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08.03.2021 |

Gleichberechtigung ist Schlüssel zur Ernährungssicherheit

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Doppelbelastung für Frauen in der Landwirtschaft (Foto: CC0)

Ohne die Gleichberechtigung von Frauen und Mädchen wird es bei der Hungerbekämpfung kaum Fortschritte geben. Ernährungsunsicherheit und Hungersnöte werden weiter bestehen und die Erholung von den Folgen der COVID-19-Pandemie wird ungleich ausfallen, wenn nicht mehr Frauen in ländlichen und städtischen Gebieten an Führungspositionen mit größerer Entscheidungsgewalt gelangen. Dies ist die Botschaft der drei UN-Ernährungsorganisationen anlässlich des Internationalen Frauentags. Das diesjährige Motto lautet entsprechend „Frauen in Führungspositionen: Das Erreichen einer gleichberechtigten Zukunft in einer COVID-19-Welt“. Die Leiter der Welternährungsorganisation (FAO), des Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD) und des Welternährungsprogramms (WFP) betonen, dass die COVID-19-Pandemie Frauen überproportional stark getroffen hat und bereits bestehende Verwundbarkeiten verschärft hat, da viele Frauen aufgrund der Krise geringere wirtschaftliche Möglichkeiten haben und schlechteren Zugang zu nahrhaften Lebensmitteln, während gleichzeitig ihre Arbeitsbelastung gestiegen und geschlechtsspezifische Gewalt eskaliert ist. Die Stärkung von Frauen und Bäuerinnen ist daher wichtig, damit sie zur Erholung von der Pandemie beitragen können und es gelingt, Armut zu bekämpfen, die Produktivität zu steigern und die Ernährungssicherheit zu verbessern. „Frauen und Mädchen können eine entscheidende Rolle bei der Reaktion auf die COVID-19-Pandemie und insbesondere bei der Umgestaltung unserer Agrar- und Ernährungssysteme spielen“, sagte FAO-Generaldirektor QU Dongyu. „Wir müssen alle zusammenarbeiten, um die notwendigen Veränderungen anzustoßen, um Frauen und Mädchen zu stärken, gerade in ländlichen Gebieten.“

Ernährungssicherheit und Geschlechterungleichheit sind eng mit bereits im Kindesalter einsetzenden Benachteiligungen verbunden. In vielen Ländern erleben Jungen und Mädchen eine ganz unterschiedliche Kindheit, mahnen die UN-Organisationen. Jungen essen zuerst, bekommen mehr auf den Teller als ihre Schwestern, helfen weniger im Haushalt mit und heiraten später. Viele Mädchen werden schon in einem Alter verheiratet, in dem sie eigentlich noch die Schulbank drücken sollten. „Auf der Welt leben mehr als 1,1 Milliarden Mädchen unter 18 Jahren, die das Potenzial haben, die größte Generation von weiblichen Führungspersönlichkeiten, Unternehmerinnen und Verändererinnen zu werden, die je die Chance hatte, sich für eine bessere Zukunft einzusetzen. Dennoch sind Frauen und Mädchen nach wie vor mit hartnäckigen strukturellen Einschränkungen konfrontiert, die sie daran hindern, ihr Potenzial voll zu entfalten, und sowohl ihr Leben zu verbessern als auch in ihren Haushalten und Gemeinden positive Veränderungen zu bewirken“, so QU Dongyu weiter. „Aus unserer Arbeit auf der ganzen Welt wissen wir, dass die Hungerraten sinken, wenn Frauen und Mädchen einen besseren Zugang zu Informationen, Ressourcen und wirtschaftlichen Möglichkeiten erhalten und ihre eigenen Entscheidungen selbstbestimmt treffen können, und sich die Ernährung nicht nur für sie selbst, sondern auch für ihre Familien, Gemeinden und Länder verbessert“, erklärt David Beasley, Exekutivdirektor des Welternährungsprogramms.

Mehr Mitbestimmung für Frauen ist besonders wichtig in ländlichen Gebieten in den Entwicklungsländern, wo die Stimmen der 1,7 Milliarden Frauen und Mädchen, die dort leben, oft überhört werden. 60% der Frauen in Südasien und Subsahara-Afrika arbeiten in der Landwirtschaft, doch sie haben weniger Zugang zu Ressourcen und Dienstleistungen als Männer – sei es zu Land, Finanzen, Schulungen, Betriebsmitteln oder Ausrüstung. Untersuchungen zufolge könnten Landwirtinnen, wenn sie den gleichen Zugang zu produktiven Ressourcen hätten wie Männer, die Erträge um 20 bis 30% und die gesamte landwirtschaftliche Produktion um 2,5 bis 4% steigern. Diese Menge würde ausreichen, um 100 bis 150 Millionen hungernde Menschen zu ernähren. Zusätzlich zu ihrer landwirtschaftlichen Arbeit tragen Frauen auch die Last der Hausarbeit und sind für die Versorgung ihrer Familien verantwortlich – Aufgaben, die während der COVID-19-Pandemie noch zugenommen haben. Zugleich sind Frauen stärker von den sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie betroffen. Viele haben ihre Existenz verloren oder ihr Einkommen hat sich drastisch verringert. „Es ist daher entscheidend, in Frauen auf dem Land zu investieren und sich dafür einzusetzen, dass sie eine führende Rolle spielen und stärker in die Gestaltung der Zeit nach der Pandemie einbezogen werden, damit ihre Perspektiven und Bedürfnisse angemessen berücksichtigt werden“, sagt IFAD-Präsident Gilbert F. Houngbo. Nur so sei es möglich, bessere Lebensmittelsysteme aufzubauen, in denen es einen gleichberechtigten Zugang zu nahrhaften Lebensmitteln und eine angemessene Existenzgrundlage für alle gebe. (ab)

19.02.2021 |

Bio boomt: Anbaufläche, Zahl der Betriebe und Nachfrage wächst

Boom
Bio befindet sich im Aufwind (Foto: CC0)

Die Nachfrage nach Bioprodukten und die ökologisch bewirtschaftete Fläche steigt – in Deutschland und weltweit. Das zeigen neue Zahlen, die auf dem Mitte Februar virtuell stattfindenden Branchentreffen BIOFACH präsentiert wurden. Rund um den Globus wurden 2019 mehr als 72,3 Millionen Hektar Land ökologisch bewirtschaftet – ein Anstieg um 1,6% gegenüber dem Vorjahr. Das zeigt der Bericht „The World of Organic Agriculture“, der vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL und IFOAM – Organics International veröffentlicht wurde. Ausgewertet wurden Daten zum Ökolandbau in 187 Ländern. Die Bioanbaufläche nahm demnach 2019 um 1,1 Millionen Hektar zu. Das Länder-Ranking führt Australien mit einer absoluten Bioanbaufläche von 35,7 Millionen Hektar an, danach kommen Argentinien und Spanien mit 3,7 bzw. 2,4 Millionen Hektar. Die Hälfte der ökologisch bewirtschafteten Fläche (35,9 Millionen Hektar) liegt aufgrund des Spitzenreiters Australien in Ozeanien, gefolgt von Europa mit 16,5 Millionen (23%) und Lateinamerika mit 8,3 Millionen Hektar (11%). In allen Regionen nahm die Biolandwirtschaftsfläche zu mit Ausnahme von Asien, wo ein Flächenrückgang in China verzeichnet wurde.

Beim weltweiten Anteil des Ökolandbaus ist mit 1,5% natürlich noch deutlich Luft nach oben, doch einige Länder sind schon deutlich weiter: Liechtenstein liegt mit einem Bioanteil von 41% an der Gesamtfläche an der weltweiten Spitze vor Österreich (26,1%), São Tomé und Príncipe (24,9%), Estland (22,3%) und Schweden (20,4%). Die Spitzenposition haben einige der Länder vor allem auch einem hohen Anteil an ökologisch bewirtschaftetem Dauergrünland zu verdanken. Bei der ökologisch bewirtschafteten Ackerfläche liegt in Europa in absoluten Zahlen Frankreich vorne mit 1,3 Millionen Hektar, gefolgt von Italien mit 1 Million Hektar und Deutschland mit 700.000 Hektar. Weltweit gab es dem Bericht zufolge 2019 rund 3,1 Millionen Bioproduzenten. Davon sollen 1,36 Millionen in Indien, 210.353 in Uganda und 203.602 in Äthiopien leben. Die Autorinnen und Autoren verweisen jedoch darauf, dass die genauen Zahlen schwer zu ermitteln sind, da einige Länder nur die Anzahl der Unternehmen, Projekte oder Erzeugergemeinschaften melden, die jeweils viele einzelne Produzenten umfassen können, sodass die Gesamtzahl noch höher sein könnte. Etwa 51% der Bioproduzentinnen und -produzenten leben in Asien, während 27% in Afrika und 14% in Europa ackern.

