den Wandel jetzt“, sagt Herren. „Und um ihn realisieren zu können, müssen deutlich mehr Forschungsgelder in die Agrarökologie fließen.“ Der Studie zufolge bedarf es mehrerer Schritte, um alte Muster zu durchbrechen, die Prioritäten neu zu setzen und die Entwicklung und Verbreitung agrarökologischen Wissens zu beschleunigen. Dafür enthält sie eine Reihe von Empfehlungen, die sich besonders an bilaterale Geldgeber, gemeinnützige Förderer und Forschungseinrichtungen wenden.

In einer langfristigen Transformationsstrategie sei der Schwerpunkt zunächst auf die „operativen Elemente der Agrarökologie“ zu setzen. Neue Akteure könnten an das Thema Agrarökologie mit Kernpraktiken und Grundprinzipien herangeführt werden (z.B. Agroforstsysteme, Fruchtwechsel, die Push- und Pull-Technologie oder das System of Rice Intensification). Eine weitere Empfehlung lautet: „Brücken bauen zwischen formeller und informeller Forschung sowie unterschiedlichen Teilen der Forschungsgemeinschaft“. Die Zusammenarbeit zwischen Kleinbauerngruppen, NGOs und Forschern müsse verbessert werden. „Konkret müssen wir eine Transformationsstrategie entwickeln, die lokale Meinungen miteinbezieht und partizipativ ist. Wir müssen die Art und Weise ändern, wie wir Erfolg messen. Kg/ha ist nicht aussagekräftig“, betont Herren. Getreu dem Motto „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr!“ fordert die Studie auch einen Wandel bei Aus- und Weiterbildung. Die Entwickelung von agrarökologischen Lehrplänen an Schulen und Hochschulen und das Aufbrechen institutioneller Strukturen und mehr Transdisziplinarität seien nötig sowie ein Generationswechsel in der Forschung. „Es braucht frisch ausgebildete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die an einem nachhaltigen System forschen!“, so Herren. „Dafür brauchen sie langfristige finanzielle Unterstützung, auch von staatlicher Seite. Regierungen, internationale Institutionen, der Privatsektor – alle müssen die Agrarökologie als Weg in die Zukunft sehen.“ (ab)

Zurück zu den Meldungen

Unterstützer

Unterstützer von www.weltagrarbericht.de Verlag der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V. Bioland biovision Brot für die Welt Brot für alle Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland Demeter Zukunftsstiftung Entwicklung in der GLS Treuhand Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz Heidehof Stiftung Mission EineWelt Misereor Naturland Public Eye | Erklärung von Bern Rapunzel - Wir machen Bio aus Liebe Swiss Aid, Ihr mutiges Hilfswerk tegut W-E-G Stiftung
English versionEnglish versionDeutsche Version