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25.01.2023 |

Kritischer Agrarbericht: Landwirtschaft und Ernährung krisenfest machen

KAB23
Der Kritische Agrarbericht 2023 (Foto: CC0)

Alle Jahre wieder im Januar ist es soweit: Wenn die Grüne Woche in Berlin und die „Wir haben es satt-Demo“ im Kalender stehen, kommt auch eine neue Ausgabe des „Kritischen Agrarberichts“ frisch aus der Presse. Mit dem soeben erschienenen „KAB 2023“ ist es nun die 31. Ausgabe des Jahrbuches, das vom AgrarBündnis e.V., einem Zusammenschluss von derzeit 26 Organisationen aus Landwirtschaft, Umwelt-, Natur- und Tierschutz sowie Verbraucher- und Entwicklungspolitik, herausgegeben wird. Auf 352 Seiten liefert die Publikation, die auch kapitelweise online abrufbar ist, eine Bestandsaufnahme der aktuellen politischen Debatten rund um Landwirtschaft und Ernährung, eine gesalzene Kritik am derzeitigen Agrarsystem, aber auch gute und hoffnungsstiftende Konzepte, Ideen und gelungene Leuchtturmprojekte aus der Praxis, die zeigen, wie es besser laufen könnte. Im Fokus der diesjährigen Ausgabe steht das Thema „Landwirtschaft & Ernährung für eine Welt im Umbruch“. 29 der insgesamt 46 Beiträge sind diesem Schwerpunkt gewidmet, der sich mit den multiplen Krisen beschäftigt, mit der die Welt und die Landwirtschaft gerade zu kämpfen haben. „Klima, Corona, Krieg, Welthunger, Artensterben: Die Landwirtschaft und das gesamte Ernährungssystem müssen nicht nur nachhaltiger werden, sondern auch resilienter, krisenfester“, erklärt Frieder Thomas, Geschäftsführer des Bündnisses. „Agrarindustrielle Methoden mit ihren ökologischen Kollateralschäden, der hohen Abhängigkeit von fossilen Energien und globalen Lieferketten sind dabei eher ein Problem als Teil der Lösung. Gebraucht werden neue Strukturen – dezentral, regional, vielfältig –, aber auch das Wissen um nachhaltige Produktionsmethoden.“ Beides müsse politische Unterstützung finden.

Den Auftakt zum Themenfokus bildet Benny Haerlin, Leiter des Berliner Büros der Zukunftsstiftung Landwirtschaft und einst Mitglied im Aufsichtsrat des Weltagrarberichts, mit seinem einleitenden Kapitel „Die Party ist vorbei – Aufbruch ins Ungewisse“, einem Überblick zu Landwirtschaft und Ernährung in Zeiten von Krieg und Dauerkrise. „Die Krise als das neue Normal wird die Menschen, die gegenwärtig auf diesem Planeten leben, wohl für den Rest ihres Lebens begleiten: ein Dauerzustand der Instabilität des Ökosystems Erde und der globalen menschlichen Gesellschaften“, so seine wenig rosige Prognose. „Die Welt ist aus den Fugen geraten und wir können nicht vorhersagen, auf welches neue Gleichgewicht sie zustrebt – falls ‚Gleichgewicht‘ dafür noch der passende Begriff ist.“ Die Menschheit habe in mehreren Bereichen „den ökologischen Gleichgewichtskorridor, den safe operating space des Holozäns, bereits überschritten“, wie schon Rockström und Co 2009 in einem wegweisenden Artikel in „Nature“ verkündeten. Die Dauerkrise sei vielschichtig: ökologisch, geopolitisch, wirtschaftlich, kulturell und erkenntnistheoretisch. Die Frage sei nicht mehr, „ob sie kommt, sondern wie zivilisiert wir als Gesellschaften mit ihr umgehen werden“, konstatiert Haerlin. Sein „Kleines Krisen-Panoptikum“ listet eine Krisen-Top-Ten und führt sie im Artikel weiter aus. Die industrielle wie die bäuerliche Landwirtschaft, inklusive der kleinbäuerlichen Subsistenzlandwirtschaft, gehe denkbar schlecht gerüstet in die aufziehenden Krisengewitter. „Während ein Teil der Menschheit mit einer absurden Mischung aus fossiler und technologischer Übersteuerung und Abhängigkeit zu viel vom Falschen produziert und konsumiert, kann ein anderer sich nur schwer selbst ernähren, weil es an Frieden, Sicherheit, Menschenrechten, besonders für Frauen, sowie an minimaler Ausbildung, Technik und regionalen Marktzugängen fehlt.“ Haerlin endet dennoch mit einem Lichtblick: „Langfristig wegweisend für neue und innovative Trampelpfade durch die Dauerkrisen sind Gemeinden, die ihre Energie schon heute gemeinsam vor Ort erzeugen und verteilen und daran gemeinschaftlich verdienen.“ Ähnliches scheine in vielen Varianten auch machbar bei Gesundheit, Pflege und Altenversorgung sowie bei der lokalen und regionalen Erzeugung und Versorgung mit Lebensmitteln, z.B. in Form von solidarischer Landwirtschaft, Mikrofarmen oder Erzeuger-Verbraucher- Genossenschaften. „Was in akuter Not und Katastrophen an praktischer Solidarität, Gemeinsamkeit und Zusammenhalt möglich ist, haben wir in den letzten Jahren immer wieder eindrucksvoll bewiesen. Das Prinzip ‚Freiwillige Feuerwehr‘ funktioniert.“

