Nachrichten

09.11.2016 |

Studie: Globale Fleischsteuer wäre gut fürs Klima und die menschliche Gesundheit

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Weniger Fleisch - gut für Klima und Gesundheit (Foto: CC0)

Weltweit höhere Steuern auf Fleisch und Milch würden zu einer starken Reduzierung der Treibhausgasemissionen führen und jährlich eine halbe Million Menschenleben durch eine gesündere Ernährung retten. Das ist das Ergebnis einer am 7. November im Fachjournal „Nature Climate Change“ veröffentlichten Studie von Wissenschaftlern der Universität Oxford, die sich erstmals aus globaler Perspektive mit den Auswirkungen einer Klimasteuer auf Lebensmittel befasst. Demnach müsste Rindfleisch weltweit um 40 Prozent teurer werden, damit die bei der Produktion entstandenen Klimaschäden ausgeglichen werden. Bei Milch und anderen Fleischsorten müsste der Anstieg 20 Prozent betragen und auch der Preis von Pflanzenölen müsste deutlich ansteigen. Das würde den Berechnungen der Wissenschaftler zufolge dazu führen, dass der Konsum emissionsreicher Lebensmittel um 10 Prozent zurückgeht und sich die Menschen gesünder ernähren. Der Studie zufolge könnte dies bis 2020 eine Milliarde Tonnen Treibhausgasemissionen eingesparen – mehr als der weltweite Flugverkehr momentan verursacht.

„Die Einberechnung von Emissionen in Lebensmittelpreise würde einen dringend nötigen Beitrag des Ernährungssystems zur Minderung der Auswirkungen des Klimawandels leisten“, so der Hauptautor der Studie, Dr. Marco Springmann vom Oxford Martin Programme on the Future of Food. „Wer 40% mehr für sein Steak bezahlen muss, entscheidet sich womöglich nur einmal statt zweimal die Woche dafür.” Die Wissenschaftler untersuchten verschiedene Preismodelle, darunter ein Modell, in dem Lebensmittelpreise die bei der Produktion verursachten Emissionen widerspiegeln, und ein System, in dem die Steuereinnahmen eingesetzt werden, um die höheren Lebensmittelpreise für Verbraucher abzufedern und Anreize für den Verzehr von Obst und Gemüse zu schaffen. „Lebensmittelpreise sind ein sensibles Thema“, betont Dr. Springmann. Daher nahmen die Forscher genau unter die Lupe, ob die bei der Lebensmittelproduktion entstandenen Emissionen auf den Preis aufgeschlagen werden können, ohne die Gesundheit gerade einkommensschwacher Menschen und Länder aufs Spiel zu setzen. Demnach kann eine angemessen gestaltete Klimasteuer auf Lebensmittel in Ländern mit hohen und mittleren Einkommen sowie in den meisten Staaten mit geringem Einkommen eine gute Maßnahme zur Förderung der Gesundheit und zur Minderung des Klimawandels sein, schlussfolgern die Autoren. Eine Fleischsteuer würde für Millionen Menschen die Wahrscheinlichkeit senken, an ernährungsbedingten chronischen Krankheiten zu leiden, wie Typ-2-Diabetes oder Herzkrankheiten. Bis 2020 könnten durch eine Ernährung mit weniger rotem Fleisch, aber mehr Obst und Gemüse und durch die Senkung von Übergewicht und Fettleibigkeit weltweit 500.000 Todesfälle vermieden werden.

Würden jedoch die Lebensmittel einfach nur teurer ohne Ausgleichsmaßnahmen, hätte dies in einigen armen Ländern, besonders in Subsahara-Afrika und Südostasien, negative Folgen, da die Verfügbarkeit von Lebensmitteln sinken und mit Untergewicht verknüpfte Todesfälle zunehmen könnten. Doch wenn eine Klimasteuer mit Einkommenshilfen für arme Bevölkerungsschichten und Subventionen für gesunde Lebensmittel kombiniert wird, wäre das der Gesundheit in allen 150 untersuchten Ländern zuträglich. „Bisher wurde Lebensmittelproduktion und -konsum bei der Klimapolitik ausgeklammert, da es teils Bedenken hinsichtlich der möglichen Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit gab“, betont Dr. Springmann. „Wir zeigen hier jedoch auf, dass die Besteuerung von Lebensmitteln entsprechend ihrer Klimabilanz nicht nur zu geringeren Emissionen, sondern auch zu einer gesünderen Ernährung in fast allen Ländern der Welt führen könnte.“ (ab)

07.11.2016 |

Fit, fair, nachhaltig: NABU-Gutachten fordert Neuausrichtung der EU-Agrarpolitik

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Die GAP muss Biodiversität fördern (Foto: CC0, KRiemer)

