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11.11.2022 |

IPES-Food: COP27 soll auf Agrarökologie statt nebulöse Konzepte setzen

Nebel
Nebulöse Konzepte bei COP27? (Foto: CC0)

Bevor die Weltklimakonferenz (COP27) in Ägypten überhaupt erst ihre Pforten öffnete, wurden erhebliche Zweifel daran laut, dass in Scharm el-Scheich der große Wurf im Kampf gegen den Klimawandel gelingen werde. Stattdessen mehrten sich Greenwashing-Vorwürfe – sei es gegen den UN-Gipfel, dessen Hauptsponsor Coca-Cola ist, als auch gegen dort vertretene Staaten, Konzerne und sonstige Akteure. Die Klimaaktivistin Greta Thunberg hatte ihre Teilnahme im Vorfeld abgesagt, da sie unter anderem zu geringe Beteiligungsmöglichkeiten für die Zivilgesellschaft beklagte. „Die Klimakonferenzen sind vor allem eine Bühne für Staats- und Regierungschefs und Menschen in Machtpositionen, um Aufmerksamkeit zu erhalten, indem sie viele verschiedene Arten des Greenwashing betreiben“, sagte sie dem Guardian. Vertreter*innen der NGOs Powershift Africa, Greenpeace und Climate Action Networks kritisierten, es seien viele Gas-Lobbyisten auf der Konferenz vertreten und sie drohe, zu einem „Greenwashing“-Festival zu verkommen. Auch UN-Generalsekretär António Guterres richtete scharfe Worte gegen die Öl- und Kohleindustrie, da manche Konzerne ihre üblen Klimabilanzen bewusst mit falschen Null-Emissions-Versprechen schönzureden versuchten. Dieses „toxische“ Greenwashing müsse aufhören. Am 12. November stehen nun die Landwirtschaft, die von ihr verursachten Emissionen und ihr möglicher Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel beim „Adaptation and Agriculture Day“ im Fokus. Vor Gipfelbeginn wartete eine Arbeitsgruppe der Sustainable Markets Initiative (SMI), der Konzerne wie Mars, McDonald’s, Bayer und Yara angehören, mit einem Aktionsplan auf, in dem sie die Ausweitung der regenerativen Landwirtschaft fordern. Andere sprechen von klimasmarter Landwirtschaft, wieder andere fordern mehr Gelder für „naturbasierte Lösungen. Doch was ist damit genau gemeint?

Zu diesen Begriffen meldete sich Ende Oktober das International Panel of Experts on Sustainable Food (IPES-Food) mit einem neuen Papier zu Wort. Dessen Fazit lautet, dass auf internationalen Klima-, Biodiversitäts- und Ernährungsgipfeln immer mehr „grüne Schlagworte“ verwendet werden, die die Transformation der Ernährungssysteme eher behindern als sie zu beschleunigen. Das Expertengremium unter dem gemeinsamen Vorsitz von Olivier De Schutter, UN-Sonderberichterstatter für extreme Armut und Menschenrechte und einst für das Recht auf Nahrung, sowie Maryam Rahmanian, einer unabhängigen Expertin für Agrar- und Ernährungssysteme, ist der Ansicht, dass sich Agrar- und Lebensmittelkonzerne, internationale Wohltätigkeitsorganisationen und einige Regierungen derzeit verstärkt des Begriffs „naturbasierte Lösungen“ bedienen, um in der Diskussion um Agrar- und Ernährungssysteme die Nachhaltigkeitsagenda zu „kapern“. Oft hätten sie dabei problematische „Carbon Farming“-Programme zur Kohlenstoffspeicherung in Böden oder Kompensationsmechanismen („Carbon Offsetting“) im Gepäck, die in Partnerschaft mit großen Naturschutzverbänden durchgeführt werden. IPES-Food, dem auch mehrere einst am Weltagrarbericht beteiligte Wissenschaftler*innen angehören, nahm daher im Vorfeld von COP27 genauer unter die Lupe, wie die konkurrierenden Begriffe „Agrarökologie“, „naturbasierte Lösungen“ und „regenerative Landwirtschaft“ auf internationalen Konferenzen in letzter Zeit verwendet wurden und tauschte sich mit Forscher*innen des Institute of Development Studies (IDS) dazu aus. „Es herrscht ein Meinungsstreit über die Zukunft der Lebensmittelsysteme. Auf internationalen Gipfeltreffen wird mit sehr vagen Begriffen wie ‚naturbasierte Lösungen‘ um sich geworfen, die keine klare Definition aufweisen und die für jegliche Agenda eingespannt werden können“, sagte Melissa Leach, Expertin von IPES-Food und Direktorin des IDS. Schlimmstenfalls seien sie ein Deckmantel für ‚green grabs“, bei denen unter dem Vorwand von Klima- und Umweltschutz die Rechte von Menschen untergraben werden sowie eine Aneignung von Land und Ressourcen stattfindet, von denen diese abhängig sind. „COP27 muss sehr vorsichtig bei der Verwendung dieser mehrdeutigen Begriffe sein und Lösungen ablehnen, die nicht klar definiert sind“, betonte sie.

