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27.02.2019 |

UN: Artensterben birgt enorme Gefahr für die Welternährung

Vielfalt
Die FAO beklagt schwindende Vielfalt auf Feldern und Tellern (Foto: A. Beck)

Das Artensterben bedroht die Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen, von denen Landwirtschaft und Ernährung abhängen, und bringt damit die Welternährung „in enorme Gefahr“, warnt die UN. Ihre Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO veröffentlichte eine globale Biodiversität-Bestandsaufnahme aller Arten, die für das Ernährungssystem wichtig sind und auf die jene Menschen angewiesen sind, die unsere Lebensmittel anbauen und bereitstellen. Auf fast 600 Seiten hat die FAO Informationen aus 91 Länderberichten und Studien internationaler Organisationen sowie Beiträge von über 175 Autoren vereint. Nicht nur die Pflanzen und Tiere, die Nahrung, Tierfutter, Brennstoffe und Fasern liefern, verschwinden zunehmend, heißt es dort. Das Artensterben betrifft auch unzählige Organismen, die durch Ökosystemdienstleistungen zur Lebensmittelproduktion beitragen. Das umfasst alle Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen, die Böden fruchtbar halten, Pflanzen bestäuben, Wasser und Luft reinigen, Fische und Bäume gesund halten und Schädlinge und Krankheiten eindämmen, die Pflanzen oder Nutztieren schaden – von Insekten, Fledermäusen und Vögeln über Mangroven, Korallen und Seegras bis hin zu Regenwürmern, Bodenpilzen und Bakterien.

Der Bericht belegt, dass die Vielfalt auf den Äckern immer stärker abnimmt. Weltweit gibt es rund 382.000 Pflanzenarten, von denen etwa 6.000 als Nahrungsmittel angebaut wurden. Von diesen spielen nur knapp 200 eine Rolle bei der Lebensmittelproduktion und gerade einmal neun Kulturen (Zuckerrohr, Mais, Reis, Weizen, Kartoffeln, Soja, Ölpalmenfrüchte, Zuckerrüben und Maniok) machen 66% der gesamten Agrarproduktion aus. Die globale Nutztierhaltung basiert auf etwa 40 Tierarten, wobei nur eine Handvoll den Großteil an Fleisch, Milch und Eiern liefert. Von 8.803 dokumentierten Nutztierrassen kommen 7.745 in nur einem Land vor. 594 dieser Rassen sind ausgestorben und von den noch existierenden gelten 26% als vom Aussterben bedroht.

Auch das Verschwinden wilder Pflanzen- und Tierarten, die für die Ernährung genutzt werden, sowie vieler Arten, die Ökosystemleistungen erbringen, einschließlich Bestäuber, Bodenorganismen und natürliche Feinde von Schädlingen, gewinnt an Fahrt. Von fast 4.000 wilden Arten, vor allem Pflanzen, Fische und Säugetiere, verzeichnen 24% schrumpfende Bestände. Vermutlich liegt die Zahl deutlich höher, da zu den meisten wilden Arten keine Daten vorliegen. Der größte Artenschwund findet in Lateinamerika und der Karibik statt, gefolgt von den Ländern im asiatisch-pazifischen Raum sowie Afrika – möglicherweise ist er dort aber lediglich am besten belegt. Die Folgen für die Menschen vor Ort sind oft fatal. Gambia berichtet, dass der massive Verlust an Wildpflanzen Gemeinschaften dazu gezwungen habe, Alternativen zu verwenden, um ihre Ernährung zu ergänzen – oft sind das industriell produzierte Nahrungsmittel. Auch in Kamerun haben Gemeinden Einnahmen durch den Verkauf wilder Arten und einen wertvollen Beitrag zu ihrer Ernährung eingebüßt. Viele Menschen sahen sich dadurch gezwungen, abzuwandern, da sie ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten können.

„Biodiversität ist von elementarer Bedeutung für die globale Ernährungssicherheit, sie ist die Basis einer gesunden und nahrhaften Ernährung, verbessert die Lebensbedingungen auf dem Land und stärkt die Widerstandsfähigkeit von Menschen und Gemeinschaften“, erklärte FAO-Generaldirektor José Graziano da Silva. „Weniger Artenvielfalt bedeutet, dass Pflanzen und Tiere anfälliger für Schädlinge und Krankheiten sind.“ Da wir zudem unsere Ernährung auf immer weniger Arten stützen, stelle das Artensterben ein wachsendes Risiko für die Ernährungssicherheit dar. Als Hauptursachen für den Verlust der Artenvielfalt werden Veränderungen bei der Land- und Wassernutzung angeführt, gefolgt von Umweltverschmutzung und Übernutzung, Klimawandel sowie Bevölkerungswachstum und Urbanisierung. „In vielen Teilen der Welt sind vielfältige Agrarlandschaften, in denen sich Anbauflächen mit unbewirtschafteten Gebieten wie Wäldern, Weiden und Feuchtgebieten abwechseln, durch großflächige Monokulturen ersetzt worden, auf denen sehr viel externe Inputs, wie Pestizide, Mineraldünger und fossile Brennstoffe eingesetzt werden“, so der Bericht.

Seine frohe Botschaft lautet, dass Anbaupraktiken und Ansätze, die Artenvielfalt begünstigen, an Beliebtheit und Verbreitung gewinnen. Zu den genannten Praktiken gehören unter anderem der Ökolandbau, integrierte Schädlingsbekämpfung, nachhaltige Boden- und Waldbewirtschaftung, Agrarökologie, Agroforstwirtschaft, Diversifizierung in der Aquakultur oder die Wiederherstellung von Ökosystemen. In Kalifornien fluten Landwirte etwa ihre Reisfelder im Winter, statt sie nach der Anbausaison abzubrennen. So entstehen 111.000 Hektar Feuchtgebiete und Freiflächen für 230 Vogelarten – viele von ihnen vom Aussterben bedroht. Dadurch erholten sich Bestände und die Zahl der Enten hat sich gar verdoppelt. Auch Erhaltungsmaßnahmen, sowohl in situ (z.B. in Schutzgebieten oder direkt im Feld) als auch ex-situ (z.B. Genbanken, Zoos, botanische Gärten) nehmen weltweit zu.

Die FAO betont dennoch, dass mehr getan werden muss, um das Artensterben zu stoppen. Obwohl die meisten Länder einen rechtlichen, politischen und institutionellen Rahmen für die nachhaltige Nutzung und den Erhalt der Biodiversität geschaffen haben, sind diese oft unzureichend. Der Bericht appelliert an Regierungen und die internationale Gemeinschaft, mehr Initiativen zur Förderung der Biodiversität zu ergreifen und Anreize zu setzen. „Zu den Hauptaufgaben gehören die Bekämpfung der Ursachen für den Verlust der Artenvielfalt im Ernährungs- und Agrarsektor und darüber hinaus“, sagte Graziano da Silva. Der Bericht unterstreicht jedoch auch, welche Rolle jeder Einzelne spielen kann, damit sich der Druck auf die Artenvielfalt durch Ernährung und Landwirtschaft verringert. Verbraucher können sich für nachhaltig angebaute Produkte entscheiden (z.B. aus ökologischer Landwirtschaft, fairem Handel, tierfreundlicherer Produktion, nachhaltiger Forstwirtschaft oder Fischerei), kürzere Lieferketten stärken, indem sie z.B. auf Bauernmärkten einkaufen, oder sie können Produkte boykottieren, die für ihren Beitrag zum Artensterben bekannt sind. (ab)

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