Die EU-Agrarpolitik bedarf einer Neuausrichtung hin zu einem System, das eine nachhaltige Landwirtschaft mit Maßnahmen von hohem ökologischen Nutzen honoriert. Das fordert der Naturschutzbund Deutschland (NABU) anlässlich der Vorstellung einer beim Institut für Agrarökologie und Biodiversität (IFAB) Mannheim in Auftrag gegebenen Studie, die am Montag in Berlin vorgestellt wurde. Diese beinhaltet Vorschläge für eine neue Gemeinsame Agrarpolitik (GAP), welche die EU-Landwirtschaft fit für die künftigen Herausforderungen macht, fair gegenüber Landwirten, Gesellschaft und Umwelt und nachhaltig im Sinne der Biodiversitätsziele und der UN-Nachhaltigkeitsziele ist. Denn angesichts der anhaltend schlechten Umweltbilanz der GAP und sich verschärfender Probleme im Natur- und Umweltschutz sieht der NABU hier dringenden Reformbedarf. „Nach wie vor zu hohe Nitratwerte in Grund- und Oberflächenwasser und eine inzwischen sehr klar dokumentierte Abnahme der biologischen Vielfalt auf allen Ebenen zeigen, dass die Landwirtschaft in ihrer Gesamtheit bislang nicht nachhaltig mit den Umweltressourcen umgeht“, schreiben die Autorinnen und Autoren. Hierfür ist dem NABU zufolge die GAP zwar nicht allein-, aber zu einem großen Teil mitverantwortlich. Subventionen per „Gießkanne“ förderten die umweltschädliche Intensivierung, während zu wenig Mittel für die gezielte Honorierung von Naturschutzleistungen bereit stünden. Das 2015 eingeführte Greening hätte daran nichts geändert, denn dessen Rahmenvorgaben betitelt die Studie als „wenig anspruchsvoll“. Das führe dazu, dass Landwirte aus betriebswirtschaftlichen Gründen oft die einfachsten Greening-Lösungen umsetzen würden und es insgesamt nach wie vor nur einen sehr geringen Flächenumfang von ökologisch wertvollen Maßnahmenflächen gebe. „Die Agrarpolitik der EU versagt, trotz wiederholter Reformversuche, seit Jahren auf ganzer Linie“, kritisierte NABU-Präsident Olaf Tschimpke in einer Pressemitteilung. „Bislang werden die öffentlichen Gelder überwiegend ineffizient und im Ergebnis umweltschädlich verteilt. Dem Steuerzahler fällt diese Agrarpolitik sogar doppelt zur Last, denn die Schäden an Boden, Wasser und Natur müssen kostspielig behoben werden.“

Die Wissenschaftler skizzieren ein Agrarförderungs-Modell, das die bisherige Zweisäulenstruktur aufhebt und drei Bereiche umfasst. Eine betriebsbezogene Nachhaltigkeitsprämie soll die Basisprämie und Teile des Greenings ersetzen. Die NaP wäre an die Erfüllung bestimmter Kriterien gebunden, z.B. einen Mindestanteil ökologisch hochwertiger Flächen im Acker- und Grünland, und könnte zudem nach Kriterien des Tierwohls und des Klimaschutzes gestaffelt werden. Das Herzstück des Modells ist eine Agrar-Natur-Prämie (ANP) mit hoher EU-Kofinanzierung. Sie würde Landwirten hohe Anreize bieten, ökologische Maßnahmen umzusetzen. Mitgliedsstaaten bzw. Bundesländer sollen aus einem Katalog von zehn hocheffektiven Agrarumweltmaßnahmen die für sie passenden ANP-Maßnahmen auswählen und anpassen können. Verpflichtend wäre jedoch die Einhaltung von Mindestrahmenvorhaben, wie der Verzicht auf chemisch-synthetische Pestizide und Mineraldünger sowie der Nachweis klarer Positiveffekte für die Biodiversität. Der dritte Bereich enthält Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen sowie die Förderung des Ökolandbaus und der ländlichen Entwicklung. Der Studie zufolge wären Betriebe, die mindestens 10% ihres Ackerlands oder 20% des Grünlands als ökologisch hochwertige Flächen bewirtschaften, finanziell genauso gut oder besser gestellt als bis dato. „Es ist wichtig, dass weiterhin EU-Gelder bei Bauern und Waldbesitzern ankommen“, betont Studienautor Dr. Rainer Oppermann. „Diese Gelder müssen aber denjenigen unter ihnen zu Gute kommen, die wirklich Mehrwert für die Gesellschaft erbringen, und zwar über die gesetzlichen Verpflichtungen hinaus." Laut der Studies ist dies möglich und für viele Landwirte rentabel. (ab)

04.11.2016 |

EU-Kommission: Pflanzen und Tiere aus konventioneller Züchtung nicht patentierbar

Shytomatoes
Sind Tomaten patentierbar? (Foto: zhouxuan12345678, bit.ly/Shytomatoes, bit.ly/6_CC_BY-SA_2-0)

Die Europäische Kommission hat Patenten auf Pflanzen und Tiere aus konventioneller Züchtung eine Absage erteilt – und damit auch der viel kritisierten Praxis des Europäischen Patentamts (EPA), das diese Patente immer wieder erteilt. In einer am 3. November veröffentlichten Stellungnahme heißt es: „Die Kommission vertritt den Standpunkt, dass der EU-Gesetzgeber bei Verabschiedung der Richtlinie 98/44/EC die Absicht hatte, Produkte (Pflanzen/Tiere und Teile von Pflanzen und Tieren), die aus im Wesentlichen biologischen Verfahren gewonnen wurden, von der Patentierung auszunehmen.“ Die Position der Kommission widerspricht der Auslegung des EU-Patentrechts durch das EPA. Dessen Große Beschwerdekammer hatte im März 2015 in einer Grundsatzentscheidung zum „Brokkoli-Patent“ entschieden, dass Patente auf konventionell gezüchtete Pflanzen und Tiere weiterhin zulässig sind, auch wenn die Züchtungsverfahren als solche nicht patentierbar sind.