Der globale Markt für Bioprodukte wird für 2019 auf umgerechnet 106 Milliarden Euro geschätzt. Hier sind die USA führend mit einem Umsatz von 44,7 Milliarden Euro, gefolgt von Deutschland mit 11,9, Frankreich mit 11,3 und China mit 8,5 Milliarden Euro. Der französische Markt für Bioprodukte legte am stärksten zu mit einem Plus von 13,4%. Den höchsten Anteil an Bioprodukten am Gesamtmarkt hingegen hat Dänemark mit 12,1%. In der Schweiz betrug der Marktanteil 10,4% und in Österreich 9,3%. Die Dänen und Schweizer griffen für Biolebensmittel am tiefsten in die Tasche mit 344 bzw. 338 Euro in 2019. „Das Jahrbuch spiegelt das weltweite Vertrauen der Menschen in den biologischen Landbau und dessen Bedeutung für die Ernährung, die Umwelt und eine nachhaltige Entwicklung herausragend wider“, sagte Knut Schmidtke, Direktor für Forschung, Extension & Innovation bei FiBL Schweiz. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie bilden die Zahlen noch nicht ab, doch COVID-19 hat in vielen Ländern zu einem deutlichen Anstieg der Nachfrage nach Bioprodukten geführt. „Wir erwarten, dass wir die Auswirkungen der Pandemie auf den Biosektor mit den Daten für 2020 sehen, die in einem Jahr vorliegen werden“, sagt Helga Willer, die für FiBL die Herausgabe des statistischen Jahrbuchs verantwortet.

Aktuellere Zahlen liefert der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) bereits für Deutschland. Hier vergrößerte sich die Öko-Fläche im Jahr 2020 um 84.930 Hektar auf 1.698.764 Hektar Biofläche – ein Zuwachs von 5,3% gegenüber 2019. In den letzten 5 Jahren haben mehr als 8.000 Betriebe hierzulande auf Bio umgestellt. Mittlerweile gibt es 35.413 Höfe in Deutschland, die ökologisch wirtschaften. Aktuell werden 10,2% aller Landwirtschaftsflächen von Bio-Bauern beackert. „Der Blick auf 2020 und die vergangenen Jahre zeigt: Das 25%-Bio-Ziel, das sich die EU bis 2030 mit der Farm to Fork-Strategie gesetzt hat, ist erreichbar“, sagte der BÖLW-Vorsitzende Felix Löwenstein. Damit in Zukunft genügend Unternehmen die Bio-Chance nutzen können, müsse die Politik die Signale aber entschieden auf Nachhaltigkeit stellen. Seitens der Verbraucher fiel das Signal in Coronazeiten deutlich aus: Der Bio-Markt wuchs 2020 auf insgesamt 14,99 Milliarden Euro – ein Plus von 22% gegenüber dem Vorjahr. Öko legte ungefähr doppelt so stark zu wie der Lebensmittelmarkt insgesamt. Der Bio-Anteil am gesamten Lebensmittelmarkt erhöhte sich 2020 vorläufigen Zahlen zufolge auf 6,4 %. Trotz der positiven Entwicklungen mahnt der BÖLW, dass immer noch viel zu tun sei, um den notwendigen Umbau der Landwirtschaft voranzubringen und all jenen Planungssicherheit zu geben, die sich für eine Umstellung auf Bio entscheiden. „Besonders bei der EU-Agrarpolitik, die mit Milliarden Euro bestimmt, welche Landwirtschaft sich lohnt, braucht es einen Kurswechsel. Mindestens 70% der Gelder müssen in freiwillige Umweltleistungen der Bäuerinnen und Bauern investiert werden“, fordert Löwenstein. (ab)

08.02.2021 |

UN: Artenschutz erfordert weniger Fleisch, nachhaltigere Landwirtschaft

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Mehr Gemüse auf den Teller! (Foto: CC0)

Die Artenvielfalt schwindet schneller als je zuvor. Hauptursache ist die Art und Weise, wie die Menschheit sich ernährt und Lebensmittel produziert. Daher muss sich auf den Äckern und den Tellern schleunigst etwas ändern, mahnt ein Bericht der britischen Denkfabrik Chatham House, der vom UN-Umweltprogramm UNEP und der Tierschutzorganisation Compassion in World Farming unterstützt wird. Das am 3. Februar veröffentlichte Forschungspapier betont, dass es dringend einer Reform des Ernährungssystems bedarf, um den Verlust von Tier- und Pflanzenarten zu bremsen und die Zerstörung von Ökosystemen und Lebensräumen aufzuhalten. Die Autor*innen empfehlen drei miteinander verknüpfte Maßnahmen, um diese Transformation des Lebensmittelsystems voranzubringen: „Wir müssen die weltweiten Ernährungsgewohnheiten ändern, Land schützen und für die Natur zur Verfügung stellen und eine Landwirtschaft betreiben, die sich mehr im Einklang mit der Natur befindet und die Biodiversität fördert“, sagt Susan Gardner, Direktorin der UNEP-Abteilung für Ökosysteme. Die Ergebnisse der Studie wurden im Rahmen einer Online-Veranstaltung vorgestellt.

Das Artensterben beschleunigt sich weltweit, warnt der Bericht. Die Rate, mit der Tiere und Pflanzen schwinden, ist heute höher als im Schnitt der letzten 10 Millionen Jahre. Etwa ein Viertel der meisten Tier- und Pflanzenarten ist bereits vom Aussterben bedroht und etwa einer Million weiterer Arten droht dies innerhalb der nächsten Jahrzehnte. Das globale Ernährungssystem trage die Hauptschuld: Allein die Landwirtschaft gefährde 24.000 der 28.000 vom Aussterben bedrohten Arten. In den letzten 50 Jahren war die Umwandlung natürlicher Ökosysteme für den Ackerbau oder für die Nutzung als Weideflächen Hauptursache für den Verlust von Lebensräumen. „Die größte Gefahr für die Artenvielfalt entstehen durch die Nutzbarmachung von Land – die Umwandlung natürlicher Lebensräume für die Landwirtschaft und die intensive Bewirtschaftung von Land – angetrieben durch die ökonomische Nachfrage nach immer kalorienreicheren, aber nährstoffarmen Nahrungsmitteln, die aus immer weniger im großen Stil angebauten Rohstoffen produziert werden“, sagt Hauptautor Professor Tim Benton, Forschungsdirektor bei Chatham House. „Diese Rohstoffe sind die Basis eines verschwenderischen Lebensmittelsystems, das uns nicht ernährt, die Biodiversität gefährdet und den Klimawandel anheizt.“ Das Lebensmittelsystem ist laut der Studie für etwa 30% der gesamten vom Menschen verursachten Emissionen verantwortlich. Problematisch sei auch, dass die derzeitige Agrarproduktion stark von externen Inputs wie Dünger, Pestiziden, Energie und Wasser abhängig sei sowie von nicht nachhaltigen Praktiken wie Monokulturen und starker Bodenbearbeitung.

Die Reform unseres Ernährungssystems sei daher unerlässlich, um das Artensterben aufzuhalten. Der Bericht nennt drei Hebel, an denen wir drehen können. Erstens müsse sich unsere Ernährungsweise ändern und zwar weg vom Fleisch hin zu einer stärker pflanzlichen Ernährung, da sich die Tierhaltung, so wie sie aktuell betrieben wird, negativ auf die Artenvielfalt, die Landnutzung und die Umwelt auswirkt. „Solch eine Umstellung würde sich auch positiv auf die Gesundheit der Menschen rund um den Globus auswirken und das Risiko von Pandemien verringern. Zudem müsse die globale Verschwendung von Lebensmitteln enorm verringert werden. Kombiniert würden diese Maßnahmen den Druck auf die Ressourcen, einschließlich Land, durch die Reduzierung der Nachfrage verringern“, schreiben die Autoren. Zweitens müsse Land besser geschützt und für die Natur reserviert werden. Am meisten profitiere die Artenvielfalt, wenn wir ganze Ökosysteme erhalten oder wiederherstellen. Deshalb muss die Umwandlung von Land für die Landwirtschaft vermieden werden. Eine Umstellung der Ernährungsgewohnheiten sei notwendig, um Ökosysteme zu schützen oder wiederherzustellen. „Land könnte durch die Umstellung auf eine weniger ressourcenintensive Ernährung tatsächlich eingespart werden“, erklären die Autor*innen. „Somit erfordert die Einsparung von Land nicht immer eine Intensivierung der landwirtschaftlichen Flächen andernorts, um dies zu kompensieren.“

Der dritte Hebel für die Transformation des Ernährungssystems sei der Übergang zu Formen der Lebensmittelproduktion, die Biodiversität fördern, mit weniger Input auskommen und Monokulturen durch Anbaumethoden mit mehreren Kulturen ersetzen. Der Bericht skizziert drei Wege dorthin: Effizienzsteigerung, Ersatz künstlicher Prozesse durch ökologische und Neugestaltung des Systems. Hier gehe es darum zu gewährleisten, dass genügend Nahrung produziert werde, während zugleich die Umweltbelastung verringert werde. Die Autor*innen räumen ein, dass das Konzept der „nachhaltigen Intensivierung“ umstritten sei und oft verwendet werde, um Praktiken zu beschreiben, die alles andere als nachhaltig seien. Eher in Richtung der eingeforderten Reform gehen die Vorschläge, die unter den dritten Weg fallen – der Umstieg auf Produktionsweisen, die Land und andere natürliche Ressourcen grundlegend anders nutzen, wie regenerative Anbaumethoden, der Ökolandbau, Agroforstwirtschaft oder extensive Nutztierhaltungssysteme. „Viele agrarökologische und regenerative Anbausysteme, wie der Ökolandbau, sind von Natur aus vielfältiger und setzen auf Mischkulturen und Fruchtfolgen“, heißt es im Bericht. „Im Allgemeinen bedeutet die Beziehung zwischen Ertrag und Biodiversität, dass solche Systeme tendenziell ertragsärmer sind als die intensive Landwirtschaft.“ Daher führe auch hier kein Weg daran vorbei, dass der Fleischkonsum reduziert werden muss und der Lebensmittelverschwendung Einhalt geboten werden müsse.