Im Anschluss folgt ein bunter Strauß lesenswerter Artikel, die 11 Oberkapiteln zugeordnet sind. Das erste und umfangreichste davon widmet sich der „Agrarpolitik und sozialen Lage“. Daniela Wannemacher, Leiterin Team Landnutzung beim BUND, und Phillip Brändle, Referent für Agrarpolitik bei der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, blicken auf die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik (GAP) und kritisieren, dass die EU-Agrarreform den ökologischen und sozialen Herausforderungen nicht gerecht werde. Am 1. Januar begann eine neue Förderperiode und bis 2027 sollen alleine in Deutschland rund 30 Mrd. € EU-Fördermittel in die Landwirtschaft gesteckt werden. Neu eingeführt wurde etwa das Instrument der Öko-Regelungen (Eco Schemes), womit rund 25 % der Gelder aus der Ersten Säule an konkrete Leistungen, v.a. im Bereich des Biodiversitätsschutzes, gebunden sind. „Zur Umsetzung der Brüsseler Vorgaben haben die EU-Mitgliedstaaten nationale Strategiepläne erarbeitet, so auch Deutschland“, erklärt Brändle in der Pressemitteilung des AgrarBündnis. Doch diese Reform und ihre nationale Umsetzung reichten nicht aus, um die Ziele im Bereich des Umwelt-, Klima- und Tierschutzes zu erreichen und für eine gerechte Verteilung der Gelder zu sorgen. Zudem funkte der Krieg Russlands gegen die Ukraine dazwischen. „Minister Özdemir gab in der Folgezeit, gemeinsam mit den Bundesländern, dem Druck der Agrar- und Ernährungsindustrie nach und weichte die GAP zugunsten der ‚Ernährungssicherung‘ auf. So wurde die Fruchtfolgeregelung auf 2024 vertagt und die Verpflichtung zur Stilllegung von mindesten 4 % der Ackerfläche unter Berücksichtigung von Landschaftselementen im Zuge der Konditionalität ebenfalls 2023 ausgesetzt, sodass statt Brachflächen bestimmte Kulturen angebaut werden konnten, obwohl von wissenschaftlicher Seite mehrfach deutlich gemacht worden sei, dass der zu erwartende Effekt für die Produktion von Lebensmitteln marginal sei, schreiben die beiden Autor*innen. Brändle kritisierte, dass Özdemir die Chance, die GAP deutlich gerechter und ökologischer zu machen, bisher nicht genutzt habe. „Damit muss 2023 Schluss sein.“ Özdemir müsse baldigst einen praxistauglichen Fahrplan vorlegen, wie und in welchem Zeitraum die Bundesregierung aus den pauschalen Flächenprämien aussteigen werde. „Spätestens ab 2027 muss die GAP vollständig auf ein System zur Honorierung von Umwelt- und Tierwohlleistungen umgestellt werden, welches sich betriebswirtschaftlich lohnt und zudem die Fördergelder zwischen den Betrieben gerecht aufteilt.“ Das 1. Oberkapitel enthält u.a. auch eine Analyse der Carbon-Farming-Initiative der EU-Kommission, widmet sich der zunehmenden Bedeutung der Nebenerwerbslandwirtschaft für die agrarstrukturelle Entwicklung in Deutschland und beleuchtet das Tabu-Thema Physische Erkrankungen, Burnout und Depression in der Landwirtschaft und die Folgen.