Das internationale Bündnis „Keine Patente auf Saatgut!“, das weltweit von mehr als 300 NGOs und Bauernorganisationen unterstützt wird, begrüßte die Stellungnahme der Kommission. „Dies ist ein großer Erfolg für die Zivilgesellschaft, die seit vielen Jahren gegen Patente auf Pflanzen und Tiere kämpft“, sagt Christoph Then, Koordinator des Bündnisses. Doch er betont auch, dass die Stellungnahme der Kommission rechtlich noch nicht bindend ist. „Zudem sind weitere Definitionen notwendig, um die Verbote rechtlich wirksam zu machen. Daher ist es jetzt die Aufgabe der europäischen Regierungen, das EPA einer wirksamen politischen Kontrolle zu unterwerfen“, fordert Then. Denn das EPA schuf bereits Fakten: Bisher wurden etwa 1400 Anträge zur Patentierung von Pflanzen und Tiere aus konventioneller Züchtung eingereicht, etwa 180 solche Patente wurden gewährt. Die größte Bekanntheit erlangte vermutlich der „geköpfte Brokkoli: Eine Tochterfirma von Monsanto erhielt ein Patent auf einen konventionell gezüchteten Brokkoli, der sich aufgrund seiner Wuchsform leichter maschinell ernten lässt, da der Kopf des Brokkolis weit über die Blätter hinausragt. Aber auch Melonen, Tomaten oder eine Paprika, die von wilden Chili-Sorten aus Jamaika mit einer natürlichen Insektenresistenz abstammt, sind vor der Patentierungswut des EPA nicht sicher.

„Keine Patente auf Saatgut!“ fordert schon seit Jahren, dass diese Patente gestoppt werden, legte Einsprüche ein und hat erst im Juni dem Verwaltungsrat des EPA über 800.000 Unterschriften übergeben. Die Organisationen fürchten eine zunehmende Monopolisierung der Tier- und Pflanzenzüchtung und damit der Basis von Landwirtschaft und Ernährung. „Die Erklärung der EU-Kommission ist ein wichtiger Meilenstein, um diesem Missbrauch des Patentrechts endlich ein Ende zu setzen“, sagt Iga Niznik von Arche Noah aus Österreich, einer der Trägerorganisationen des Bündnisses. Doch allein damit wird sich die Praxis des EPA nicht stoppen lassen: „Das EPA hat ein eigenes wirtschaftliches Interesse daran, diese Patente zu erteilen“, erklärt Niznik. „Jetzt müssen die entsprechenden Verbote in Kraft gesetzt werden. Dies kann durch politische Entscheidungen auf der Ebene des Verwaltungsrats des EPA durchgesetzt werden.“ (ab)

03.11.2016 |

Oxfam: „Biosprit“ vertreibt Menschen und heizt den Klimawandel an

Palmoil
Einst Wald, nun Ölpalmen (glennhurowitz, bit.ly/Palm5, bit.ly/7_CC_BY-ND_2-0)

