Nachricht

28.07.2022 |

Erdüberlastungstag am 28. Juli: Menschheit verbraucht 1,75 Planeten

Ei
Wir gehen mit den Ressourcen der Erde um als hätten wir Ersatz (Foto: CC0)

In gerade einmal 7 Monaten hat die Menschheit die nachhaltig nutzbaren Ressourcen der Erde für das gesamte Jahr bereits aufgebraucht: 2022 fällt der „Earth Overshoot Day“ oder globale Erdüberlastungstag auf den 28. Juli – zwei Tage früher als im Vorjahr. Die restlichen 156 Tage des Jahres leben wir wieder auf Kosten künftiger Generationen und strapazieren die natürlichen Ressourcen über das regenerierbare Maß hinaus. Das zeigen Berechnungen der internationalen Nachhaltigkeitsorganisation „Global Footprint Network“, die den Erdüberlastungstag alljährlich neu berechnet. Die Zahlen basieren auf den „National Footprint and Biocapacity Accounts“ (NFA), die sich auf UN-Datensätze stützen. Es werden zwei Größen gegenübergestellt: einerseits die biologische Kapazität der Erde zum Aufbau von Ressourcen sowie zur Aufnahme von Müll und Emissionen und andererseits der ökologische Fußabdruck – der Bedarf an Acker-, Weide- und Bauflächen, die Entnahme von Holz, Fasern oder Fisch, aber auch der CO2-Ausstoß und die Müllproduktion. Seit Anfang der 1970er Jahre lässt sich ein rasanter Anstieg des Ressourcenverbrauchs beobachten: Nach den aktuellen Berechnungen lag der erste Erdüberlastungstag 1971 am 25. Dezember. Anfang der 90er Jahre war er bereits Mitte Oktober erreicht und 2018 fiel der Tag erstmals in den Juli. Nach einer Verschiebung auf August in 2020 durch die coronabedingten Lockdowns leben wir nun schon wieder Ende Juli auf Pump.

Der seit 50 Jahren anhaltende Overshoot bedeutet, dass sich die jährlichen Defizite zu einer ökologischen Schuld aufbauen, betont das Netzwerk. Wir haben bereits eine „Schuld“ von 19 Jahre an Regenerationskapazität des Planeten angehäuft. Der anhaltende Overshoot führte zu einem massiven Rückgang der biologischen Vielfalt, einem Überschuss an Treibhausgasen in der Atmosphäre und einem verschärften Wettbewerb um Nahrungsmittel und Energie. Die ungewöhnlichen Hitzewellen, Waldbrände, Dürren und Überschwemmungen, die wir aktuell erleben, führen uns dies deutlich vor Augen. „Der Earth Overshoot Day zeigt, dass das derzeitige Produktions- und Konsumsystem nicht mit der Absicht vereinbar ist, unseren Planeten weiterhin zu bewohnen“, erklärte der ecuadorianische Minister für Umwelt, Wasser und ökologischen Wandel, Gustavo Manrique, der den Tag mit Videos von Umweltminister*innen aus der ganzen Welt eröffnete. „Unsere natürlichen Ressourcen zu schützen und unsere Nachfrage nach ihnen zu steuern, braucht konkrete Maßnahmen, die auf ein neues Entwicklungsmodell abzielen, das auf Nachhaltigkeit und Regeneration beruht. Von Ecuador aus rufen wir die Welt auf, diesen Fragen wesentlich mehr Gewicht zu geben“, appellierte Manrique.

Die Daten des Netzwerkes zeigen auch den Zusammenhang zwischen Ressourcen und Ernährungssicherheit auf. Allein die Ernährung beansprucht heute 55 % der Biokapazität unseres Planeten, also mehr als die Hälfte der Erde. Die Analysen ergaben, dass bereits mehr als 3 Milliarden Menschen oder 38 % der Weltbevölkerung in Ländern leben, die weniger Nahrungsmittel produzieren als sie verbrauchen und zudem ein geringeres Einkommen als der Weltdurchschnitt erzielen. Sie verfügen also nicht nur über unzureichend Nahrung, sondern sind auch beim Zugang zu Lebensmitteln am Weltmarkt stark benachteiligt. Nepal beispielsweise produziert nur 78 % der konsumierten Lebensmittel und ist auch noch finanziell benachteiligt, da das Pro-Kopf-Einkommen nur 9% des globalen Durchschnitts beträgt. Mit derselben Kombination an Risikofaktoren sind auch Länder wie Ruanda, Äthiopien, Afghanistan, Pakistan, Nigeria, Bangladesch, Mexiko, Irak und Iran konfrontiert. Wenn alle Ressourcen einkalkuliert werden, steigt die Zahl der Menschen, die in einem Land leben, das ein Biokapazitätsdefizit aufweist und weniger Einkommen erwirtschaftet als der globale Sschnitt, auf rund 5,8 Milliarden. Dieser Trend, der durch die Pandemie und bewaffnete Konflikte wie in der Ukraine verstärkt wird, führt zu einer zunehmenden Ernährungsunsicherheit.