Im 2. Kapitel „Welthandel und -ernährung“ zieht Stig Tanzmann, Referent für Landwirtschaft bei Brot für die Welt, die traurige Bilanz, dass eine Welt ohne Hunger in weite Ferne rückt und die Ziele der Agenda 2030 nicht mehr zu erreichen sind. Zwar habe der “Angriff Russlands auf die Ukraine und seine Folgen für das Welternährungssystem die Hungerthematik sprichwörtlich mit aller Gewalt zurück ins Zentrum der politischen und medialen Aufmerksamkeit gebracht“, da Russland ganz gezielt von Beginn an Hunger und Getreide als Waffe nutzte. Es werde nun endlich darüber berichtet, dass bis zu 828 Millionen Menschen hungern, doch Politik und Medien beschränkten sich dem Autor zufolge in ihrer Analyse der Lage allzu häufig auf den Krieg und seine Folgen. Dabei gerate aus den Augen, dass Hunger und Mangelernährung komplexe, gewachsene globale Probleme sind und schon vor Kriegsbeginn bis zu 811 Millionen hungerten. Die Corona-Pandemie habe bereits die Anfälligkeit internationaler Lieferketten offenbart, doch als Antwort habe man vor allem die Wiederherstellung der langen, von multinationalen Konzernen dominierten Agrarwertschöpfungsketten angestrebt. „Nicht im Fokus stand aber die Stärkung der Ernährungssouveränität und der Unterstützung lokaler Produzent:innen“, bemängelt Tanzmann. Das Recht auf Nahrung habe in der Debatte keine Rolle gespielt. Der Krieg sei nun „eine weitere Krisenschicht, die sich drastisch verschärfend auf ein sich seit Längerem bereits in der Krise befindendes Welternährungssystem“ lege. Auf internationaler und UN-Ebene habe es eher Rückschritte gegeben, als die „dringend notwendige Transformation des Agrar- und Ernährungssystems einzuleiten“ – angefangen mit dem UN Food Systems Summit (UNFSS) im Herbst 2021, der mit seinem diffusen Multistakeholder-Ansatz das Recht auf Nahrung geschwächt und „zur Fragmentierung der Welternährungsarchitektur“ beigetragen habe, indem er den UN-Ausschuss für Welternährung (CFS) in seiner Bedeutung herabgesetzt habe. Im Weiteren skizziert Tanzmann die aktuellen Entwicklungen und Reaktionen, internationale Konferenzen und Ereignisse seit Kriegsbeginn und benennt Versäumnisse bei der Lösung des Welthungerproblems. Die Lösung der Krise liege hingegen auf dem ‚Acker um die Ecke‘ und „in der Solidarität zwischen der ländlichen und urbanen Bevölkerung.“ Die anderen beiden Artikel in Kapitel 2 beschäftigen sich damit, wie Klimaschutz in der Landwirtschaft die Ernährungssicherheit fördern kann und wie die Abhängigkeit von synthetischen Düngemitteln diese und andere globale Ernährungskrisen anheizte.

Zahlreiche weitere spannende Artikel verbergen sich in den restlichen neun Kapiteln, die den Themen Ökologischer Landbau; Produktion und Markt; Regionalentwicklung; Natur und Umwelt; Wald; Tierschutz und Tierhaltung; Gentechnik; Agrarkultur sowie Verbraucherschutz und Ernährungskultur gewidmet sind. Wer nicht zwischen den Artikeln hin- und herklicken möchte, kann sich beim AbL-Verlag ein gedrucktes Exemplar des Kritischen Agrarberichts bestellen. Die Autor:innen der zehn Jahresrückblicke (Entwicklungen & Trends) im Bericht haben zudem für das jeweilige Politikfeld je fünf Kernforderungen an die Bundesregierung, aber auch an andere politische Entscheidungsträger:innen sowie Akteur:innen der Zivilgesellschaft, formuliert, die zudem als separates Dokument „10 x 5 Kernforderungen an die Politik“ zum Download bereitstehen. So fordern die Autor*innen des Jahresrückblicks in Kapitel 3 etwa eine Stärkung des Ökolandbaus, denn dieser beweise gerade in Krisenzeiten seine Stärken: Durch geringere Abhängigkeit von externen Betriebsmitteln, die Schaffung besserer Bedingungen für die Artenvielfalt und in der Regel einen Schwerpunkt auf Regionalität trage er zu Resilienz und Nachhaltigkeit unseres Ernährungssystems bei. Die Bundesregierung müsse erstens Bio in der Außer-Haus-Verpflegung stärken mit mindestens 50 % Bio in öffentlichen Kantinen, Mensen und Klinikküchen. Zweitens brauche es, um einen Ökoflächenanteil von 30 % zu erreichen, auch eine staatliche Informationskampagne für Verbraucher:innen. Drittens bedarf es des Ausbaus von Forschung, Aus- und Weiterbildung im Ökolandbau sowie viertens der Einbindung aller Ministerien im Rahmen der neuen Bio-Strategie, zum Beispiel des Wirtschaftsministeriums mit auf Nachhaltigkeit fokussierten Förderprogrammen. Fünftens müsse die Wahlfreiheit für Essen ohne Gentechnik durch ein starkes EU-Gentechnikrecht weiterhin abgesichert bleiben. Antje Kölling von Demeter weist darauf hin, dass 2023 ein entscheidendes Jahr für alle sei, die auch künftig Lebensmittel ohne Gentechnik anbauen und essen wollen, da die EU-Kommission an einem Gesetzesentwurf zu neuen Gentechnikverfahren (NGT) in der Landwirtschaft arbeite. „Es darf jedoch keine Gentechnik durch die Hintertür geben“, fordert Kölling. „Wahlfreiheit und Vorsorgeprinzip müssen weiterhin auch für neue Gentechnikverfahren gelten!“ (ab)

18.01.2023 |

Superreiche sahnen zwei Drittel des Vermögensplus seit 2020 ab

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Arm und Reich Seite an Seite (Foto: CC0)