Die aktuelle EU-Bioenergiepolitik führt zu einer Zunahme von Landkonflikten, Armut und Umweltschäden und steht im Widerspruch zu internationalen Nachhaltigkeits- und Klimazielen. Darauf macht ein neuer Bericht der Entwicklungsorganisation Oxfam aufmerksam, der das Aus für die EU-Biospritförderung fordert – doch genau dem steht eine übermächtige Biosprit-Lobby entgegen, die Reformen auf EU-Ebene blockiert. Oxfam zufolge arbeiten in Brüssel rund 400 Lobbyisten der „Biosprit“-Industrie, von der Rohstoffproduktion bis hin zu „Biosprit“-Herstellern, die allein 2015 insgesamt mehr als 14 Millionen Euro ausgegeben haben, um ihre Wirtschaftsinteressen durchzusetzen. Die Biosprithersteller allein investieren bis zu 5,7 Millionen Euro für Lobby-Arbeit und haben damit sogar die Tabak-Lobby überholt. „Um den Hunger zu beenden und den Klimawandel zu begrenzen, muss sich die EU aus dem Zugriff der Biosprit-Industrie und ihrer Verbündeten befreien“, fordert Oxfam-Agrarexpertin Marita Wiggerthale. Denn wenn an der Bioenergiepolitik der EU und der Staaten, die Subventionen und Quoten für Biosprit festgelegt haben, nichts ändert, werden im Jahr 2030 rund 600.000 Quadratkilometer Land durch die Biospritproduktion belegt – ein Fläche so groß wie Frankreich. Der Oxfam-Bericht zeigt anhand von Beispielen aus Tansania, Peru und Indonesien auf, wie Wälder gerodet werden, um zum Beispiel Platz für Ölpalmen zu machen, und wie Menschen ihr Land und damit ihre Existenzgrundlage verlieren. In Indonesien wurden 2014 allein 731 Landkonflikte gezählt, die mit dem Palmölanbau zu tun haben. Das Land produziert mehr als die Hälfte des weltweiten Palmöls und hat seit 2006 seine Produktion verdoppelt auf 33 Millionen Tonnen in 2015. Der zweitgrößte Abnehmer nach Indien ist die EU: Seit 2003, als die EU-Biospritziele eingeführt wurden, hat sich der EU-Palmölmarkt verdoppelt. Der Großteil der Palmöl-Importe wird inzwischen im Verkehrs- und Energiesektor verbraucht. Oxfam kritisiert, dass die Folgen der rasanten Palmölexpansion jedoch meist nur kurz ins Licht der Öffentlichkeit rücken, wenn Bilder brennender Wälder und smogverhüllter Städte die Runde machen. Der Bericht zeigt die negativen Auswirkungen der Ankunft des Wilmar-Zulieferers PT Sandabi Indah Lestari (PT SIL) für die Menschen auf der Insel Sumatra. PT SIL erhielt 2011 eine Konzession für 2.812 Hektar Land in der Provinz Bengkulu und hat seither die Menschen vor Ort am Zugang zu rund 1000 Hektar gehindert, die bisher für die gemeinschaftliche Nutzung zur Verfügung standen. „Der Zugriff von PT SIL auf kleine Parzellen von Land, auf denen die Bewohner viele Jahre lang Lebensmittel angebaut haben und von dem ihr Einkommen abhängig ist, wirkt sich negativ auf die Existenzen und Ernährungssicherheit der Menschen vor Ort aus“, warnt der Bericht. Doch auch aus klimapolitischer Sicht sei Biosprit ein Irrweg, betont Oxfam, denn bei der Umwandlung von Land oder Wald zu Ackerflächen und deren agrarindustrieller Bewirtschaftung entstehen riesige Mengen an Treibhausgasen. „Die EU verfolgt eine falsche Strategie, die mit ihren entwicklungs- und klimapolitischen Zielen kollidiert“, warnt Wiggerthale. Am 7. Dezember wird die EU-Kommission die Überarbeitung ihrer Bioenergie-Politik diskutieren. „Die Bundesregierung darf diese Chance nicht verstreichen lassen“, so Wiggerthale. (ab)

31.10.2016 |

In Saus und Braus: Menschheit übernutzt natürliche Ressourcen

Erde
2030 benötigt die Menschheit eine zweite Erde (Foto: CC0)

Die Menschheit geht so verschwenderisch mit den natürlichen Ressourcen um, dass im Jahr 2030 zwei Planeten zur Deckung des Bedarfs an Lebensmitteln, Wasser und Energie nötig wären. Der Raubbau an der Natur hat fatale Folgen, wie den enormen Verlust der Artenvielfalt, warnt die Umweltschutzorganisation WWF in ihrem am 27. Oktober veröffentlichten „Living Planet Report 2016“. Bereits heute verbraucht die Weltbevölkerung rein rechnerisch 1,6 Erden, da sie mehr Ressourcen in Anspruch nimmt als die Natur regenerieren kann. Seit 1970 sind die untersuchten Wildtierbestände um durchschnittlich 58% zurückgegangen und werden bis zum Jahr 2020 voraussichtlich um 67% schrumpfen. „Die Menschheit treibt die Erde in einen lebensbedrohlichen Burn-Out“, warnte Christoph Heinrich, Vorstand Naturschutz beim WWF Deutschland. „In einer Welt mit begrenzten Ressourcen muss deren nachhaltige Nutzung endlich zu einer der obersten Handlungsmaximen von Politik und Wirtschaft werden. Wir brauchen eine neue Definition von Wohlstand und Erfolg, die die Gesundheit von Individuen, der Gesellschaft und der Umwelt einbezieht.“

Deutschland gehört zu den Ländern mit einem besonders hohen ökologischen Fußabdruck und überschreitet seit Langem die Grenzen der ökologischen Nachhaltigkeit. Hauptursache für den Verlust von Tier- und Pflanzenarten sowie der Belastung von Böden und Gewässern sei die Landwirtschaft: „Die konventionelle Nahrungsmittelproduktion gehört zu den Hauptverursachern des Verlusts biologischer Vielfalt. Sie zerstört wertvolle Lebensräume, übernutzt Fischbestände, sie hinterlässt Schadstoffe und trägt zum Bodenverlust bei. Diese Form der Nahrungsmittelproduktion ist außerdem Ursache für die Überschreitung planetarer Grenzen bei Stickstoff und Phosphor. Sie beeinflusst stark den Klima- und Landnutzungswandel, den Wasserverbrauch und die Biosphäre“, betont der Bericht. Die Zeche für diesen Raubbau zahlt Deutschland aber nicht allein, denn große Teile des ökologischen Fußabdrucks wurden in andere Länder ausgelagert. So importierte der deutsche Agrarsektor im Durchschnitt der Jahre 2011–2013 Produkte, für deren Anbau rund 5,5 Millionen Hektar Anbaufläche benötigt wurden. Knapp die Hälfte dieser Fläche entfällt auf die Fleischproduktion, für die Deutschland Flächen für den Anbau von Soja in Südamerika beansprucht. Der Anbau dieser meist gentechnisch veränderten Soja geht einher mit der Abholzung von Wäldern und einem hohen Pestizideinsatz. Für die Produktion von Palmöl, das für Biokraftstoffe, Kosmetik, Nahrungs-, Futter- und Reinigungsmittel benötigt wird, belegt Deutschland rund 400.000 Hektar in Indonesien und Malaysia.