Die drei Hebel greifen also ineinander und ohne eine Ernährungsumstellung gehe es nicht. Je schneller und entschlossener diese angegangen werden, desto mehr Spielraum biete sich bei den anderen beiden Hebeln. „Die Zukunft der Landwirtschaft muss naturfreundlich und regenerativ sein, und unsere Ernährung muss pflanzenbasierter, gesünder und nachhaltiger werden“, bringt es Philip Lymbery, Geschäftsführer von Compassion in World Farming, auf den Punkt. Der Bericht enthält auch Empfehlungen für Entscheidungsträger bereit, um die Reform des Ernährungssystems umzusetzen, denn das Jahr 2021 biete mit einer Vielzahl an anstehenden hochrangigen Treffen zu den Themen Ernährung, Klima und Biodiversität beste Chancen dafür, den Wandel auf den Weg zu bringen. Ein Beispiel sei der UN-Gipfel zu Ernährungssystemen (United Nations Food Systems Summit - UNFSS) in diesem Jahr. „Im Jahr 2021 bietet sich eine einzigartige Gelegenheit für die Neugestaltung des Lebensmittelsystems“, lautet der optimistische Appell der Herausgeber. (ab)

29.01.2021 |

Weniger Betriebe, größere Fläche, höhere Tierbestände

Landwirtschaft
Die Zahl der kleinen Betriebe sinkt (Foto: CC0)

Immer weniger Landwirtschaftsbetriebe bewirtschaften immer größere Flächen in Deutschland. In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Betriebe um 13% gesunken, während die durchschnittliche Hofgröße mit 63 Hektar einen Höchststand erreichte. Besonders viele tierhaltende Betriebe mussten in den letzten zehn Jahren aufgegeben, darunter fast die Hälfte aller Schweinehalter und 40% der Milchbetriebe. Das geht aus der Landwirtschaftszählung 2020 hervor, deren erste Ergebnisse am 21. Januar in Wiesbaden von den Statistischen Ämtern des Bundes und der Länder präsentiert wurden. Demnach sank die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe von 299.100 Betrieben im Jahr 2010 auf nun 263.500, während die landwirtschaftlich genutzte Fläche mit 16,6 Millionen Hektar fast konstant blieb. „Diesem fortlaufenden Rückgang der Betriebszahlen steht ein Anstieg der durchschnittlichen Betriebsgröße entgegen. Bewirtschaftete ein landwirtschaftlicher Betrieb 2010 noch durchschnittlich 56 Hektar Fläche, erhöhte sich diese Fläche in 2020 auf etwa 63 Hektar“, heißt es in einem Statement zur Pressekonferenz. „Damit sind die Betriebe so groß wie nie“, sagte Christoph Unger, Vizepräsident des Statistischen Bundesamtes. „Entgegen dem Bundestrend geht die durchschnittliche Betriebsgröße in Ostdeutschland jedoch leicht zurück, unter anderem deshalb, weil neue beziehungsweise ausgegründete Betriebe eher geringere Betriebsgrößen aufweisen.“ Da die Erhebungszeiträume vor März 2020 lagen, habe die Corona-Pandemie keinen Einfluss auf die Ergebnisse.

Es gibt in Deutschland immer weniger kleine Höfe. Zwar bewirtschaftet mit 86% noch immer der Großteil der landwirtschaftlichen Betriebe (ca. 225.400 Betriebe) eine Fläche bis maximal 100 Hektar und 45% aller Betriebe haben nicht mehr als 20 Hektar zur Verfügung. Doch 2010 verfügten noch 88,8% der Betriebe über maximal 100 Hektar und damit 40.200 Betriebe mehr. Dagegen stieg die Zahl der Betriebe mit einer landwirtschaftlich genutzten Fläche von über 100 Hektar seit 2010 um etwa 4.500 auf rund 38.100 Betriebe an. Damit bewirtschaften 14% aller Betriebe 62% der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche in Deutschland. Immerhin bremste sich die Geschwindigkeit des Strukturwandels zuletzt leicht ab: Verschwanden zwischen 2010 und 2016 noch jährlich 4000 Betriebe von der Bildfläche, waren es im Zeitraum 2016-2020 „nur“ noch etwa 3.000 Betriebe im Jahr und die Flächenzunahme sank von 0,8 Hektar pro Betrieb auf 0,6 Hektar. Besonders in der Tierhaltung ist der Trend zu immer größeren Betrieben mit höheren Tierbeständen erkennbar, während die Zahl der Betriebe enorm sinkt. Seit 2010 sank der Schweinebestand hierzulande gerade einmal um 4%, während 47% der Schweinehalter aufgaben. Das bedeutet, dass immer mehr Schweine in immer größeren Betrieben gehalten werden: 2010 waren es noch 459 Schweine pro Betrieb, 2020 mit durchschnittlich 827 Schweinen fast doppelt so viel. Die Zahl der Milchviehbetriebe ging im letzten Jahrzehnt um 40% auf 54.100 Betriebe zurück, während der Tierbestand um lediglich 5% abnahm.

Und auch das Bild, das sich in den tierhaltenden Betrieben bietet, ändert sich immer mehr. Die Spezialisierung der verbleibenden Betriebe schreitet voran, vor allem in der Geflügel- und Schweinehaltung. In 10.000 Betrieben wird ausschließlich Geflügel gehalten, doch sie vereinen 70% des gesamten Bestandes auf sich. Das gilt auch für die Schweinehaltung, wo rund 14.200 Betriebe nur noch Schweine halten und zwar 72% des gesamten deutschen Schweinebestands. Was die Haltungsform anbelangt so stieg in der Schweinehaltung der Anteil der Ställe mit Vollspaltenboden von 67% im Jahr 2010 auf 79% im vergangenen Jahr. Bei den Rindern hingegen wurde die Laufstallhaltung von 75% auf 83% ausgebaut. Nur noch 10% aller Haltungsplätze befanden sich 2020 in Ställen mit Anbindehaltung. In der Legehennenhaltung nahmen Freiland- und Bodenhaltung zu, während nur noch 4% aller Plätze auf die Käfighaltung entfallen. Ein wesentlicher Grund hierfür liegt im Verbot und der nahenden Auslauffrist dieser Haltungsform im Jahr 2025, so Destatis.

Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes befassen sich auch mit dem Ökolandbau. Demnach hält der Trend zur Umstellung weiter an. Im Jahr 2020 wirtschafteten knapp 26.400 Betriebe bzw. 10% aller Betriebe nach den Regeln des ökologischen Landbaus. Seit 2010 hat ihre Zahl um 60% bzw. 9.900 Betriebe zugenommen. Die ökologisch bewirtschaftete Fläche wuchs um 69% auf 1,6 Millionen Hektar in 2020. Dennoch ist der Anteil der Ökofläche an der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche mit 9,6% immer noch meilenweit von den Zielen der Bundesregierung entfernt, den Flächenanteil auf 20% bis 2030 zu erhöhen. Die Zahl der Betriebe mit ökologischer Tierhaltung ist in den letzten zehn Jahren um 43% gestiegen, doch nur 10% aller tierhaltenden Betriebe sind Bio-Betriebe. Beim Geflügel liegt der Anteil nur bei 5% und bei Schweinen gerade einmal bei 1%. In einer am 20. Januar veröffentlichen Bio-Bilanz zog der Bio-Dachverband Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) ein kritisches Fazit zum Abschneiden der Bundesregierung. „Die Bundesregierung hat mit dem Ziel ‚20% Bio bis 2030‘ klargemacht: Es braucht eine starke Ökologische Lebensmittelwirtschaft, um all die drängenden Probleme anzugehen“, sagte BÖLW-Vorsitzender, Felix Prinz zu Löwenstein. „Aber mit einer zukunftsfähigen Agrar- und Ernährungspolitik abzusichern, dass mehr Bauern und Lebensmittelbetriebe auf Öko umstellen können, das fehlt. Ebenso fehlt die Bereitschaft, alle Politikinstrumente, wie die Beschaffung durch die öffentliche Hand oder den Ausbau der Forschung, auf das Bio-Ziel auszurichten.“ (ab)