Laut dem IPES-Papier (Smoke & Mirrors: Examining competing framings of food system sustainability) herrscht breiter Konsens über die Notwendigkeit, Ernährungssysteme nachhaltiger zu machen, aber es besteht Uneinigkeit darüber, auf welche Art und Weise dieses Ziel verfolgt werden soll. In den letzten Jahren hätten Begriffe wie „regenerative Landwirtschaft“ und „naturbasierte Lösungen“ auf dem internationalen Parkett, in der Entwicklungspolitik und bei Agrar- und Lebensmittelkonzernen an Popularität gewonnen. Diese Begriffe reihen sich ein in eine wachsende Sammlung von Konzepten und Ideen, die oft als Schlagworte für nachhaltige Entwicklung verwendet werden, wenn über die Zukunft von Ernährungssystemen debattiert wird. Dazu gehören z.B. ‚nachhaltige Landwirtschaft‘, ‚klimasmarte Landwirtschaft‘, ‚naturverträgliche Lebensmittelproduktion‘, ‚nachhaltige Intensivierung‘, ‚konservierende Landwirtschaft‘ und so weiter. Das Papier konzentriert sich auf drei Konzepte: Agrarökologie, naturbasierte Lösungen und die regenerative Landwirtschaft und betrachtet ihre Ursprünge, Entwicklung und Verwendung in Diskussionen über die Zukunft von Landwirtschaft und Ernährung. Die Autor*innen analysieren, wie diese Begriffe vor, während und im Nachgang zu drei wichtigen Konferenzen im Jahr 2021 verwendet wurden: dem UN Food Systems Summit (UNFSS), der UN-Klimakonferenz in Glasgow (COP26) und der UN-Biodiversitätskonferenz (CBD COP15). Zudem schauten sie sich auch deren Verwendung in anderen Bereichen an, z.B. bei Nachhaltigkeitspläne von Unternehmen, Entwicklungsinitiativen und Stiftungen.

IPES-Food beobachtet, dass die umstrittene Idee der „naturbasierten Lösungen“ auf internationalen Gipfeltreffen rasch an Boden gewinnt. Der Begriff war auf dem UNFSS-Gipfel sehr präsent, wurde bei einigen COP26-Verhandlungen kontrovers diskutiert und bei Verhandlungen zum „Übereinkommen über die biologische Vielfalt“ (CBD) für die Zeit nach 2020 von einigen Parteien stark gepusht, während andere es vehement ablehnten. Beim UNFSS wurde in früheren Phasen der Begriff ‚naturverträglich‘ (nature-positive) bevorzugt. In den Dokumenten und Prozessen zum Gipfel wurden ‚naturbasiert‘ und ‚naturverträglich‘ allen möglichen Substantiven vorangestellt, von naturbasierter Landwirtschaft bis hin zu naturverträglichen Ernährungssystemen, Ansätzen, Praktiken und Lösungen. Das deutet den Autor*innen zufolge darauf hin, dass die Begriffe auf eine unpräzise Weise verwendet werden, die möglicherweise dazu diene, die genauen und eventuell umstrittenen Ansätze dahinter (z. B. Kohlenstoffausgleich), die von Befürwortern naturbasierter Lösungen vorangebracht werden wollen, zu verschleiern. Der UNFSS war um fünf Themenschwerpunkte (action tracks) herum organisiert und Track 3 widmete sich einer „naturverträglichen Produktion“. IPES-Food beklagt, dass dem Konzept der naturbasierten Lösungen keine allgemein anerkannte Definition und keine auf Transformation ausgerichtete Vision zugrunde liege und es genutzt werde, um das Weiter-wie-bisher der Agrarindustrie fortzuschreiben. Es sei ein „entpolitisiertes Konzept, das Macht- und Wohlstandsgefälle außer Acht lasse, die bedingen, dass Ernährungssysteme nicht nachhaltig sind“. Daher sei das Konzept ungeeignet, um den tiefgreifenden, strukturellen Wandel anzustoßen, der nötig ist, um Ernährungssysteme zu schaffen, die wirklich nachhaltig in allen drei Dimensionen sind: ökologisch, sozial und wirtschaftlich. Zudem sei der Begriff oft mit riskanten Programmen zur CO2-Kompensation verknüpft, deren Nutzen nicht belegt sei, die aber die Macht der Agrarindustrie festigen. Eine Transformation der Ernährungssysteme würde so verwässert.