Erstmals seit 25 Jahren haben extreme Armut und extremer Reichtum gleichzeitig zugenommen. Mit der Corona-Pandemie sind die Superreichen noch viel reicher geworden und die Ungleichheit hat sich weiter verschärft. Seit 2020 gab es weltweit einen Vermögenszuwachs von 42 Billionen US-Dollar, wovon sich das reichste Prozent der Weltbevölkerung 63 % unter den Nagel riss, während sich die übrigen 99% den Rest teilten. Das sind nur einige der niederschmetternden Botschaften des Berichts „Survival of the Richest”, den die Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam am 16. Januar zum Auftakt des Weltwirtschaftsforums in Davos veröffentlichte. 828 Millionen Menschen hungern und damit etwa jede*r zehnte auf der Erde. Zugleich haben die weltweit größten Lebensmittel- und Energieunternehmen 2022 ihre Gewinne mehr als verdoppelt im Vergleich zum Mittel der Jahre 2018-2021 und sie schütteten 257 Milliarden US-Dollar und damit 84 % ihrer Übergewinne an ihre Aktionär*innen aus. „Während Millionen Menschen nicht wissen, wie sie Lebensmittel und Energie bezahlen sollen, bringen die Krisen unserer Zeit gigantische Vermögenszuwächse für Milliardär*innen“, betonte Manuel Schmitt, Referent für soziale Ungleichheit bei Oxfam Deutschland. Der Bericht zeigt, dass das Gesamtvermögen aller Milliardär*innen im Schnitt täglich um 2,7 Milliarden US-Dollar anwuchs, während gleichzeitig 1,7 Milliarden Arbeitnehmer*innen in Ländern leben, in denen die Lohnentwicklung mit der Inflation nicht Schritt hält.

Im Fokus des Berichts steht die Frage, wie durch Besteuerung der Reichen die derzeitigen Krisen und die stark zunehmende Ungleichheit bekämpft werden könnten. Die Berechnungen von Oxfam International basieren auf aktuellen Daten: Die Zahlen zu den reichsten Menschen der Welt stammen aus der World‘s Billionaires List 2022 von Forbes, während sich Vermögensdaten auf den Global Wealth Report 2022 der Credit Suisse und andere Quellen wie die Weltbank stützen. Eindrücklich legt der Bericht zunächst dar, wie die Superreichen in Zeiten von Pandemie und steigenden Lebensmittel- und Energiepreisen ihren Reichtum vermehren konnten. Zwischen Dezember 2019 und 2021 erhöhte sich das weltweite Vermögen von 421,5 auf 463,5 Billionen US-Dollar. Davon flossen 26 Billionen oder zwei Drittel in die Taschen des reichsten 1 Prozents der Menschheit, während 99% sich 16 Billionen teilen mussten. Bereits im letzten Jahrzehnt hatten sich die Zahl und das Vermögen der Milliardäre verdoppelt. Zwischen 2012 und 2021 wurde neues Vermögen im Wert von 127,5 Billionen geschaffen. Auf die oberen 1 % entfielen 69 Billionen bzw. 54 %, was zeigt, dass ihr Anteil am Kuchen seit Beginn der Pandemie deutlich größer geworden ist. Der Oxfam-Vergleich der Forbes-Listen der Milliardäre 2020 und 2022, für den Oxfam alle Zahlen anhand des US-Verbraucherpreisindex an den Stand Oktober 2022 angepasst hat, um die Inflation einzubeziehen und die Zahlen vergleichbar zu machen, zeigt, dass das Vermögen der Milliardäre real um 2,63 Billionen Dollar gestiegen ist. Zwischen den Daten der beiden Listen liegen 987 Tage, sodass das Vermögen der Superreichen jeden Tag um 2,7 Milliarden Dollar zunahm. In Deutschland profitierten die Reichsten noch stärker: Vom gesamten Vermögenszuwachs, der zwischen 2020 und 2021 hierzulande erwirtschaftet wurde, ginge 81 % an das reichste Prozent, während die restlichen 99 % nur 19% des Vermögenszuwachses verbuchten.

