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05.03.2019 |

Agrarprodukte für uns, Umweltschäden für die anderen

Land
Veränderte Landnutzung (Foto: CC0)

Die Artenvielfalt und Ökosystemleistungen leiden immer stärker, vor allem in den Tropen. Denn durch das globale Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum steigt auch die Nachfrage nach Agrarprodukten und Lebensräume werden in Ackerflächen umgewandelt. Doch die direkten Folgen zeigen sich meist nicht in den Ländern, die durch ihren Konsum die Rodung von Wäldern oder den großflächigen Einsatz von Pestiziden bewirken, sondern oft in fernen Teilen der Welt. Die Industrieländer haben 2011 rund 90% der durch Konsum von Agrarprodukten erzeugten Auswirkungen auf die Artenvielfalt in andere Erdteile ausgelagert, besagt eine neue Studie, die Anfang März in der Fachzeitschrift „Nature Ecology & Evolution“ erschienen ist. Als „Telekonnektion“ bezeichnen die Forscher diese indirekte Verantwortung der Verbraucher für Umweltauswirkungen andernorts und fordern, dass die Politik diese einbezieht und nicht nur eine nachhaltige Land- und Forstwirtschaft vor der eigenen Haustür fördert. „Fast jeder Kauf eines Nahrungsmittels beeinflusst indirekt die Natur in der Ferne. Für einen Hamburger etwa werden Rinder geschlachtet, die auf südamerikanischen Weiden stehen oder in hiesigen Ställen mit Soja aus Südamerika gefüttert werden. Dafür werden dort Wälder gerodet, die ursprüngliche Artenvielfalt wird zerstört“, erklärt das Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) in einer Pressemitteilung.

Ein Forscherteam unter der Leitung des iDiv und der Uni Halle-Wittenberg untersuchte mit Wissenschaftlern der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU), wie sich die Landnutzung auf die biologische Vielfalt und Ökosystemleistungen auswirkt. Dabei richteten sie besonderes Augenmerk auf die Faktoren Wirtschaftswachstum und Bevölkerungsentwicklung. Die Forscher werteten Daten zu Vogelbeständen, zur Landnutzung und zur Bindung von CO2 mit ökonomischen Modellen im Zeitraum zwischen 2000 und 2011 aus. Ihre Analyse ergab, dass sich in dem Zeitraum aufgrund der Zunahme der Bevölkerung und des steigenden Konsums infolge wachsenden Wohlstandes die Landnutzung verstärkte. Vögel verloren dadurch ihren Lebensraum. Der Studie zufolge erhöhte sich die Zahl der durch Landnutzung vom Aussterben bedrohten Vogelarten zwischen 2000 und 2011 um bis zu 7%. Der Verlust der Artenvielfalt ereignete sich vorwiegend in tropischen Regionen. 2011 lebten über 95% der durch Land- und Forstwirtschaft bedrohten Vogelarten in Mittel- und Südamerika, Afrika, Asien und im Pazifikraum. Jedoch war 33% des Artenverlustes in Zentral- und Südamerika sowie 26% der Folgen für die Artenvielfalt in Afrika dem Konsum in anderen Weltregionen geschuldet. Für den Verlust der Artenvielfalt Anfang des Jahrtausends sei vor allem die Rinderzucht verantwortlich, aber die Auswirkungen des Anbaus von Ölsaaten, gerade in Asien und Südamerika, haben stark zugenommen. „Das ist unter anderem eine Folge der verstärkten Förderung von Biokraftstoffen, die eigentlich dem Klimaschutz dienen soll“, sagte Prof. Henrique M. Pereira vom iDiv.

Auch die Fähigkeit der Ökosysteme zur Kohlenstoffbindung nehme ab. Zwischen 2000 und 2011 verlor der Planet laut den Forschern 6% seines Potenzials, CO2 aus der Luft zu binden, da die Vegetation auf den neuen Agrarflächen nicht so viel Kohlenstoff einlagern kann wie zuvor. Zwar schwinde die Kapazität der Ökosysteme zur Kohlenstoffbindung weltweit, doch ein Viertel des Schwundes geht auf land- und forstwirtschaftliche Flächennutzung in Europa und Nordamerika zurück. Industriestaaten lagerten im Schnitt 40% der Auswirkungen auf die Kohlenstoffbindung jenseits ihrer Grenzen aus. Die Auswertung, welchen Anteil der Welthandel auf die Biodiversität und Ökosysteme hat, zeigt, dass die Schwellenländer die Industriestaaten als Hauptverantwortliche einholen. „Es ist nicht entweder der Norden oder der Süden, der den Biodiversitätsverlust durch Konsum zu verantworten hat“, erklärt Erstautorin Alexandra Marques vom iDiv. „Es sind beide, und Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum beschleunigen diesen Prozess.“ Im Jahr 2000 waren Westeuropa und Nordamerika für 69% der Auswirkungen auf die Artenvielfalt verantwortlich, 2011 waren es noch 48%. Denn der Anteil anderer Regionen nahm zu, z.B. der asiatischen Länder von 13% in 2000 auf 23% in 2011. Zwar sei die Landnutzung effizienter geworden und die Zerstörung pro erwirtschaftetem Dollar nehme überall ab. „Allerdings wachsen Bevölkerung und Wirtschaft zu schnell, als dass sich diese Effizienzgewinne positiv auswirken könnten“, fügt Nina Eisenmenger, Leiterin des Teams an der BOKU, hinzu.

Die Autoren betonen, dass „Telekonnektionen“ in internationalen Verhandlungen stärker berücksichtiget werden müssen, etwa im Rahmen der UN-Nachhaltigkeitsagenda oder der UN-Biodiversitätskonvention, für die gerade neue Ziele zum Schutz der biologischen Vielfalt für die Zeit nach 2020 verhandelt werden. „Ein notwendiges Ziel zur Erhaltung von Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen wäre, dass alle Mitgliedsstaaten ihre Wirtschaftspolitik so gestalten, dass Umweltauswirkungen des Konsums in andern Weltregionen minimiert werden. Dies betrifft vor allem jene Staaten, deren Fernauswirkungen die im eigenen Land übersteigen“, sagte Karlheinz Erb von der BOKU. Nachhaltige Land- und Forstwirtschaft müsse darüber hinaus in allen Weltregionen gefördert werden und Industrieländer die Auswirkungen der eigenen Klimapolitik stärker berücksichtigen. „Wir brauchen eine Umweltpolitik, die den Klimawandel und den Wandel der biologischen Vielfalt gemeinsam denkt“, empfiehlt auch Pereira. (ab)

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