Über den Weltagrarbericht
Agrarwissenschaftler und Ökonomen, Biologen und Chemiker waren ebenso beteiligt wie Ökologen, Meteorologen, Anthropologen, Botaniker, Mediziner, Geografen, Historiker, Philosophen und einige Vertreter traditionellen und lokalen Wissens aller Kulturkreise. Diese einzigartige Vielfalt ermöglichte eine ganzheitliche Betrachtungsweise aller wesentlichen ökologischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Aspekte der Landwirtschaft. Der Bericht bemüht sich dabei um eine historische Perspektive, die 50 Jahre zurück und, soweit möglich, 50 Jahre in die Zukunft blickt. Er besteht neben einem globalen Bericht aus fünf eigenständigen regionalen Berichten, einem Synthese-Bericht und schließlich von den Regierungsvertretern Absatz für Absatz abgestimmten Kurzzusammenfassungen.
Ein Aufbruch zu neuen Ufern
Die Herangehensweise des IAASTD war bewusst nicht die einer Technologiebewertung, die bestimmte Lösungen zum Ausgangspunkt nimmt getreu dem Motto: „Hier ist die Technik, welche Probleme können wir damit lösen?” Vielmehr identifizierte er zunächst in elf öffentlichen Anhörungen auf allen Kontinenten die wichtigsten Probleme und fragte dann: „Welche verschiedenen Lösungsansätze gibt es dafür?“„Das IAASTD-Büro war sich darin einig, über die engen Gren- zen von Wissenschaft und Technologie hinauszugehen und andere Formen von relevantem Wissen (z.B. von landwirt- schaftlichen Erzeugern, Verbrauchern und Endnutzern) ebenso wie die Rolle von Institutionen, Organisationen, Verwaltung, Markt und Handel einzubeziehen. Der multidisziplinäre, alle Betroffenen einbeziehende Charakter des Weltagrarberichts verlangte es, Informationen, Instrumente und Modelle unter-schiedlicher Wissensparadigmen, einschließlich lokalen und traditionellen Wissens, zu nutzen und integrieren.”(Global, S. IX-X) Für die hoch spezialisierte, akademische und technische Fachwelt war die Einbeziehung aller Fachrichtungen, Interessensgruppen und Kulturen sowie Tausender externer Kommentare, die in der Endfassung berücksichtigt wurden, ebenso ungewohnt wie erfrischend. Für die Regierungen und UN-Institutionen war das Wagnis, sowohl bei der Formulierung der Fragen als auch der Antworten (bis auf die Zusammenfassung) tatsächlich unabhängigen Expertinnen und Experten das letzte Wort zu geben, ein neuartiges Erlebnis.
Rückzug der Gentechnik-Konzerne
Als der endgültige Entwurf des Berichts Anfang 2008 vorlag, entschieden sich die Firma Syngenta und die internationale Agrarindustrievereinigung CropLife, aus dem Prozess in letzter Minute auszusteigen. Auch die Regierungen der USA, Kanadas und Australiens unterzeichneten auf dem Abschlussplenum in Johannesburg im April 2008 den Bericht nicht, obwohl sie ihn als „wertvollen und wichtigen Beitrag” würdigten. Wesentliche Motive waren in beiden Fällen die kritische Bewertung der Gentechnik, der industriellen Landwirtschaft und des Welthandels mit Agrargütern. Der Qualität des IAASTD-Berichts selbst taten diese späten Rückzieher keinen Abbruch. Aber sie erschwerten in der Folgezeit seine Verbreitung und Akzeptanz in manchen Regierungs-, Wirtschafts- und Wissenschaftskreisen.
Weiter wie bisher ist keine Option
Trotz solcher Widrigkeiten ist der Weltagrarbericht der hoffnungsvolle Anfang einer neuen Bewertung und ganzheitlichen Diskussion über Vergangenheit und Zukunft der Landwirtschaft und Ernährung in Zeiten von Klimawandel, Artensterben und Globalisierung.
Seine klare und einfache Botschaft lautet zunächst „Weiter wie bisher ist keine Option”. So war die Presseerklärung zur Verabschiedung des IAASTD durch 58 Regierungen im April 2008 in Johannesburg überschrieben. Der Titel des Berichtes selbst lautet „Landwirtschaft am Scheideweg“: Wir müssen radikal umdenken und umsteuern, wenn wir den enormen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht werden wollen. Denn die Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte sind mit den Methoden der vergangenen nicht zu bewältigen. Er liefert dafür bewusst keine Patentrezepte, sondern warnt eindringlich davor, an solche zu glauben, seien sie technologischer, wirtschaftlicher oder politischer Natur. Stattdessen bietet er eine umfassende Analyse und eine enorme Fülle großer und kleiner Lösungsmöglichkeiten, deren beherzte Umsetzung und jeweils angemessene Kombination uns aus der gegenwärtigen Krise helfen können.