Versorgungsengpässe und unterbrochene Lieferketten, die durch die Pandemie und den Krieg in der Ukraine, das Verhalten der Unternehmen und den Klimawandel verursacht wurden, haben dazu geführt, dass die globalen Lebensmittelpreise 2022 im Vergleich zu 2021 um 18 % und die Energiepreise um 59 % gestiegen sind. Das hat vor allem ärmeren Menschen einen heftigen Schlag versetzt und viele in Armut gestürzt. Das Vermögen der Reichen und vieler Unternehmen hingegen ist mit den steigenden Lebensmittel- und Energiepreisen weiter gewachsen. Oxfam untersuchte die Gewinne von 95 großen Lebensmittel- und Energieunternehmen und stellte fest, dass sich ihre Gewinne im Jahr 2022 um mehr als das Zweieinhalbfache (256 %) im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 2018-2021 erhöhten. Sie erzielten insgesamt 306 Milliarden US-Dollar an Übergewinnen (definiert als 10 % über dem durchschnittlichen Nettogewinn 2018-2021) und schütteten 257 Milliarden und damit 84 % der Übergewinne an ihre Aktionär*innen aus. Steigende Gewinne für Unternehmen machen meist die Reichen reicher, da der Aktienbesitz sich vor allem in einkommensstärkeren Gruppen konzentriert. In den USA zum Beispiel befinden sich 53 % der Aktien im Besitz des reichsten 1 %. Die Walton-Dynastie, der die Hälfte von Walmart gehört, erhielt im vergangenen Jahr 8,5 Milliarden Dollar an Dividenden und Aktienrückkäufen. Der indische Milliardär Gautam Adani, Eigentümer großer Energiekonzerne, hat allein 2022 einen Vermögenszuwachs von 42 Milliarden Dollar (46 %) erzielt. Währenddessen haben viele Otto Normalverbraucher damit zu kämpfen, dass die Inflation die Preise in die Höhe treibt, ihre Löhne aber nicht mitziehen. Studien haben gezeigt, dass in den USA 54 % und in Großbritannien 59 % der Inflation auf gestiegene Unternehmensgewinne zurückzuführen sind. Die Weltbank spricht von der größten Zunahme der weltweiten Ungleichheit und dem größten Rückschlag bei der Armut seit dem 2. Weltkrieg und macht keinen Hehl daraus, dass die Welt ihr Ziel, die extreme Armut bis 2030 zu beenden, verfehlen wird. Das Gleiche gilt für das Hungerziel: Über 820 Millionen Menschen sind derzeit unterernährt.

Oxfam fordert daher eine systematische und umfangreiche Besteuerung der Reichen, vor allem des reichsten Prozents, das 45,6 Prozent des weltweiten Vermögens besitzt. „Jahrzehntelange Steuersenkungen für die Reichsten und Unternehmen auf Kosten der Allgemeinheit haben die Ungleichheit verschärft und dazu geführt, dass die Ärmsten in vielen Ländern höhere Steuersätze zahlen als Milliardär*innen“, sagt Manuel Schmitt. So zahlte Elon Musk zwischen 2014 und 2018 einen „wahren Steuersatz“ von etwa 3 %. Oxfam verglich dies mit einer Mehlverkäuferin in Uganda, die 80 Dollar im Monat verdient und von der lokalen Regierung erhobene Marktgebühren in Höhe von 40 % ihres Gewinns zahlt. Die Autor*innen argumentieren, dass in der jüngeren Geschichte die Reichsten weitaus höher besteuert wurden. „In den letzten vierzig Jahren haben die Regierungen weltweit die Einkommenssteuersätze für die Reichsten gesenkt. Gleichzeitig haben sie die Steuern auf Waren und Dienstleistungen erhöht, was die Ärmsten unverhältnismäßig stark belastet und die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern noch verschärft“, heißt es im Bericht. Von jedem US-Dollar, den Staaten aus Steuern einnehmen, stammen aktuell nur vier Cent aus Steuern auf Vermögen. Die Hälfte aller Milliardär*innen lebt heute in Ländern ohne eine Erbschaftssteuer, was bedeutet, dass sie 5 Billionen US-Dollar steuerfrei an ihre Nachkommen weitergegeben können. Das ist mehr als das gesamte Bruttoinlandsprodukt des afrikanischen Kontinents. Das Einkommen der Superreichen stammt oft aus den Erträgen ihres Vermögens, doch die Steuersätze auf Kapitalerträge liegen in mehr als 100 Ländern im Durchschnitt bei nur 18 % – etwas weniger als die Hälfte des durchschnittlichen Spitzensteuersatzes in den OECD-Ländern. „Unser Bericht zeigt erneut: Dass von Steuersenkung für die Reichsten alle profitieren, ist ein Mythos. Konzerne und ihre superreichen Haupteigentümer*innen müssen endlich ihren fairen Beitrag zum Gemeinwohl leisten“, betont Schmitt.

Oxfam fordert die Regierungen auf, exzessive Übergewinne und hohe Vermögen stark zu besteuern und mit den Einnahmen in den Ausbau von sozialer Sicherung, Bildung und Gesundheit zu investieren. Gemeinsam mit anderen Institutionen hat Oxfam International errechnet, dass eine Steuer von bis zu 5 Prozent auf das Vermögen der Multimillionär*innen und Milliardär*innen der Welt 1,7 Billionen US-Dollar pro Jahr einbringen könnte. Dies würde u.a. ausreichen, um zwei Milliarden Menschen über die erweiterte Armutsgrenze der Weltbank von 6,85 US-Dollar pro Tag zu heben und universelle Gesundheitsversorgung und soziale Sicherung für die 3,6 Milliarden Menschen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen bereitzustellen. „Die Besteuerung der Superreichen ist die strategische Voraussetzung für den Abbau der Ungleichheit und die Wiederbelebung der Demokratie“, so Gabriela Bucher von Oxfam International. „Wir brauchen das für Innovation. Für stärkere öffentliche Dienstleistungen. Für eine glücklichere und gesündere Gesellschaft. Und für die Bewältigung der Klimakrise, indem wir in Lösungen investieren, die den irrsinnigen Emissionen der Reichsten entgegenwirken.“ Oxfam Deutschland fordert von der Bundesregierung ebenfalls eine systematische und weitreichende Besteuerung von Krisengewinnen und eine höhere Besteuerung reicher Menschen. Durch eine Übergewinnsteuer müssten exzessive Krisengewinne von Konzernen abschöpft werden. Die Vermögenssteuer müsse wieder eingeführt werden und es brauche angesichts der aktuellen Krisensituation eine einmalige Abgabe auf sehr hohe Vermögen. In Deutschland wird Vermögen im internationalen Vergleich bislang unterdurchschnittlich besteuert. (ab)