25.01.2021 |

Oxfam: Corona macht die Welt noch ungleicher

Slum
Die Ungleichheit verstärkt sich (Foto: CC0)

Die Covid-19-Pandemie hat die soziale Ungleichheit weltweit noch weiter verschärft: Während die 1.000 reichsten Menschen des Planeten ihre coronabedingten Verluste in gerade einmal neun Monaten wieder wettmachten, werden die Ärmsten auch in einem Jahrzehnt noch an den ökonomischen Folgen der Pandemie leiden. Das prognostiziert die Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam in einem neuen Bericht, der im Vorfeld des Weltwirtschaftsforums veröffentlicht wurde, bei dem sich dieses Jahr die Reichen und Mächtigen nur online ein Stelldichein geben. Gleich verteilt ist lediglich, dass als Folge der Corona-Pandemie die wirtschaftliche Ungleichheit erstmals in fast allen Ländern der Welt gleichzeitig anzusteigen droht. Wen es aber trifft und wie heftig, das ist wieder einmal höchst ungleich verteilt. Die Milliardäre dieser Welt profitieren sogar trotz der Pandemie, während die Ärmsten noch weiter abgehängt werden. „Die tiefe Kluft zwischen Arm und Reich erweist sich als ebenso tödlich wie das Virus“, sagt Tobias Hauschild, Leiter des Teams „Soziale Gerechtigkeit” von Oxfam Deutschland. Während „einige Wenige die Pandemie im Luxus überstehen“, kämpfe über die Hälfte der Menschheit darum, „ihre Rechnungen zu bezahlen und Essen auf den Tisch zu bringen“.

Für den englischen Bericht, zu dem es die deutsche Kurzversion „Das Ungleichheitsvirus“ gibt, hat Oxfam 295 Ökonom*innen aus 79 Ländern befragen lassen, darunter führende Ungleichheitsforscher wie Jeffrey Sachs, Jayati Ghosh und Gabriel Zucman. Insgesamt gehen 87% der Befragten davon aus, dass die Einkommensungleichheit in ihrem Land infolge der Pandemie zunehmen oder stark zunehmen wird. Mehr als die Hälfte befürchtet, dass die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern wahrscheinlich oder sehr wahrscheinlich zunehmen wird. Besonders alarmierend ist, dass zwei Drittel der Ökonom*innen der Ansicht sind, dass ihre Regierung keine Strategie zur Bekämpfung der Ungleichheit habe. Laut dem Bericht hat die Corona-Krise im Globalen Süden zu einem extremen Anstieg des Hungers geführt. Schätzungen zufolge starben bis Ende 2020 jeden Tag mindestens 6.000 Menschen an Hunger, der durch die Folgen der Krise verursacht wurde. So droht die Pandemie, die in den vergangenen Jahrzehnten mühsam erzielten Erfolge bei der Armutsbekämpfung zunichte zu machen. Schon vor Pandemiebeginn musste fast die Hälfte der Menschheit mit weniger als $5,50 am Tag auskommen und gilt damit nach der erweiterten Definition der Weltbank als arm. Die Gesamtzahl dieser Menschen könnte allein im Jahr 2020 noch um 200-500 Millionen gestiegen sein und noch 2030 über dem Vorkrisenniveau liegen. Gut zwei Drittel der Menschen, die aufgrund der Krise verarmen, leben in Süd- und Ostasien sowie der Pazifikregion.

Besonders betroffen von der Krise sind die Menschen, die ohnehin häufig mit Diskriminierung und Ungleichheit zu kämpfen haben. „Menschen in Armut sind dem Corona-Virus am stärksten ausgesetzt. Sie leben häufiger in beengten Verhältnissen, teilweise ohne Wasser und sanitäre Einrichtungen. Viele, insbesondere im informellen Sektor Tätige, können nicht von zu Hause aus arbeiten“, heißt es in der Zusammenfassung. Studien aus Großbritannien zeigten außerdem, dass die Todesrate von an COVID-19 erkrankten Menschen in einkommensschwachen Gegenden doppelt so hoch ist wie in wohlhabenden. Ähnliche Ergebnisse liegen auch für Frankreich, Spanien und Indien vor. Frauen sind wieder einmal am stärksten betroffen, beklagt Oxfam. In den Sektoren, in denen durch die Pandemie besonders hohe Einkommens- und Arbeitsplatzverluste drohen, z.B. in der Gastronomie oder im Büromanagement, sind 49% der berufstätigen Frauen beschäftigt, aber nur 40% der Männer. Frauen stellen weltweit auch etwa 70% der Arbeitskräfte im Gesundheits- und Sozialwesen – wichtige, aber meist schlecht bezahlte Jobs, in denen das Ansteckungsrisiko größer ist. Auch die Hautfarbe hat Einfluss auf das Risiko, an Corona zu erkranken oder zu sterben. In Brasilien etwa ist die Gefahr, an COVID-19 zu sterben, für Menschen mit dunkler Hautfarbe um 40% höher als für weiße Menschen. Auch in den USA sterben weniger Weiße an dem Virus.

Während die Welt die schlimmste Jobkrise seit über 90 Jahren erlebt und Hunderte Millionen ihr Einkommen oder ihre Arbeit verloren haben, hat sich für die Reichsten die Corona-Krise oft schon wieder ausgezahlt: Das Vermögen der (im Dezember 2020) zehn reichsten Männer der Welt ist seit Februar 2019 um fast eine halbe Billion US-Dollar auf $1,12 Billionen gestiegen. Mit diesem Gewinn könnte man die gesamte Weltbevölkerung gegen Covid-19 impfen und sicherstellen, dass niemand durch die Pandemie verarmt, hat Oxfam berechnet. Die drei derzeit reichsten Milliardäre verzeichneten in diesem Zeitraum exorbitante Zuwächse: Elon Musk $131 Milliarden, Jeff Bezos $60 Milliarden und Bernard Arnault $76 Milliarden. Die zehn reichsten Deutschen konnte Ende 2020 ihr Gesamtvermögen gegenüber Februar 2019 um 35% bzw. $62,7 Milliarden steigern. „Konzerne und Superreiche müssen jetzt ihren fairen Beitrag leisten, um die Krise zu bewältigen“, fordert Hausschild. „Aber das reicht nicht aus. Unternehmen, Märkte und Politik sind weltweit so gestaltet, dass kurzfristige Gewinninteressen zu oft über das Gemeinwohl triumphieren. Auf der Strecke bleiben Arbeitsschutz, Löhne und Menschenrechte. Diese zerstörerische Logik müssen wir umdrehen, doch mächtige Wirtschaftsinteressen verhindern bislang den nötigen Wandel.“

Oxfam fordert daher stärkere Unterstützung von Menschen in Armut und die Ausrichtung der Wirtschaft am Gemeinwohl. „Unternehmen müssen so reguliert werden, dass die Interessen aller von Unternehmensentscheidungen Betroffenen berücksichtigt werden“, heißt es in der Pressemitteilung. Es brauche ein effektives, gemeinwohlorientiertes Kartellrecht und sektorspezifische Regulierungen, die eine gerechte Verteilung von Gewinnen innerhalb der Lieferkette und die Einhaltung fairer Handelspraktiken sicherstellen. Gemeinwohlorientierte Unternehmen müssten besonders gefördert werden, etwa durch Bevorzugung bei öffentlicher Beschaffung und Wirtschaftshilfen. Auch am Steuersystem müsse gedreht werden: Kurzfristig müssen Unternehmen und Superreiche angemessen an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligt. Die Steuergelder werden dringend benötigt, um gerade in Ländern des Globalen Südens Menschen in Armut zu unterstützen und öffentlich finanzierte Systeme für Bildung, Gesundheit und soziale Sicherung auszubauen. Hätte man die Extragewinne der 32 globalen Konzerne, die 2020 trotz Pandemie die größten Zuwächse hatten, einmalig besteuert, wären 104 Milliarden US-Dollar zusätzlich verfügbar gewesen. (ab)

18.01.2021 |

10.000 Fußabdrücke geben Anstoß für eine zukunftsfähige Agrarpolitik

Kanzleramt
10000 Fußabdrücke für die Agrarwende (Foto: Nick Jaussi/www.wir-haben-es-satt.de)