Das Global Footprint Network weist aber auch darauf hin, dass eine Trendwende möglich ist und vor allem auch wirtschaftliche Vorteile für die Vorreiter*innen mit sich bringt. „Ressourcensicherheit wird zu einem immer wesentlicheren Parameter der wirtschaftlichen Stärke. Zu warten hat keinen Vorteil. Vielmehr liegt es im Interesse jeder Stadt, jedes Unternehmens und jedes Landes, die eigene Handlungsfähigkeit in einer voraussehbaren Zukunft des Klimawandels und der Ressourcenknappheit zu schützen“, betont Mathis Wackernagel, Gründer des Netzwerkes. Er geht davon aus, dass Unternehmungen und Unternehmen, deren Produkte dazu beitragen, den Overshoot zu verringern, mit größerer Wahrscheinlichkeit an Wert gewinnen werden als jene, die den Overshoot anheizen. Wenn die Menschheit den Earth Overshoot Day jedes Jahr um 6 Tage hinauszögern würde, wäre 2050 weniger als ein Planet nötig. Das vom Weltklimarat vorgeschlagene 1,5 C°-Ziel könnte erreicht werden, wenn das Datum jedes Jahr um 10 Tage verschoben wird. Als Möglichkeiten zum Handeln nennt das Netzwerk etwa die Halbierung der weltweiten Lebensmittelverschwendung, durch die der Overshoot Day um 13 Tage verschiebbar wäre. Weltweit eine städtische Fahrradinfrastruktur zu schaffen wie in den Niederlanden würde 9 Tage einsparen. „Nutzen wir die Macht des Möglichen und gestalten unsere Zukunft so, wie wir sie wollen”, appelliert Wackernagel.

Das Netzwerk berechnet zudem die nationalen Erdüberlastungstage, wobei deutliche Unterschiede zutage treten. Um ihren Ressourcenbedarf nachhaltig zu decken, bräuchte die Weltbevölkerung rechnerisch rund 1,75 Planeten. „Würden alle Menschen so wirtschaften wie wir in Deutschland, läge der Erdüberlastungstag bereits Anfang Mai. Dann bräuchten wir nicht zur zwei, sondern drei Planeten“, sagt Christoph Bals von der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch, die auch jedes Jahr auf den Tag aufmerksam macht. Alle EU-Staaten verzeichnen ihre nationalen Überlastungstage vor dem weltweiten Datum. In Spanien war es zum Beispiel am 12. Mai, in Italien am 15. Mai soweit. Germanwatch sieht daher die Politik in der Verantwortung, Unternehmen in die Pflicht zu nehmen und den Klimaschutz vorantreiben: „Der Erdüberlastungstag macht deutlich, dass wir in grundlegender Weise unsere Art zu wirtschaften überdenken müssen“, sagt Finn Robin Schufft, Referent für Unternehmensverantwortung bei Germanwatch. „Die EU mit ihrem überdurchschnittlichen Ressourcenverbrauch darf die Kosten zerstörerischer Geschäftspraktiken nicht länger der Umwelt und den besonders Betroffenen insbesondere im globalen Süden aufbürden. Sie muss ihre Unternehmen dazu verpflichten, endlich Verantwortung zu übernehmen und ihre Geschäftsmodelle an den planetaren Grenzen und der Achtung der Menschenrechte auszurichten.“ Die Organisation zielt hier auch auf das EU-Lieferkettengesetz ab, das derzeit im EU-Ministerrat verhandelt wird, dessen erster Entwurf aber nur unzureichende Umweltpflichten enthält. Um die Klimakrise abzufedern sei es notwendig, dass Unternehmen 1,5-Grad-kompatible Pläne aufstellen mit kurz- und mittelfristigen Meilensteinen zur Minderung der Emissionen in ihrer Wertschöpfungskette, so Germanwatch. (ab)

Zurück zu den Meldungen

Unterstützer

Unterstützer von www.weltagrarbericht.de Verlag der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V. Bioland biovision Brot für die Welt Brot für alle Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland Demeter Zukunftsstiftung Entwicklung in der GLS Treuhand Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz Heidehof Stiftung Mission EineWelt Misereor Naturland Public Eye | Erklärung von Bern Rapunzel - Wir machen Bio aus Liebe Swiss Aid, Ihr mutiges Hilfswerk tegut W-E-G Stiftung
English versionEnglish versionDeutsche Version