11.01.2023 |

Mooratlas 2023: Moorschutz bedeutet Klima- und Artenschutz

Wildsee
Hochmoor Wildsee (Foto: A. Beck)

Natürliche Moore beherbergen seltene Pflanzen und Tiere und speichern enorme Menge Kohlenstoff im Torfboden. Da sie jedoch aus wirtschaftlichen Gründen entwässert und zerstört werden, setzen sie große Mengen des Treibhausgases CO₂ frei und belasten das Klima. Darauf macht der Mooratlas 2023 aufmerksam, der am 10. Januar von der Heinrich-Böll-Stiftung, dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und der Michael Succow Stiftung, Partner im Greifswald Moor Centrum veröffentlicht wurde. Die Trockenlegung von Mooren ist mit über zwei Milliarden Tonnen CO2 für rund 4 Prozent aller menschengemachten Emissionen verantwortlich. Die landwirtschaftliche Nutzung macht einen großen Anteil aus. Für die Klimakrise und das Artensterben wirkt die fortschreitende Moorzerstörung wie ein Brandbeschleuniger, warnen die Herausgeber der Publikation. „Um das im Pariser Klimaschutzabkommen vereinbarte 1,5 Grad-Ziel zu erreichen, müssen bis 2050 die globalen Netto-Emissionen auf null gesenkt werden. Dafür werden insbesondere auch intakte Moore als Senken benötigt“, erklärte Dr. Imme Scholz, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Sie nennt auch konkrete Zahlen: „Die Europäische Union muss 500.000 Hektar pro Jahr wiedervernässen, weltweit müssen zwei Millionen Hektar pro Jahr wiedervernässt werden.“ In Deutschland wäre eine jährliche Wiedervernässung von mindestens 50.000 Hektar Moorböden nötig, um die Klimaziele zu erreichen – eine Fläche fast so groß wie der Bodensee.

Der Mooratlas beleuchtet auf 50 Seiten und mit 52 Grafiken die Geschichte der Moore, ihre Bedeutung als Lebensräume und für den Klimaschutz sowie ihre Zerstörung und die damit verbundenen Folgen auf lokaler und globaler Ebene. Die Autor*innen erklären aber auch, wie Moore geschützt und ihre Funktionsfähigkeit wieder hergestellt werden kann. Über Jahrtausende haben sich in Mooren mächtige Torfschichten angehäuft. Moore entstehen dort, wo der Boden ganzjährig nass ist. Dadurch werden abgestorbene Pflanzenteile nicht vollständig zersetzt und sie werden unter Luftabschluss konserviert. Der so entstehende Torf wächst im Durchschnitt um rund einen Millimeter pro Jahr und besteht zu mehr als 50 % aus Kohlenstoff. Obwohl Moore nur 3 Prozent der weltweiten Landfläche bedecken, speichern sie mit rund 600 Milliarden Tonnen mehr Kohlenstoff als jedes andere Ökosystem. In der Biomasse aller Wälder der Erde, die 27 % der globalen Landfläche ausmachen, sind nur 372 Milliarden Tonnen Kohlenstoff gespeichert. Allein in Deutschland speichern Moore 1,3 Milliarden Tonnen Kohlenstoff. Doch seit dem 17. Jahrhundert werden Moore systematisch entwässert für den Torfabbau, Siedlungen sowie für die Forst- und Landwirtschaft. Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat die Industrialisierung der Landwirtschaft die großflächige Entwässerung vor allem in der gemäßigten Klimazone der Nordhalbkugel noch einmal stark beschleunigt. In einigen Industriestaaten sind nur noch wenige natürliche Moore erhalten. Bereits jetzt sind laut Mooratlas weltweit über 10% der 500 Millionen Hektar Moore entwässert und so zerstört, dass kein neuer Torf mehr gebildet wird und der noch existierende verschwindet. Jedes Jahr gehen weitere 500.000 Hektar Moor durch menschliche Aktivitäten verloren. In Mitteleuropa sind über 90 Prozent der Moore zerstört.