Rund 10.000 Menschen demonstrierten am Samstag für eine Agrarwende in Berlin: Mithilfe von auf Papier verewigten Fußabdrücken forderten sie eine Landwirtschaft, in der Tiere artgerecht gehalten, Umwelt und Klima geschützt werden und Bäuer*innen faire Preise für ihre Produkte erhalten. Seit 2011 rufen die aktuell 60 Organisationen im „Wir haben es satt!“-Bündnis zu einer Großdemonstration im Vorfeld der Agrarmesse „Grüne Woche“ auf. Im letzten Jahr gingen etwa 27.000 Menschen in Berlin für eine Agrar- und Ernährungswende auf die Straße, darunter viele konventionell und ökologisch wirtschaftende Bäuer*innen aus dem ganzen Land. Eisige Finger und kalte Zehen blieben den Demonstrant*innen 2021 erspart: Da eine Demo in diesem Jahr coronabedingt nicht möglich war, brachten die Menschen ihre Botschaften per Post von der Couch direkt vors Kanzleramt. Reihe um Reihe spannten sich die Leinen vor dem Amtssitz von Kanzlerin Merkel – bestückt mit mehr als zehntausend kreativen Fuß- und Stiefelabdrücken oder Treckerspuren, die im Wind flattern. Darauf finden sich Botschaften wie „Bleibt uns mit Gift vom Acker“, „Mit großen Schritten in die ökologische Zukunft“, „Artenvielfalt statt Monokultur“, „Agrarwende: Verlust der Bodenfruchtbarkeit stoppen“ oder „Kein Werbung für Billigangebote in Supermärkten“.

„Agrarindustrie abwählen – Agrarwende lostreten!“ lautet die Botschaft des Protests zum Auftakt des Superwahljahres 2021. „Billiges Essen ist eine Sackgasse, die weder die Landwirtschaft noch die Verbraucher*innen weiterbringt“, kritisiert Saskia Richartz, Sprecherin von „Wir haben es satt“. Sie wirft Agrarministerin Julia Klöckner Versagen vor, da sie eine Politik auf Kosten von Höfen, Tieren und der Umwelt betreibe. Die CDU gehöre nach 15 Jahren miserabler Agrarpolitik abgewählt. „Wir fordern: Höfesterben stoppen, Umbau der Tierhaltung fördern, Pestizidausstieg vorantreiben und ein klares Nein zur Gentechnik und zum EU-Mercosur-Abkommen.“ Zentraler Knackpunkt ist die Verteilung der EU-Agrarsubventionen. Die Agrarpolitik müsse sicherstellen, dass artgerechte Tierhaltung und Klimaschutz deutlich gefördert werden und mithilfe der Gelder der Umbau der Landwirtschaft in Europa sozial und umweltgerecht gestaltet werde. „Im Moment wird Geld auf Fläche verteilt, also wer viel Land besitzt, bekommt viel Geld“, erklärt Richartz dem ZDF. „Wir fordern eine Umverteilung hin zu einer zielorientierten Förderung von Umweltschutzmaßnahmen, Klimaschutz und Tierwohl.“ Doch hier gibt es enormen Nachholbedarf: „Auch im vergangenen Jahr gab es keine Richtungsänderung in der Landwirtschaft, weil die GAP-Reform auf europäischer Ebene gescheitert ist“, kritisiert Jörg-Andreas Krüger, Präsident des Naturschutzbund Deutschland (NABU). „Deutschland muss nun bei der nationalen Ausgestaltung der EU-Agrarpolitik mehr Raum für Natur und Artenvielfalt schaffen und dafür sorgen, dass Landwirt*innen angemessen für ökologische Leistungen bezahlt werden.“

Am Samstagvormittag hatte eine Delegation von Bäuerinnen und Bauern aus Berlin und dem Umland vor der CDU-Zentrale ihrem Ärger über die Agrarpolitik der Union der vergangenen Jahre Luft gemacht - stellvertretend für die Treckerfahrer*innen, die sonst aus dem gesamten Bundesgebiet anrollen. „Dumpingpreise, Klimakrise und Artensterben zwingen uns alle zu Veränderungen. Wir Bäuerinnen und Bauern sind bereit, unseren Beitrag zu leisten“, sagte Sandra Finke-Neuendorf, Bäuerin aus Blankenfelde bei Berlin, die im Traktor-Konvoi mitfuhr. „Von Ministerin Klöckner erwarten wir endlich die notwendigen Rahmenbedingungen.“ Gerechte Erzeugerpreise und ein ernsthafter Systemwechsel in der Agrarpolitik seien unabdingbar. Auch Biobauer Jan Wittenberg aus Hildesheim fordert faire Preise ein, denn nur so könnten regionale Höfe fortbestehen und nicht nur Großbetriebe: „Und dazu müssen wir einfach eine bessere Preissituation kriegen und diesen ruinösen globalen Handel zumindest etwas bremsen“, sagte er dem ZDF.

Auch die globalen Auswirkungen der EU-Agrarpolitik und der industriellen Landwirtschaft hatten viele Fußabdrücke und Plakate im Blick. „Landraub stoppen“, „Gerechter Handel statt EU – Mercosur“ oder „Bauernrechte weltweit“ war da zu lesen. „Wir brauchen endlich gerechte, gesunde und nachhaltige Ernährungssysteme – und zwar weltweit“, sagte Lena Bassermann von INKOTA. „Deshalb fordern wir: Giftexporte stoppen. „Wenn ein Pestizidwirkstoff in Europa verboten ist, weil er Menschen oder Umwelt schadet, warum sollte er dann exportiert werden dürfen? Wir brauchen ein Ende von Doppelstandards in der Pestizidvermarktung und ein konsequentes Verbot für den Export.“ Auch auf den überhöhten Verbrauch von Ressourcen in den Industrieländern machte ein Fußabdruck aufmerksam: „Wir verbrauchen mehr Ressourcen, als uns zustehen. – Agrarwende jetzt!“, hieß es auf einem blauen Fußabdruck, der mit einer Wäscheklammer an die Leine vorm Kanzleramt geklemmt war. (ab)

14.01.2021 |

Dekret: Mexiko sagt Adiós zu Glyphosat und Gentechnik-Mais

Bunt
Mexiko ist die Wiege des Mais (Foto: CC0)

Mexiko hat der Verwendung von Glyphosat und gentechnisch verändertem Mais einen Riegel vorgeschoben. Ein am 31. Dezember im Amtsblatt veröffentlichtes Dekret sieht vor, dass der Einsatz des Herbizids und die Nutzung von GVO-Mais bis spätestens Ende Januar 2024 durch „nachhaltige Alternativen“ ersetzt werden müssen. „Mit dem Ziel, zur Ernährungssicherheit und -souveränität beizutragen und als besondere Maßnahme zum Schutz des heimischen Maises, der Milpa, des biokulturellen Reichtums, der bäuerlichen Gemeinschaften, des gastronomischen Erbes und der Gesundheit des mexikanischen Volkes, werden die Behörden für Biosicherheit (...) die Genehmigungen für die Freisetzung von gentechnisch verändertem Maissaatgut in die Umwelt widerrufen und nicht erteilen“, verkündet Artikel 6 des Dekrets. Die Entscheidung wurde von Umweltschutzorganisationen und Aktivisten freudig begrüßt, während Vertreter*innen der mexikanischen Agroindustrie die Regierung scharf kritisierten.

In Bezug auf den umstrittenen Unkrautvernichter Glyphosat legt Artikel 1 dar, dass die Behörden gemäß dem Dekret Maßnahmen ergreifen werden, um „die Verwendung, den Erwerb, den Vertrieb, die Förderung und den Import der chemischen Substanz namens Glyphosat und der im Land verwendeten Agrochemikalien, die sie als Wirkstoff enthalten, schrittweise durch nachhaltige und kulturell angemessene Alternativen zu ersetzen, die die Aufrechterhaltung der Produktion ermöglichen und für die menschliche Gesundheit, die biokulturelle Vielfalt des Landes und die Umwelt sicher sind.“ Bis 31. Januar 2024 läuft die Übergangsfrist für Landwirte und Unternehmen, doch laut Artikel 2 dürfen im Rahmen von öffentlichen Programmen oder anderen Regierungsmaßnahmen bereits ab Inkrafttreten des Dekrets am 1. Januar 2021 keine Herbizide mit dem Wirkstoff Glyphosat mehr beschafft, verwendet, verteilt oder importiert werden. Das Ministerium für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung sowie das Ministerium für Umwelt und natürliche Ressourcen werden „nachhaltige und kulturell angemessene Alternativen zur Verwendung von Glyphosat fördern und umsetzen, seien es andere Agrochemikalien mit geringer Toxizität, biologische oder ökologische Produkte, agrarökologische Praktiken oder der intensive Einsatz von Arbeitskräften“, heißt es in Artikel 3. Der Nationale Rat für Wissenschaft und Technologie (CONACYT) wird die Behörden jährlich dazu beraten, wie viel Glyphosat noch importiert werden darf.

