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09.06.2020 |

EU-Rechnungshof: „Unwirksame“ GAP hält Verlust der Biodiversität nicht auf

Kiebitz
Feldvögel: immer öfter allein auf weiter Flur (Foto: CC0)

„Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) war hinsichtlich der Umkehrung des seit Jahrzehnten zu beobachtenden Rückgangs der biologischen Vielfalt nicht wirksam, und intensive Landwirtschaft ist weiterhin eine der Hauptursachen für diesen Verlust.“ Mit diesem ernüchternden Fazit fasst der Europäische Rechnungshof die Ergebnisse seines am 6. Juni erschienenen Sonderberichts „Biodiversität landwirtschaftlicher Nutzflächen“ zusammen. 2011 nahm die EU-Kommission eine Biodiversitätsstrategie an, die den Verlust an biologischer Vielfalt und die Verschlechterung der Ökosysteme bis 2020 stoppen sollte. Sie verpflichtete sich, den Beitrag von Land- und Forstwirtschaft zur Erhaltung der Biodiversität zu erhöhen und eine „messbare Verbesserung“ des Erhaltungszustands von Arten und Lebensräumen, die von der Landwirtschaft beeinflusst werden, herbeizuführen. Die Rechnungsprüfer bewerteten nun, wie die EU dabei abschnitt und statteten dazu Deutschland, Irland, Polen, Rumänien und Zypern Prüfbesuche ab. „Bislang hat die GAP dem Rückgang der biologischen Vielfalt landwirtschaftlicher Nutzflächen, der sowohl für die Landwirtschaft als auch für die Umwelt eine große Gefahr darstellt, nicht ausreichend entgegengewirkt“, lautet die Bilanz von Viorel Ștefan, das für den Bericht zuständige Mitglied des Europäischen Rechnungshofs.

Der Rechnungshof stellte fest, dass in der Biodiversitätsstrategie der EU für 2020 keine messbaren Zielvorgaben für die Landwirtschaft festgelegt wurden, wodurch die Bewertung der EU-finanzierten Maßnahmen deutlich erschwert wurde. Außerdem war die Koordinierung zwischen den die Biodiversität betreffenden politischen Maßnahmen und Strategien der EU unzulänglich, sodass z.B. nichts gegen den Rückgang der genetischen Vielfalt, eine Unterkategorie der biologischen Vielfalt, getan wurde. In Europa sind Bestand und Vielfalt der Arten im Agrarland seit vielen Jahren rückläufig. Die Feldvogel- und Wiesenschmetterlingspopulationen haben sich seit 1990 um mehr als 30% verringert. Intensive Landwirtschaft hat zu einem Rückgang der Bestandsdichte und der Vielfalt der natürlichen Vegetation und damit auch der Tiere geführt und bleibt eine der Hauptursachen für den Verlust an Biodiversität, schreibt der Hüter der EU-Finanzen und stützt sich dabei unter anderem auf einen Bericht über den Zustand der Umwelt 2019 der Europäischen Umweltagentur. Für Deutschland war der im Mai veröffentlichte „Bericht zur Lage der Natur“ des Bundesumweltministeriums und des Bundesamts für Naturschutz ebenfalls zu dem Ergebnis gelangt, dass der Zustand von Tier- und Pflanzenarten sowie Lebensräumen in Deutschland insgesamt schlecht ist und gerade in der Agrarlandschaft der Artenschwund weiter rasant voranschreitet.

Mit den Direktzahlungen, die rund 70% der EU-Agrarausgaben ausmachen, gehen die Prüfer hart ins Gericht. Soweit bekannt wirken sie sich „nur begrenzt auf die biologische Vielfalt landwirtschaftlicher Nutzflächen aus“. Zwar hätten einige Voraussetzungen für Direktzahlungen, gerade Ökologisierung und Cross-Compliance, das Potenzial, die biologische Vielfalt zu verbessern, doch die Prüfer bemängeln, dass die Kommission und die Mitgliedstaaten Optionen mit geringen Auswirkungen wie den Zwischenfruchtanbau oder stickstoffbindende Pflanzen bevorzugten. Die EU-Instrumente zur Entwicklung des ländlichen Raums hingegen hätten ein größeres Potenzial zur Erhaltung und Verbesserung der Biodiversität als Direktzahlungen, insbesondere, wenn mit ihnen umweltfreundliche Bewirtschaftungsmethoden gefördert werden, die über die einschlägigen rechtlichen Verpflichtungen hinausgehen. Doch auch hier kritisiert der Hof, dass die EU-Staaten nur selten hochwirksame Maßnahmen wie ergebnisorientierte Regelungen einsetzen und lieber weniger anspruchsvollen, aber auch weniger vorteilhaften Regelungen den Vorzug gaben, die bei den Landwirten beliebter sind. Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament, nannte den Bericht eine „schallende Ohrfeige für das bestehende Agrarmodell“. „Damit ist klar, dass Lobbyinteressen die seit Jahrzehnten versprochene, aber nie verwirklichte Umkehr beim Artenschwund verhinderten. Denn wenn, wie vom Hof kritisiert, die Länder im Zweifel zu den weniger Artenschutz-wirksamen Programmen greifen, dann belegt auch dies den Kniefall vor der Agrarindustrie“, so Häusling.

Der Bericht enthält aber nicht nur Kritik, sondern auch Ratschläge. Die Prüfer empfehlen der Kommission, die Koordinierung und Gestaltung der EU-Biodiversitätsstrategie für die Zeit nach 2020 zu verbessern und die Ausgaben genauer verfolgen, den durch Direktzahlungen und Maßnahmen zur Entwicklung des ländlichen Raums geleisteten Beitrag zur Biodiversität von Agrarland zu optimieren und zuverlässige Indikatoren zur Bewertung der Auswirkungen der GAP auf die biologische Vielfalt zu entwickeln. Häusling fordert klipp und klar, dass die EU-Gelder nur noch dann gezahlt werden, wenn die Zahlungen an Nachhaltigkeitskriterien im Sinne der Biodiversität und Umwelt sowie des Klima- und Tierschutzes gebunden werden. Von der Kommission verlangt er, dass sie endlich in die GAP-Verhandlungen eingreift. „Sie muss nach der Vorlage der eigenen Biodiversitätsstrategie und der Farm-to-Fork-Strategie bekennen, ob ihre Ideen mehr wert sind, als das Papier, auf dem die Strategien geschrieben stehen.“ (ab)

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