Die weltweit größte Gefahr für Moore ist die künstliche Entwässerung und Entwaldung für die Land- und Forstwirtschaft sowie den Torfabbau, heißt es in der Publikation. Brände und die Klimakrise bedrohen die Moore aber ebenfalls. Über die Hälfte der bekannten tropischen Moore liegen in Südostasien. Viele von ihnen sind trockengelegt und degradiert. In der Region wurden in den letzten 20 Jahren vor allem in Indonesien und Malaysia in großem Umfang Moorwälder in Palmöl- und Akazienplantagen umgewandelt. Die globale Produktion von Palmöl stieg von knapp 15 Millionen Tonnen im Jahr 1994 auf über 74 Millionen Tonnen in 2019. Grund ist die zunehmende Verwendung von Palmöl als Kraftstoff und in Lebens-, Wasch- und Reinigungsmitteln. Gerade in Südostasien häufen sich immer wieder unkontrollierte großflächige Land- und Waldbrände: Feuchte Moorflächen brennen unter natürlichen Umständen nicht, aber sehr wohl im trockengelegten Zustand. Oft lassen große Konzerne – oft legale und auch illegale – Brandrodungen durchführen, um neuen Platz für Plantagen zu gewinnen. Auch der Torfabbau trägt zum Schwinden der Moore bei, doch gerade auch die Klimakrise verschärft die Zerstörung der Moore. Zum einen werden viele der trockengelegten Moorflächen noch anfälliger für Waldbrände. Zum anderen gefährdet die Klimakrise Permafrostböden, die quasi gefrorene Moore sind. „Tauen sie auf, zersetzt sich ihre organische Substanz – und Kohlenstoff wird als CO₂ freigesetzt, genauso wie Methan (CH₄). In der Arktis, wo sich die meisten Permafrostböden befinden, ist die Temperatur in den letzten 40 Jahren fast viermal so schnell gestiegen wie im globalen Durchschnitt“, heißt es im Mooratlas.

Moore tragen also nur zum Klimaschutz bei, solange sie intakt sind. Obwohl entwässerte Moore weniger als ein halbes Prozent der Landfläche der Erde ausmachen, sind sie für etwa 4 % aller weltweiten menschlichen Emissionen verantwortlich. Die weltweite Entwässerung von Mooren verursacht deutlich mehr CO2-Emissionen als der globale Flugverkehr. Entwässerte Moorböden emittieren weltweit pro Jahr über 1,9 Milliarden Tonnen CO₂-Äquivalente. Fast 90 % davon macht CO₂ aus, der Rest stammt von Methan und Lachgas. Hinzu kommen Emissionen aus Torfbränden. Deren genaue Menge schwankt stark und lässt sich nicht exakt beziffern, erläutern die Autor*innen, aber im Schnitt dürften es zwischen 500 Millionen und einer Milliarde Tonnen CO₂-Äquivalente pro Jahr sein. Den höchsten Anteil an den globalen Emissionen aus entwässerten Mooren verursacht Indonesien mit 34,4 %, gefolgt von Russland mit 11,9% und der EU mit 11,8% sowie China mit 7,2% und Malaysia mit 4,7%. Innerhalb der EU entfällt die Hälfte der Emissionen auf Deutschland, Finnland und Polen und der überwiegende Teil davon stammt von landwirtschaftlich genutzten Flächen. „Dabei stehen wir in Europa auch als industrielle Nachfrager für die in anderen Regionen der Welt auf zerstörten Moorregenwaldflächen produzierten Güter wie Hölzer, Zellstoff oder Palmöl in der Verantwortung“, betont Dr. Imme Scholz. „In Deutschland sind trockengelegte Moore für etwa sieben Prozent aller Treibhausgasemissionen, in der Landwirtschaft sogar für über 37 Prozent aller Treibhausgase verantwortlich“, fügt sie hinzu. Der Abbau und Verbrauch von Torf ist besonders klimaschädlich. In der EU schlägt er mit Emissionen in von circa 21,4 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten pro Jahr zu Buche. Das entspricht etwa einem Sechstel aller Emissionen aus Moorböden. Doch der Abbau von Torf verursacht im Vergleich zu allen anderen Moornutzungen die höchsten Emissionen pro Hektar, weil der Kohlenstoff bei Torfnutzung besonders schnell freigesetzt wird.

Damit Moor- und somit auch der Klimaschutz gelingt, ist eine tiefgreifende Transformation der landwirtschaftlichen Betriebsstrukturen nötig, betonen die Herausgeber des Mooratlases. Auch die Tierhaltung auf trockenen Moorflächen müsse reduziert werden. Für die nasse Nutzung großer Moorgebiete sind Alternativen zur herkömmlichen intensiven Landwirtschaft gefragt, die landwirtschaftliche Nutzung mit dem Schutz des Klimas und der Biodiversität verbindet und diese müssen finanziell gefördert werden. „Intakte Moorökosysteme können auch weltweit erhalten bleiben, wenn es gelingt, effektive und überprüfbare Schutzmaßnahmen gegen Übernutzung und Zerstörung zu treffen – dazu gehört auch, unseren Verbrauch von Rohstoffen von entwässerten Moorregenwäldern zu reduzieren und in einer effektiven Lieferkettenverfolgung verbindlich auf Moor- und somit auch Klimaschutz zu zertifizieren“, sagt Scholz. Darüber hinaus seien schnellstmöglich auch internationale Abkommen zum Schutz und der Wiederherstellung von Mooren nötig, die sowohl die unkontrollierte Übernutzung beenden wie auch den Erhalt, die Restaurierung und die nachhaltige Bewirtschaftung von Mooren weltweit rechtsverbindlich festlegen. Bisher gibt es nur ein einziges Abkommen, das den Moorschutz im Fokus hat: Die Ramsar-Konvention entstand bereits 1971, ist aber nicht rechtlich verbindlich. Auf freiwilliger Basis gehören ihr 172 Staaten an, darunter auch Deutschland. Sie führt eine Liste mit international bedeutenden Feuchtgebieten und schützenswerten Flächen. Mittlerweile machen Moorflächen auf der Ramsar-Liste rund ein Viertel der aufgeführten Feuchtgebiete aus.