Für die Verwendung von gentechnisch verändertem Mais gilt auch die Übergangsfrist bis 2024. Mexiko werde bestehende Genehmigungen widerrufen, neue Genehmigungen für die Freisetzung von gentechnisch verändertem Mais stoppen sowie schrittweise die Importe von GVO-Mais „in Übereinstimmung mit den geltenden Vorschriften und basierend auf Kriterien der ausreichenden Versorgung mit nicht mit Glyphosat behandeltem Mais“ reduzieren. Präsident Andrés Manuel López Obrador kündigte Maßnahmen an, um die Selbstversorgung des Landes mit Nahrungsmitteln zu stärken. Mexiko, die Wiege des Mais und Heimat Dutzender lokaler Sorten, baut selbst genügend Mais für den menschlichen Verzehr an. Mais ist in dem zentralamerikanischen Land ein nicht wegzudenkendes Grundnahrungsmittel und eine wichtige Zutat für Tortillas und andere traditionelle Gerichte und Lebensmittel. Für die Nutztierhaltung importiert Mexiko jedoch Gentechnik-Mais als Futtermittel. Hauptlieferant sind die USA. Nach Angaben des US-Landwirtschaftsministeriums (USDA) exportierten die USA im Jahr 2019 Mais im Wert von 2,7 Milliarden US-Dollar nach Mexiko. In Mexiko selbst wird kein gentechnisch veränderter Mais angebaut und der Anbau von Gentechnik-Soja wurde 2017 nach einer gerichtlichen Verfügung ausgesetzt. Allerdings wurde 2019 laut der Biotech-Lobbyorganisation ISAAA eine Fläche von 223.000 Hektar mit GV-Baumwolle bepflanzt.

Umweltorganisationen und Gentechnik-Gegner begrüßten das Verbot. Greenpeace Mexiko verbuchte das Dekret nach den unzähligen Kämpfen der letzten 21 Jahren gegen den Einsatz von Gentechnik im Land als Erfolg. „Es ist an der Zeit, die historische Schuld an der genetischen Vielfalt in Mexiko zu begleichen, und wir feiern das Verbot von gentechnisch verändertem Mais und das schrittweise Verbot von Glyphosat bis 2024, da dies wichtige Schritte auf dem Weg zu einer ökologischen Produktion sind, die die Artenvielfalt und Agro-Biodiversität bewahrt, die von den Bauern über Jahrtausende hinweg kultiviert wurde, und uns die Möglichkeit gibt, eine gesunde Umwelt und ein grünes und faires Ernährungssystem zu genießen.“ Homero Blas Bustamante, Präsident der mexikanischen Gesellschaft für ökologische Landwirtschaft (SOMXPRO), freute sich ebenfalls: „Es ist ein großer Sieg“, sagte er gegenüber Reuters. Biobauern sowohl in Mexiko als auch weltweit zeigten schon lange, dass Glyphosat in der Landwirtschaft unnötig sei und dass es wie andere Agrochemikalien auf der Grundlage des Vorsorgeprinzips verboten werden sollte. Die mexikanische Agroindustrie ist hingegen weniger erfreut. Die mexikanische Organisation Proccyt, die die Pestizidindustrie vertritt, bezeichnete das Dekret als Rückschritt und warnte, es könne die Preisstabilität und Verfügbarkeit von Mais gefährden und sich negativ auf mexikanische Bäuer*innen auswirken, die mit Landwirten in den USA und andernorts konkurrieren, die Glyphosat verwenden dürfen. (ab)

06.01.2021 |

Fleischatlas fordert grundlegenden Wandel in der Fleischindustrie

Fleisch
Fleisch: wie wurde es produziert? (Foto: CC0)

Ein grundlegender Wandel in der Nutztierhaltung und globalen Fleischproduktion ist bisher ausgeblieben – trotz Klimakrise und Skandalen in der Fleischindustrie. „Im Gegenteil: Massentierhaltung, Höfesterben, Futterimporte und Pestizideinsatz schreiten ungebremst voran“, warnen die Heinrich-Böll-Stiftung, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und Le Monde Diplomatique in ihrem heute veröffentlichten „Fleischatlas 2021“. Die Broschüre bietet auf 50 Seiten und mit über 80 Grafiken eine aktuelle Faktensammlung zu Fleischproduktion und -konsum in Deutschland und weltweit. Die Herausgeber fordern von der Politik einen grundlegenden Umbau der Fleischproduktion und gezielte Strategien, um den Verbrauch mindestens zu halbieren. Der globale Fleischkonsum hat sich in den letzten 20 Jahren mehr als verdoppelt, schreiben die Autoren. Die Produktion ist zwar 2019 das erste Mal seit 1961 weltweit nicht gewachsen, sondern um 2% auf 325 Millionen Tonnen gesunken, doch das lag eher an der Afrikanischen Schweinepest als an einem Kurswechsel. Wenn dieser nicht eingeläutet wird, könnte die Produktion bis 2028 auf rund 360 Millionen Tonnen Fleisch im Jahr steigen. Schon jetzt entfallen auf die Tierhaltung 14,5% der globalen Treibhausgas-Emissionen und sie trägt zum Artenschwund bei. „Die industrielle Fleischproduktion ist nicht nur für prekäre Arbeitsbedingungen verantwortlich, sondern vertreibt Menschen von ihrem Land, befeuert Waldrodungen, Pestizideinsätze und Biodiversitätsverluste – und ist einer der wesentlichen Treiber der Klimakrise“, betont Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung.

Im Vorwort des Atlas mahnen die Herausgeber: „Im Jahr 2015 haben sich die Staats- und Regierungschefs der Welt auf die globalen Entwicklungsziele (SDGs) geeinigt. Der Schutz des Klimas, der Biodiversität, der Meere und allem voran das Ende von Hunger und absoluter Armut stehen auf der Liste der 17 Ziele. Die Landwirtschaft ist eng mit dem Erfolg der Ziele verknüpft, doch steht gerade die industrielle Fleischproduktion dem im Weg.“ Und die Zeit läuft: „Die globalen Nachhaltigkeitsziele müssen wir in neun Jahren erreichen. Und das bedeutet, dass die Industrieländer ihren hohen Fleischverbrauch auf Kosten des Klimas, der Biodiversität, globaler Gerechtigkeit und des Tierwohls um mindestens fünfzig Prozent reduzieren müssen.“ Die Autor*innen räumen ein, dass Ernährung zwar individuell sei, doch wie auf die Produktionsbedingungen könne der Staat mit Gesetzen und Regeln auch Einfluss auf den Konsum zugunsten von Nachhaltigkeit und Gesundheit nehmen. „Instrumente dafür gibt es zahlreiche: fiskalische, informatorische und rechtliche. Vor allem aber bedarf es eines entschiedenen politischen Willens zur Veränderung.“ Mit Blick auf Deutschland beklagen die Herausgeber jedoch, dass die Bundesregierung offenbar kein Interesse an einer „Fleischwende“ zeige.

Deutschland produzierte 2019 immer noch 8,6 Millionen Tonnen Fleisch. Bei der Erzeugung von Schweinefleisch und Milch in der EU nimmt die Bundesrepublik eine Spitzenposition ein und erreicht Marktanteile von 21% bzw. 20%. Zudem ist Deutschland ein Exportland: Es produziert 16% mehr, als im Inland konsumiert wird. Bei Schweinefleisch liegt der Selbstversorgungsgrad sogar bei 19%. „Riesige Mengen werden exportiert. Diese Abhängigkeit vom Weltmarkt schadet der Umwelt, den Tieren und den bäuerlichen Betrieben“, kritisiert Olaf Bandt, Vorsitzender des BUND. Zudem würden die Höfe immer größer, während die Gesamtzahl sinke. Seit 2010 ist die Tierzahl pro Betrieb bei Mastschweinen von 398 auf 653 gestiegen. Bedenklich sei, dass die Zahlen bei Schweinen besonders in Nordrhein-Westfalen und Niedersachen gestiegen sind – gerade in jenen Regionen, die ohnehin aufgrund der überdurchschnittlich hohen Tierbestandsdichte Probleme auftreten. Damit wird die Verschmutzung des Grundwassers in diesen Regionen weiter verschärft. „Auf immer weniger Höfen leben immer mehr Tiere. Wir dürfen hier keine weiteren bäuerlichen Betriebe verlieren, wenn wir den Umbau schaffen wollen“, mahnt Bandt.