Der WWF fordert von der Bundesregierung tiefgreifende Reformen. Notwendig seien eine erfolgreiche Energiewende, eine ökologische Ausrichtung der Landwirtschaft und ein Finanzsystem, das auf Zukunftsfähigkeit und Nachhaltigkeit abziele. In der Landwirtschaft müsse Wert auf eine natur- und landschaftsverträgliche Produktion im Inland gelegt werden. Um die künftige Nachfrage nach Agrarprodukten zu decken, müsse es gelingen, die damit verbundenen Umweltschäden und die Verluste entlang der Nahrungsmittelkette zu vermeiden. Dafür sei eine Agrarwende nötig, denn „die gegenwärtigen Strukturen des industrialisierten globalen Lebensmittelsystems stärken den Status quo. Dazu gehören Agrarsubventionen, einseitige Forschungsprogramme und die Marktdominanz multinationaler Agrar- und Lebensmittelkonzerne“, betont der Bericht. „Der Übergang zu einer nachhaltigen Nahrungsmittelproduktion, die vielfältige, gesunde Lebensmittel für alle bereitstellt, ohne die planetaren Grenzen zu überschreiten, ist eine gewaltige Herausforderung“, lautet das Fazit. (ab)

27.10.2016 |

Jahrbuch: Saatgut gehört in die Hände von Kleinbauern statt Großkonzernen

Saatgut
Saatgut für Kleinbauern statt wenige Konzerne (Foto: CC0)

Die Konzentration auf dem Saatgutmarkt, die durch neue Fusionen weiter voranschreitet, bedroht bäuerliche Saatgutsysteme und damit das Menschenrecht auf Nahrung. Davor warnen das evangelische Hilfswerk Brot für die Welt und die Menschenrechtsorganisation FIAN anlässlich der Vorstellung des Jahrbuchs zum Recht auf Nahrung 2016 am Dienstag in Berlin. Kleinbäuerinnen und -bauern produzieren den Löwenanteil der Lebensmittel weltweit, indem sie seit Jahrtausenden Saatgut bewahren, tauschen und weiterentwickeln. Doch diese Saatgutsysteme geraten vermehrt unter Druck: Gesetze schränken weltweit die Rechte von Bauern bei der Nutzung ihres Saatguts immer stärker ein und kriminalisieren diese. Dadurch werden Kleinbauern in ihrer Rolle als Lebensmittelproduzenten behindert und ihre Ernährungssouveränität gefährdet, betonen die Organisationen. „Es existiert weltweit ein informeller Saatgutmarkt, auf dem Bauern und Bäuerinnen Saatgut oft direkt tauschen und verkaufen“, sagt Roman Herre, Agrarreferent bei FIAN. „Dieser Markt ist noch immer die wichtigste Quelle für Saatgut in den Ländern des globalen Südens.“ Und nicht nur das, denn Saatgut ist ein Garant für das Recht auf Nahrung und damit das Überleben von Millionen Kleinbauern. Doch der von mehreren Organisationen und Netzwerken herausgegebene Bericht, der bereits am 13. Oktober in Rom veröffentlicht wurde, warnt vor der zunehmenden „Privatisierung, Monopolisierung und Kontrolle von Saatgut durch Agrarkonzerne, die diese Grundlage des Lebens durch Patentierung und Kommodifizierung“ an sich reißen wollen. Diese Machtkonzentration auf dem Saatgutmarkt ist kein neues Problem – bereits der Weltagrarbericht warnte 2009 davor, dass die zehn größten Unternehmen über die Hälfte des globalen Handels mit geschützten Sorten kontrollieren – doch mit den jüngsten Fusionsankündigungen erreicht der Prozess eine neue Dimension. „Die Mega-Zusammenschlüsse unter den Pestizid- und Saatgutkonzernen schreiten immer weiter voran. Was im letzten Jahr mit dem Zusammenschluss Dow - DuPont begann, setzte sich mit Syngenta - ChemChina fort und findet seinen vorläufigen Höhepunkt mit der Übernahme von Monsanto durch Bayer“, beklagt Bernhard Walter, Ernährungsexperte von Brot für die Welt, in einer Pressemitteilung. „Die drei neuen Konzerne werden damit 60 Prozent des kommerziellen Saatgutmarktes und 70 Prozent des Pestizidmarktes kontrollieren. Wir befürchten, dass diese Megafusionen das Recht auf Nahrung bedrohen.“ Denn für die Konzerne mag Saatgut eine Quelle enormer Profite darstellen – für unzählige Kleinbauern und indigene Gemeinschaften weltweit geht es jedoch nicht ums Geld, sondern um die elementare Grundlage ihrer Ernährung. (ab)

26.10.2016 |

Ökolandbau im Aufwind: EU-Anbaufläche wuchs seit 2010 um ein Fünftel

Österreich
Österreich: Spitzenreiter beim Ökoflächenanteil (Foto: CC0)