Im Gegensatz dazu ist Agrarökologie – das zweite Konzept im Fokus – durch demokratische und inklusive Governance-Prozesse definiert worden und wird durch jahrelange wissenschaftliche Forschung und soziale Bewegungen unterstützt. Auf internationalen Gipfeltreffen dagegen wird sie recht selten erwähnt. Den Autor*innen zufolge stellt die Agrarökologie einen inklusiveren und umfassenderen Weg hin zur Transformation unserer Lebensmittelsysteme dar, weil sie soziale und ökologische Aspekte der Nachhaltigkeit miteinander verbindet, das gesamte Ernährungssystem in den Blickt nimmt, Machtungleichheiten berücksichtigt und aus einer Breite an Wissen schöpft, wobei marginalisierte Stimmen gehört werden. „Die Agrarökologie ist das einzige der drei Konzepte, das in einem langen Prozess umfassender und internationaler Beratungen Klarheit und konzeptionelle Reife erlangt hat“, heißt es in dem Papier. 2018 legte die Welternährungsorganisation FAO nach einem vierjährigen Beratungsprozess die ‚10 Elemente der Agrarökologie‘ fest. Dieser Rahmen markierte einen Meilenstein auf dem Weg, die Agrarökologie in die allgemeine politische Debatte einzubringen und eine ganzheitliche Version davon zu etablieren, die auch Komponenten der sozialen Gerechtigkeit umfasst. Das Konzept reifte 2019 weiter, als das Hochrangige Expertengremium (HLPE) des UN-Ausschusses für Welternährungssicherheit (CFS) diese 10 Elemente in 13 Handlungsgrundsätze überführte, die als Leitschnur für die agrarökologische Transformation des Lebensmittelsystems dienen sollten. Beim UNFSS wurde die Agrarökologie als eine ‚naturbasierte Lösung‘ unter Track 3 erwähnt, die sich als „bahnbrechende Lösung“ abzeichne. IPES-Food kommt jedoch zu dem Schluss, dass die Agrarökologie bei COP, CBD und UNFSS nicht als übergeordneter Rahmen verwendet wird. Die fehlende Einbeziehung von Agrarökologie und Ernährungssouveränität war einer der Gründe, warum Hunderte zivilgesellschaftlicher Gruppen den Welternährungsgipfel boykottierten. Seine Ergebnisse bleiben nach wie vor heftig umstritten. Auch beim Klimagipfel in Glasgow wurde die Agrarökologie stiefmütterlich behandelt und in dem bisher konkretesten Ergebnis der CBD, der Erklärung von Kunming, findet sie keine Erwähnung.

Die „regenerative Landwirtschaft“ als drittes Konzept ist in der internationalen Politik weniger präsent, besagt das Kurzdossier. Geprägt wurde er vom „Rodale Institute“, einer US-Organisation, die sich für die Erforschung des ökologischen Landbaus einsetzt und seit über 40 Jahren einen Systemvergleich zwischen Bio- und konventioneller Landwirtschaft durchführt. Akteure, die sich für nachhaltige Lebensmittelsysteme einsetzen, verwenden den Begriff, um sich auf die Regeneration natürlicher Ressourcen und vor allem von Böden zu beziehen. Aber auch Agrar- und Lebensmittelkonzerne (darunter Walmart, Pepsi und Cargill) berufen sich auf das Konzept in ihren Nachhaltigkeitsstrategien, oft in Verbindung mit Programmen zur CO2-Kompensation, bei denen die Dimension der sozialen Gerechtigkeit keine Rolle spielt - oder wie zuletzt der SIM-Aktionsplan. „Regenerative Landwirtschaft ist ein Begriff am Scheideweg. Die Hervorhebung der Prinzipien, die er mit der Agrarökologie teilt (...), kann dazu beitragen, die regenerative Landwirtschaft der Vereinnahmung durch Unternehmen wieder zu entziehen und sie mit konzeptioneller Klarheit zu füllen“, betonen die Autor*innen.

Das Papier enthält auch eine Reihe von Empfehlungen für jene politischen Akteure und Beobachter, die sich mit Ernährung, Klima und Umwelt befassen, inklusive staatliche Vertreter*innen auf internationaler Ebene. IPES-Food ruft sie dazu auf, Lösungen abzulehnen, denen es an klaren Definitionen mangelt, die Mehrdeutigkeit ausnutzen und ein Weiter-wie-bisher der Agrarindustrie verschleiern. Es reiche nicht, Ernährungssysteme auf die Agenda zu setzen. Sichergestellt werden müssen inklusive globale Prozesse, die auf einem gemeinsamen Verständnis bezüglich der Transformation der Ernährungssysteme beruhen, sowie eine umfassende sozial und ökologisch nachhaltige Vision für das Ernährungssystem. Business as usual durch naturbasierte Lösungen, wie sie beim UNFSS zum Ausdruck kamen, sollten auf der Klimakonferenz in Ägypten abgelehnt werden. „COP27 steht vor wichtigen Entscheidungen zur Landwirtschaft. Ein rascher Übergang zu nachhaltigeren und widerstandsfähigeren Ernährungssystemen ist unerlässlich, wenn wir die globale Erwärmung begrenzen und massive Ernteausfälle verhindern wollen“, sagte IPES-Food-Expertin Molly Anderson, die am Middlebury College lehrt. Undefinierte Begriffe wie ‚naturbasierte Lösungen‘ würden international verwendet werden, um den Fokus auf vage Bestrebungen zu lenken und dies sei nur eine weitere Form des Greenwashing. Echte Lösungen für Ernährungssysteme entstünden durch globale, beratende und demokratische Prozesse und die Agrarökologie erfülle diese Kriterien am besten. (ab)

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