Die Herausgeber verweisen darauf, dass die Bevölkerung Veränderungen in der Tierhaltung befürworte. Gerade bei der jüngeren Generation sei zunehmend Bewusstsein und der Wunsch nach einem Wandel vorhanden. Eine repräsentative Umfrage für den Atlas zeigt, dass mehr als 70% der 15 bis 29-Jährigen die Fleischproduktion in Deutschland in ihrer jetzigen Form ablehnten. 40% der Befragten gaben an, wenig Fleisch zu essen und 13% ernähren sich nur vegetarisch oder vegan – doppelt so viele wie quer durch alle Altersgruppen der Bevölkerung. Nicht nur aus Tierschutzgründen greifen viele junge Menschen lieber zum Veggie-Burger – auch die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie fanden 70% der Befragten abstoßend. Die Herausgeber unterstreichen, dass dank Corona-Krise und der Arbeit der Gewerkschaften die prekären Arbeits- und Wohnbedingungen der Beschäftigten ins Rampenlicht gerückt seien und in Deutschland nun immerhin Leiharbeit und Werkverträge in den Kernzprozessen verboten seien. Unmüßig nennt dies zwar ein gutes Zeichen, doch ein Ende der Ausbeutung markiere es nicht. „Die wirtschaftlichen Interessen der milliardenschweren Fleischindustrie und die Reformverweigerung der Politik halten uns auf einem dramatischen Irrweg, der die ökologischen Grenzen des Planeten sprengt“, so Unmüßig. Bandt appelliert an die Politik, dem gesellschaftlichen Wunsch nach dem Umbau der Tierhaltung endlich Rechnung zu tragen. „Dies erfordert eine weitreichende politische Neuausrichtung der Agrarpolitik, aber die Agrarwende wird ohne eine Ernährungswende nicht zu schaffen sein. Niedrige Preise machen es den Bäuerinnen und Bauern schwer, auf die gestiegenen Anforderungen nach mehr Umweltschutz und mehr Tierwohl zu reagieren“, betont er. Eine tierschutzgerechte Tierhaltung müsse endlich verlässliche finanzielle Grundlagen bekommen. (ab)

23.12.2020 |

Transformation des Ernährungssystems kann Artensterben aufhalten

Ikhlasul Amal
Abholzung für Landwirtschaft? (Photo: Flickr, bit.ly/IkhlasulAmal, bit.ly/1_CC_BY-NC_2-0)

Unsere Ernährungsweise und Lebensmittelproduktion muss sich grundlegend ändern, um der Zerstörung von Lebensräumen und dem Artensterben Einhalt zu gebieten. Diese Erkenntnis ist nicht neu, doch eine am 21. Dezember in Fachjournal „Nature Sustainability“ erschienene Studie untermauert dies erneut. Wenn sich die aktuellen Trends fortsetzen, könnten 2-10 Millionen Quadratkilometer Land bis 2050 in Agrarflächen umgewandelt werden – meist zulasten natürlicher Lebensräume. Ein internationales Forscherteam prognostiziert nun, dass fast 90% aller Arten dadurch ihren Lebensraum teilweise verlieren könnten. „Wir haben abgeschätzt, wie sich die landwirtschaftliche Expansion zur Ernährung einer immer wohlhabenderen Weltbevölkerung auf etwa 20.000 Arten von Säugetieren, Vögeln und Amphibien auswirken wird“, erklärt Hauptautor Dr. David Williams von der Universität Leeds. „Fast 1.300 Arten werden wohl mindestens ein Viertel ihres verbleibenden Lebensraums verlieren und hunderte könnten mindestens die Hälfte verlieren. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sie aussterben werden.“ Doch es bestehe auch Hoffnung: Das Artensterben könnte gebremst werden, wenn wir uns gesünder ernähren, weniger Lebensmittel verschwenden, eine nachhaltige Ertragssteigerung gelingt und Landnutzung auf globaler Ebene geplant wird. „Wir müssen sowohl unsere Ernährungsgewohnheiten als auch die Art und Weise unserer Lebensmittelproduktion ändern“, so Dr. Williams.

Die Forscher entwickelten ein Modell, um zu prognostizieren, wo es wahrscheinlich zu einer Ausweitung von Agrarflächen kommen wird. Es basiert zum einen auf Beobachtungen, wie sich die Bodenbedeckung zwischen 2001 und 2013 veränderte und zum anderen auf Daten zu Faktoren, die voraussichtlich Einfluss darauf haben werden, dass sich die Landnutzung verändert, z.B. die Eignung eines Gebiets für die Landwirtschaft, die Nähe zu anderen Agrarflächen oder Marktzugang. Dieses Modell verknüpften die Wissenschaftler mit Schätzungen zum Bedarf an Agrarflächen zwischen 2010 und 2050, basierend auf der Bevölkerungszahl, dem Pro-Kopf-BIP und dem Ernteertrag in einzelnen Ländern. So konnten sie vorhersagen, wo und wie stark sich die landwirtschaftliche Fläche künftig wohl ausweiten wird. Dies setzen die Wissenschaftler dann in Beziehung zu Lebensraumkarten für fast 20.000 Amphibien-, Vogel- und Säugetierarten. Sie verwendeten eine kleinteilige räumliche Auflösung von 1,5×1,5 km, was die Bestimmung ermöglichte, welche Arten und Landschaften genau bedroht sind. So konnten sie berechnen, welchen Anteil des Lebensraums jede Art 2010-2050 verlieren wird. Untersucht wurde auch, ob die betroffenen Arten auf Agrarflächen überleben können.

Laut den Forschern könnte die globale Anbaufläche unter einem Business-as-usual-Szenario von 2010 bis 2050 um 26% bzw. 3,35 Millionen km² wachsen. Große Zuwächse seien in Subsahara-Afrika, Süd- und Südostasien (v.a. Bangladesch, Pakistan und im Süden Malaysias) sowie im Norden Argentiniens und in weiten Teilen Zentralamerikas zu erwarten. Diese Zunahme werden angetrieben durch „einkommensabhängige Übergänge hin zu einer Ernährung, die mehr Kalorien und größere Mengen an tierischen Lebensmitteln enthält, kombiniert mit einem hohen prognostizierten Bevölkerungswachstum und niedrigen Ernteerträgen, die vor allem in Afrika südlich der Sahara nur langsam ansteigen werden“, schreiben die Autoren. Sie gehen davon aus, dass 87,7% der Arten (17.409 Arten) bis 2050 einen Teil ihres Lebensraums verlieren werden, wenn die derzeitigen Trends anhalten. Bei 6,3% der Arten würde sich der verfügbare Lebensraum nicht verändern und bei 6,0 % gar wachsen, da sie gut auf Agrarflächen klarkommen. Doch diese Mittelwerte verschleiern, wie gravierend sich Lebensraumverluste auf viele Arten auswirken. Bis 2050 könnten 1.280 Arten mindestens 25% ihres Lebensraums verlieren, wodurch die Gefahr steigt, dass sie in den nächsten Jahrzehnten aussterben könnten. 347 Tierarten würden mindestens 50% ihres verbleibenden Lebensraums verlieren und bei 96 Arten wären es gar 75%. Viele der Arten, die wahrscheinlich am stärksten betroffenen sein werden, stehen aktuell nicht auf der Liste der vom Aussterben bedrohten Arten und Naturschützer haben sie daher vermutlich noch nicht auf dem Schirm.

„Eine proaktive Politik, die darauf abzielt, wie, wo und welche Lebensmittel produziert werden, könnte diese Bedrohungen reduzieren, wobei eine Kombination von Ansätzen potenziell fast all diese Verluste verhindern und gleichzeitig zu einer gesünderen Ernährung der Menschen beitragen könnte“, heißt es in der Studie. Um das Potenzial solcher proaktiven Ansätze zu untersuchen, entwickelten die Forscher ein Szenario, das vier Veränderungen in Nahrungsmittelsystemen einbezieht: das Schließen von Ertragslücken, einen weltweiten Übergang zu einer gesünderen Ernährung, die Halbierung von Lebensmittelverlusten und -verschwendung sowie eine globale landwirtschaftliche Flächennutzungsplanung, um Konkurrenz zwischen der Lebensmittelproduktion und dem Schutz von Lebensräumen zu vermeiden. Sie analysierten sowohl die Wirkung jedes einzelnen Ansatzes als auch in Kombination. Die gleichzeitige Umsetzung aller vier Szenarien würde den globalen Landbedarf bis 2050 um fast 3,4 Millionen km² im Vergleich zu 2010 und um 6,7 Millionen km² im Vergleich zu einem „Weiter wie bisher“ senken. In allen Regionen würden die Tierarten bis 2050 im Schnitt maximal 1% der Lebensräume verlieren und lediglich 33 Arten würde mehr als 25% ihres Lebensraums abhandenkommen – anstatt 1.280 Arten, wenn wir nichts ändern.