Die Ökofläche in den EU-Mitgliedstaaten ist in den letzten fünf Jahren um 21,1 Prozent gewachsen: Zwischen 2010 und 2015 stieg die ökologisch bewirtschaftete Anbaufläche laut einer aktuellen Auswertung der EU-Statistikbehörde Eurostat von rund 9,2 auf 11,1 Millionen Hektar an. Damit sind 6,2 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche für den Ökolandbau zertifiziert oder befinden sich gerade in der Umstellung. Auch die Zahl der Erzeuger befindet sich im Aufwind: Nach Eurostat-Angaben gab es 2015 rund 271.500 Biobauern – ein Plus von 5,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Federführend sind in absoluten Zahlen betrachtet Spanien (1.968.570 Hektar), Italien (1.492.579 ha), Frankreich (1.361.512 ha) und Deutschland (1.060.291 ha), die mehr als die Hälfte der ökologisch bewirtschafteten Fläche in der EU auf sich vereinen. Die größten Fortschritte bei der Ausweitung des Ökofläche haben in den letzten fünf Jahren Kroatien und Bulgarien gemacht, wo sich die Hektarzahl seit 2010 fast vervierfachte (+377% und +362%), auch wenn der Anteil an der Gesamtfläche mit 4,9% und 2,4% noch recht gering ist. Fortschritte bei der Ausdehnung der Ökofläche verzeichneten aber auch Frankreich mit einem Plus von 61%, Irland mit 53% sowie Litauen und Zypern mit einem Flächenzuwachs von 49% und 48%. Bergab ging es hingegen in Großbritannien (-29%) und den Niederlanden (-4%). Schaut man sich jedoch nicht nur die Fläche sondern den Anteil der Ökoflächen an der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche an, glänzen andere Länder: Den höchsten Anteil an der Gesamtfläche hat der Ökolandbau in Österreich: In der Alpenrepublik wird mit 552.000 Hektar ein Fünftel der gesamten Anbaufläche ökologisch bestellt. Doch auch in Schweden und Estland entfällt mit 17% und 16% ein hoher Flächenanteil auf den Ökolandbau. Immerhin noch die 10-Prozent-Marke knacken die Tschechische Republik (13,7% bzw. 478.033 ha), Italien (11,8%) und Lettland (12,3% bzw. 232.608 ha). Deutschland dümpelte 2015 bei einem Ökoanteil von 6,3% und ist bleibt damit noch weit von dem Ziel von der Bundesregierung formulierten Ziel entfernt, den Anteil des ökologischen Landbau auf 20 % der landwirtschaftlich genutzten Fläche auszudehnen. Schlusslichter im EU-Vergleich sind Malta mit 0,3% der Agrarfläche, Irland mit 1,6% und Rumänien mit 1,8%. Dabei würde die Ausweitung des Ökolandbaus viele Vorteile für diese Länder bringen, wie Eurostat in der Pressemitteilung zusammenfasst: Denn „der ökologische Landbau kombiniert bewährte umweltschonende Verfahren, ein hohes Maß an Artenvielfalt, den Schutz der natürlichen Ressourcen und hohe Produktionsstandards auf der Basis natürlicher Substanzen und Prozesse. Er bedient einen spezifischen Markt und reagiert damit auf eine spezifische Verbrauchernachfrage, wobei er gleichzeitig öffentliche Güter bereitstellt, die einen Beitrag zu Umwelt- und Tierschutz ebenso wie zur Entwicklung des ländlichen Raums leisten.“ (ab)

24.10.2016 |

GRAIN: Besserer Zugang zu Land für Bäuerinnen in Lateinamerika nötig

Frau
Bäuerinnen in Lateinamerika: Rückgrat ländlicher Entwicklung (Foto: Volker Gehrmann)

Der fehlende Zugang zu Land ist eines der gravierendsten Probleme für Frauen in ländlichen Gebieten in Lateinamerika und anderen Teilen der Welt. Darauf macht die Nichtregierungsorganisation GRAIN in einer neuen Veröffentlichung aufmerksam. Weltweit gibt es ungefähr 1,6 Milliarden Bäuerinnen – das sind mehr als ein Viertel der Weltbevölkerung – doch laut Autorin Claudia Korol befinden sich nur zwei Prozent des Landes weltweit in deren Besitz und nur ein Prozent der landwirtschaftlichen Kredite werden Bäuerinnen gewährt. Auch wenn Frauen eine grundlegende Rolle in der Landwirtschaft spielen, besitzen sie weniger Land und vor allem weniger fruchtbares Land als Männer, betont Korol unter Berufung auf Studien zum Landbesitz in Frauenhand in Lateinamerika. Eine Vielzahl von Faktoren trage dazu bei, zum Beispiel die privilegierte Position des Mannes in der Ehe, das Erbschaftsrecht, das Männer begünstige oder die Bevorzugung von Männern bei staatlichen Programmen zur Landverteilung und Vergabe von Landtiteln. „Mit anderen Worten: Frauen arbeiten unermüdlich und sie tun dies unter Bedingungen tiefgehender Ungleichheit und Unterdrückung“, schreibt Korol. Denn Frauen im ländlichen Raum arbeiten oft bis zu 12 Stunden täglich im Garten und kümmern sich um die Tiere, sammeln Kräuter und Beeren, holen Wasser, kochen und konservieren Lebensmittel oder betreuen die Kinder und ältere oder kranke Familienmitglieder. Doch diese Arbeit der Millionen Bäuerinnen in Lateinamerika und weltweit bleibt unsichtbar, schreibt Korol, von der in Kürze ein spanischsprachiges Buch zum Thema erscheinen wird. „Wenn wir im Falle von Frauen auf dem Land von unsichtbarer Arbeit sprechen, beziehen wir uns auf diese Art der unbezahlten Arbeit im Haushalt“, schreibt Korol. „Sich um den Garten, Tiere, Saatgut, die Ernte von Obst und das Wasserholen zu kümmern, das sind unbezahlte Tätigkeiten, obwohl sie Lebensmittel bereitstellen und die Rahmenbedingungen schaffen für das Überleben von Millionen Menschen weltweit.“ Diese unsichtbare Arbeit von Millionen Bäuerinnen in Lateinamerika verfestigt ein System, in dem Frauen nicht wirtschaftliche entlohnt werden und verstärkt die Unterschiede zwischen Frauen und Männern in Bezug auf den Zugang zu Land, Krediten und Agrarberatung, betont Karol und fordert eine zügige Veränderung dieser Strukturen. (ab)

20.10.2016 |

FAO: Kleinbauern gegen den Klimawandel wappnen beugt Hunger vor

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Dürren bereiten Bauern und Hirten Probleme (Foto: CC0)

Der Klimawandel erfordert die zügige Umgestaltung unserer Agrar- und Ernährungssysteme und mehr Unterstützung für Kleinbauern, damit nicht noch mehr Menschen in die extreme Armut abgleiten. Darauf macht ein am 17. Oktober veröffentlichter Bericht der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO aufmerksam. Die Landwirtschaft stehe vor der enormen Herausforderung, Lebensmittel für eine wachsende Weltbevölkerung zu produzieren, die dabei entstehenden Treibhausgasemissionen zu verringern und sich an den Klimawandel anzupassen. Die Autoren von „The State of Food and Agriculture 2016” betonen, dass die Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft sowie die Folgen für die Ernährungssicherheit schon heute alarmierend seien. Doch bei einem “Weiter wie bisher” könnten bis 2030 weitere 122 Millionen Menschen in die extreme Armut stürzen, der Großteil von ihnen Kleinbauern, da landwirtschaftliche Einkommen sinken. „Es besteht kein Zweifel daran, dass der Klimawandel die Ernährungssicherheit beeinträchtigt“, sagt FAO-Generaldirektor José Graziano da Silva. „Er bringt die Unsicherheiten aus den Zeiten zurück, als wir noch Jäger und Sammler waren. Wir können uns nicht mehr sicher sein, dass wir das ernten, was wir gepflanzt haben.” Die Ernteerträge einiger Getreidesorten brechen bereits ein. Subsahara-Afrika und Südostasien werden am stärksten betroffen sein – und damit die Regionen, in denen jetzt schon die meisten Hungernden leben. Die Menschen, deren Existenz von der Landwirtschaft abhängt, trifft es am härtesten. Arme Menschen in den Städten und auf dem Land werden mit höheren und schwankenden Lebensmittelpreisen rechnen müssen. „Jeder wird den Preis dafür zahlen müssen, nicht nur jene, die von Dürren betroffen sind“, warnt Graziano da Silva. Es sei entscheidend für die Armuts- und Hungerbekämpfung, dass die mehr als 500 Millionen Kleinbauern weltweit mehr Unterstützung bei der Anpassung an den Klimawandel erhalten. Kleinbauernfamilien sollten klimafreundliche Anbaupraktiken anwenden, die Agrarproduktion auf den Höfen diversifizieren und sich breiter aufstellen, damit sie auch über von der Landwirtschaft unabhängige Arbeit und Einkommen verfügen. Agrarökologie und nachhaltige Intensivierung sind laut FAO Beispiele für Ansätze, die Erträge und Widerstandsfähigkeit steigern können, z.B. durch Praktiken wie Gründüngung, stickstoffbindende Zwischenfrüchte und nachhaltiges Bodenmanagement, sowie die Einbindung von Agroforstsystemen und Tierhaltung. Schätzungen zufolge könne allein durch die ausgeweitete Nutzung stickstoffeffizienter Sorten die Zahl der 2050 einem Hungerrisiko ausgesetzten Menschen um gut 120 Millionen sinken. Statt Nassreisanbau könnte durch abwechselndes Wässern und Trocknen der Reisfelder der Methanausstoß um 45% verringert werden. Das spart Wasser und erzielt vergleichbare Erträge wie bei dauerhafter Flutung der Felder. Es gibt kostengünstige und nachhaltige Anbaupraktiken, betont die FAO, nur die Hürden für ihre Anwendung müssen überwunden werden. Dazu zählen Subventionen für nicht nachhaltige Anbaumethoden, schlecht abgestimmte Anreize und unzureichender Zugang zu Märkten, Krediten, Agrarberatung und Sozialprogrammen – hier sind besonders Frauen benachteiligt. Nun ist schnelles Handeln gefragt, betonen die Autoren, denn die Folgen des Klimawandels werden sich mit der Zeit verstärken. (ab)