Die Auswirkungen der einzelnen Ansätze unterscheiden sich je nach Region. So würde etwa eine Ertragssteigerung in Nordafrika, Westasien und Subsahara-Afrika, wo noch große Ertragslücken bestehen, große Vorteile bringen, aber die Wissenschaftler warnen auch, dass Ertragssteigerungen oft negative Folgen für die Arten haben, die im Agrarland leben. In Nordamerika, wo die Erträge bereits nahe am Maximum sind, bringe ein Ertragsplus hingegen kaum mehr Schutz für die Artenvielfalt. Die Umstellung auf eine gesündere Ernährung und die Verringerung der Lebensmittelverschwendung würden vor allem in reicheren Regionen mit einem hohen Pro-Kopf-Verbrauch an Kalorien und tierischen Lebensmitteln erhebliche Vorteile bringen. In Regionen mit geringem Fleischkonsum und hoher Ernährungsunsicherheit hingegen wird eine gesündere Ernährung dagegen einen geringeren Nutzen für die Biodiversität mit sich bringen. Eine globale Landnutzungsplanung allein würde die geringste Wirkung entfalten, da immer noch 1.026 Arten einen Verlust von mindestens 25% ihres im Jahr 2010 noch verfügbaren Lebensraums hinnehmen müssten. Subsahara-Afrika würde am meisten von dieser Maßnahme profitieren. Das Wissen um die Auswirkungen jedes einzelnen Ansatzes könne politischen Entscheidungsträgern und Naturschützern dabei helfen abzuwägen, welche Veränderungen in ihrem Land oder ihrer Region voraussichtlich den größten Nutzen bringen werden. „Es ist jedoch wichtig, dass wir alle diese Maßnahmen ergreifen“, betont Hauptautor Dr. Michael Clark von der Universität Oxford. „Kein einzelner Ansatz ist für sich allein ausreichend.“ Traditionelle Schutzmaßnahmen, wie die Einrichtung neuer Schutzgebiete oder Gesetze für vom Aussterben bedrohte Arten, genügten nicht. Die Ursachen der landwirtschaftlichen Expansion müssten angegangen werden. „Die gute Nachricht ist: Wenn wir ehrgeizige Änderungen am Lebensmittelsystem vornehmen, können wir fast alle Lebensraumverluste verhindern“, so Clark weiter. Das Fazit der Autoren: „Diese proaktiven Bemühungen, die Art und Weise, wie wir Nahrung produzieren und konsumieren, zu ändern, wird eine große Herausforderung sein, aber eine, die nicht vermieden werden kann, wenn wir alle Arten für künftige Generationen erhalten wollen.“ (ab)

17.12.2020 |

Studie: 385 Millionen Vergiftungen durch Pestizide pro Jahr

Pesticides
Pestizide im Reisfeld (Foto: Pixabay)

Jedes Jahr kommt es weltweit zu schätzungsweise 385 Millionen unbeabsichtigten Pestizidvergiftungen – in etwa 11.000 Fällen mit tödlichem Ausgang. Das geht aus einer Studie hervor, die am 7. Dezember im Fachmagazin „BMC Public Health“ veröffentlicht wurde. Die Zahl der Menschen, die sich versehentlich eine Vergiftung durch Pestizide zuzogen, ist in den letzten Jahrzehnten zudem deutlich gestiegen. Zu diesem Ergebnis gelangten die Forscherinnen und Forscher nach einer umfassenden Auswertung von aktuellen Studien und Datenbankrecherchen. In Auftrag gegeben wurde die Studie vom Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN), einem Zusammenschluss von über 600 Nicht-Regierungsorganisationen und Einzelpersonen in über 90 Ländern. „Die aktuellen Zahlen verdeutlichen, wie sehr das Leid von Millionen von Menschen über Jahrzehnte massiv unterschätzt wurde, kommentierte Susan Haffmans, Referentin bei PAN Germany.

Auf der Suche nach globalen Zahlen zum Thema Pestizidvergiftungen stieß man bis dato stets auf die vielerorts zitierte Angabe, dass es jedes Jahr zu einer Million schwerwiegender unbeabsichtigter Pestizidvergiftungen kommt, von denen 20.000 Fälle tödlich enden. Diese Zahlen stammen aus einer Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus dem Jahr 1990, die sich auf nur wenige Länder und Daten aus den 1980er Jahren stützte. Die Zahl der nicht gemeldeten Vergiftungen mit milderen Auswirkungen wurde basierend auf diesen WHO-Angaben auf 25 Millionen Fälle geschätzt. Die neue Studie liefert nun aktuelle Zahlen zum weltweiten Ausmaß des Problems. Die Autor*innen führten dafür zunächst eine systematische Analyse von über 800 wissenschaftlichen Publikationen durch, die zwischen 2006 und 2018 zum Thema veröffentlicht wurden. Letztlich berücksichtigt wurden Daten aus 157 geeigneten Studien, die insgesamt auf 741.429 nicht beabsichtigte Pestizidvergiftungen schließen lassen, von denen 7.508 einen tödlichen Ausgang hatten. Die meisten der Studien befassten sich mit arbeitsbedingten Vergiftungen bei Landwirt*innen und Landarbeiter*innen. Des Weiteren werteten die Autor*innen Informationen aus der Todesursachen-Datenbank der WHO aus. So konnten sie insgesamt 141 Länder weltweit abdecken und Länderübersichten erstellen. Dann schätzten die Wissenschaftler*innen die Zahl der in den jeweiligen Ländern jährlich vorkommenden unbeabsichtigten Pestizidvergiftungen. Die weltweite Gesamtzahl wurde dann basierend auf nationalen Kennzahlen und Bevölkerungsdaten berechnet. Das Ergebnis: Geschätzt 385,5 Millionen Pestizidvergiftungen jährlich, davon 10.881 mit tödlichem Ausgang.

Umgerechnet bedeute dies, dass etwa 44% der in der Landwirtschaft tätigen Weltbevölkerung jedes Jahr mindestens eine Vergiftung erleiden, betonen die Verfasser*innen. „Die tagtäglichen Vergiftungen führen dauerhaft auch zu chronischen Erkrankungen, wie Krebs, zu neurologischen Schädigungen und zu Fruchtbarkeitsstörungen“, beklagt Susan Haffmans. „Wir müssen endlich ein schrittweises Verbot der schlimmsten Pestizide, der sogenannten hochgefährlichen Pestizide (HHPs) durchsetzen, um die Gesundheit und das Leben derjenigen zu schützen, die tagtäglich unsere Nahrung produzieren.“ Der Studie zufolge traten die meisten nicht-tödlichen Vergiftungsfälle in Südasien auf, gefolgt von Südostasien und Ostafrika. Die höchste nationale Einzelinzidenz wurde in Burkina Faso festgestellt, wo jährlich fast 84% der Bäuer*innen und Landarbeiter*innen unbeabsichtigte akute Pestizidvergiftungen erleiden. Ebenfalls sehr hoch ist der Anteil mit rund 82% in Pakistan und Kuwait. In Indien lag der Wert bei 62%, doch das Land vereint 60% der Vergiftungen mit tödlichem Ausgang auf sich. Am geringsten ist die Inzidenz in den USA, wo sich gerade einmal 0,05% der Landwirte und Landarbeiter unabsichtlich vergiften.

Dass die Zahl der weltweiten nicht-tödlichen, unbeabsichtigten Pestizidvergiftungen deutlich höher geschätzt wird als einst von der WHO, ist den Studienautor*innen auch darauf zurückzuführen, dass sich der weltweite Pestizideinsatz in Tonnen von 1990 bis 2017 um etwa 80% erhöht hat. In Südamerika betrug der Anstieg gar 484% und in Asien 97%, während die Menge in Europa um 3% zurückgegangen sei, berechneten die Autor*innen basierend auf der FAO-Datenbank FAOSTAT. „Es ist also wahrscheinlich, dass jetzt weltweit viel mehr Landwirte und Arbeiter Pestiziden ausgesetzt sind bzw. durch häufigere Anwendung stärker ausgesetzt sind“, heißt es in der Studie. Zudem decke die aktuelle Studie eine größere Anzahl von Ländern ab. Dennoch sei davon auszugehen, dass die neuen Schätzungen das reale Ausmaß weiter unterschätzen, unter anderem dadurch, da viele Staaten über keine zentrale Meldestelle verfügten bzw. es keine Meldepflicht für Pestizidvergiftungsfälle gebe. „Wir wissen, dass es Einschränkungen bei den Daten über Pestizidvergiftungen gibt“, erläutert Javier Souza, Koordinator von PAN Lateinamerika. „Aber diese Studie offenbart unbeabsichtigte Pestizid-Vergiftungen deutlich als ein ernstes, globales Problem, das sofortiges Handeln erfordert. Hochgefährliche Pestizide müssen bis 2030 schrittweise vom Markt genommen werden, um die globalen Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, und wir müssen zu gesünderen und widerstandsfähigeren Systemen wie der Agrarökologie übergehen“. Nicht in der Studie berücksichtigt sind übrigens jene Fälle, bei denen Vergiftungen mit Pestiziden absichtlich herbeigeführt wurden, zum Beispiel bei Suiziden von Landwirt*innen. Die Autor*innen verweisen lediglich auf eine systematische Auswertung von Daten aus den Jahren 2006 bis 2015, die ergab, dass im Zeitraum 2010-2014 jährlich zwischen 110.000 und 168.000 Menschen ihrem Leben mithilfe von Pestiziden ein Ende setzten. (ab)

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