18.10.2016 |

Interview: Hans Herren fordert radikale Umgestaltung der Landwirtschaft

Herren
Hans Herren (Foto: Peter Lüthi/Biovision)

Zur Bewältigung künftiger Herausforderungen bedarf es einer radikalen Umgestaltung der Landwirtschaft und industrieller Lebensmittelsysteme. Das fordert Hans Herren, Ko-Präsident des Weltagrarberichts und Gewinner des Welternährungspreises sowie zahlreicher anderer Auszeichnungen, in einem Interview. In der neuen Broschüre „Agriculture at a Crossroads: IAASTD findings and recommendations for future farming“ zieht Herren Bilanz zur Wirkung des 2009 veröffentlichten Weltagrarberichts und nimmt aktuelle Debatten im Bereich Welternährung, Klima und Landwirtschaft in den Blick. „Die entscheidende Handlungsoption, die vom Weltagrarbericht ausging, lautet, dass in der globalen Landwirtschaft ein Kurswechsel hin zur Agrarökologie erfolgen muss, um die Herausforderungen einer nachhaltigen und gerechten Entwicklung zu meistern“, betont Herren, der nun Präsident des Millennium Institute in Washington und der Schweizer Stiftung Biovision ist. Die Erkenntnis, dass unsere heutigen Agrar- und Ernährungssysteme nicht im Einklang mit den Erfordernissen einer nachhaltigen Welt sind, habe sich mittlerweile etabliert. „Es ist befriedigend zu sehen, dass die Debatten und das Geschehen rund um die Agrarökologie an Schwung gewonnen haben.“ Die Botschaft des Weltagrarberichts, dass die Landwirtschaft zur Lösung globaler Probleme beitragen muss, statt diese weiter zu befeuern, und dass ein „radikaler Neustart“ notwendig ist, um ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit zu verwirklichen, sei endlich im Mainstream angekommen – „trotz des starken Widerstands von Interessengruppen, der Agrarindustrie und großer Stiftungen.“ Herren räumt aber auch ein, dass nicht alle Erkenntnisse auf fruchtbaren Boden fielen: Weitgehend ignoriert werde die Empfehlung, dass auch eine radikale Umgestaltung industrieller Lebensmittelsysteme nötig sei. „Es wird weiter davon ausgegangen, dass Industrienationen mit ihren nicht nachhaltigen industriellen Agrar- und Ernährungssystemen die ‚Welt ernähren‘ müssen. Die Botschaft, dass Länder ihre eigene Fähigkeit ausbauen müssen, Lebensmittel zu produzieren und ihre Bäuerinnen und Bauern zu schützen – oft auch als Ernährungssouveränität bezeichnet – muss erst noch in der Agrar- und Ernährungspolitik der Industriestaaten ankommen.“ Entwicklungsländer müssten ebenfalls noch stärkere Anstrengungen unternehmen, um die vom Weltagrarbericht aufgezeigten Handlungsoptionen umzusetzen. Herren zufolge laute eine Hauptausrede, dass die Umsetzung radikaler Veränderungen zu teuer sei. „Tatsächlich ist es jedoch unverantwortlich, nicht jetzt Geld zu investieren, um das System umzustellen auf agrarökologische und regenerative Praktiken und Wissenschaft“, stellt Herren klar. Der vom UN-Umweltprogramm (UNEP) veröffentlichte Green Economy Report habe bereits 2011 aufgezeigt, dass die Umsetzung der Empfehlungen des Weltagrarberichts bis 2050 möglich wäre – mit gerade einmal einem Drittel der aktuell gezahlten Agrarsubventionen. „Wir würden mit weniger Land und Wasser immer noch genug Lebensmittel in der Menge und Qualität produzieren, die benötigt wird, um 9 bis 10 Milliarden Menschen zu ernähren.“ Herren zeigt sich optimistisch: „Positive Entwicklungen können vielerorts beobachtet werden, es gibt eine gute Wissensproduktion im Sinne einer nachhaltigen Landwirtschaft wie vom Weltagrarbericht definiert, doch die Regierungen sind noch nicht dazu bereit, die Kosten für Forschung und Entwicklung im Bereich Agrarökologie, ökologische und regenerative Landwirtschaft zu tragen und überlassen die Arbeit den NGOs.“ Die 2015 verabschiedeten UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs) betrachtet Herren als Chance. „Es gibt viele Unterziele zu Landwirtschaft und Ernährung und sie sind von großer Relevanz, um die vom Weltagrarbericht empfohlene Umgestaltung der Landwirtschaft zu fördern. Es besteht die fantastische Gelegenheit, Synergien zu schaffen angesichts der Tatsache, dass Landwirtschaft und Ernährung so eng mit allen Sektoren und Dimensionen nachhaltiger Entwicklung verknüpft sind. Es ist nun unerlässlich, dass die SDGs unverzüglich umgesetzt werden mit einem Fokus auf das Ernährungssystem, eine nachhaltige Landwirtschaft und Agrarökologie.“ (ab)

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