„In Deutschland sind weit über 90 Prozent der Moore bereits trockengelegt und geschädigt. Um die globalen Klimaziele zu erreichen, müssen in Deutschland jährlich mindestens 50.000 Hektar Moorböden wiedervernässt werden – eine Fläche fast so groß wie der Bodensee“, sagt Jan Peters, Geschäftsführer der Michael Succow Stiftung. Vergleichbar sei diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe in finanzieller und politischer Hinsicht mit dem Kohleausstieg. Die Moorschutzstrategie und das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz (ANK) seien erste wichtige Schritte für den Klima- und Moorschutz, betonen die Herausgeber. Das Bundesregierung hat das ANK bis 2026 mit 4 Milliarden Euro budgetiert. Es soll zum Zweck haben, den Klimaschutz zu fördern und die Biodiversität zu stärken – als wichtige Handlungsfelder werden dabei der Schutz intakter Moore und die Wiedervernässung trockengelegter Moorflächen genannt. Doch „bei jährlichen Emissionen von 53 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten aus entwässerten Mooren in Deutschland – immerhin über sieben Prozent der Gesamtemissionen – ist die vorgesehene Reduktion von lediglich fünf Millionen Tonnen pro Jahr bis 2030, also weniger als zehn Prozent der jetzigen Moor-Emissionen, nicht ambitioniert genug – wenn gleichzeitig die Volkswirtschaft 65 % einsparen muss“, kritisiert Peters. Es müsse ein Umdenken zum Umgang mit Mooren in der ganzen Gesellschaft stattfinden und auch die Wirtschaft sollte die Potenziale erkennen. „Klimaleistungen aus nasser Landwirtschaft auf Moor oder innovative Produkte „nasser Biomasse“ müssen anerkannt und attraktiv finanziell unterstützt werden.“ Das Vertrauen auf Freiwilligkeit allein reiche mittelfristig nicht aus. Daher müsse die Politik entschieden, konkret und transparent Rahmenbedingungen richtig setzen und alle Akteur*innen zu einem schnellen und praktischen Handeln ermutigen. Die Wiedervernässung der Moore werde eine Kraftanstrengung für die Bäuerinnen und Bauern, sagt Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland. „Die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz und die Agrarpolitik wirksam miteinander kombiniert werden. Einerseits braucht es einer Honorierung der Landwirtinnen und Landwirte, wenn sie wiedervernässte Moorflächen bewirtschaften. Andererseits brauchen wir eine Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren für Wiedervernässungs- und Naturschutzmaßnahmen“, so Bandt. (ab)

18.12.2022 |

Ernährung und Landwirtschaft - die letzten 2 Jahrzehnte in Zahlen

Mias
Mais - eine der Hauptkulturen (Foto: CC0)

Seit der Jahrtausendwende hat sich in der Landwirtschaft einiges getan. Die weltweite Produktion der Hauptanbaukulturen, wie Mais und Weizen, ist zwischen 2000 und 2020 um mehr als 50 % gestiegen, während die Zahl der weltweit in der Landwirtschaft tätigen Menschen im gleichen Zeitraum um 17 % sank. Diese und noch zahlreiche andere Zahlen und Fakten aus dem Bereich Welternährung und Landwirtschaft liefert das neue statistische Jahrbuch, das am 12. Dezember von der Welternährungsorganisation FAO veröffentlicht wurde. Auf 380 Seiten widmet sich die Veröffentlichung, die im jährlichen Turnus erscheint, Themen wie dem Agrarhandel, dem globalen Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden sowie Umwelt- und Klimaaspekten. Zwar sind viele der Informationen auch mit etwas Übung der Statistik-Datenbank FAOSTAT zu entlocken, doch im Jahrbuch sind sie leicht und schnell zugänglich und die wichtigsten Fakten zu aktuellen Entwicklungen in der globalen Landwirtschaft werden mithilfe von 69 Grafiken, 32 Karten und 59 Tabellen sowie einigen Themenboxen illustriert. Die Statistiken, die auf den mehr als 20.000 in FAOSTAT aufgeführten Indikatoren beruhen und mehr als 245 Länder und Gebiete abdecken, werden in vier thematischen Kapiteln vorgestellt.

Das erste Kapitel befasst sich mit wirtschaftlichen Faktoren. Heute arbeiten etwa 866 Millionen Menschen – oder 27 % der weltweit Erwerbstätigen – in der Landwirtschaft (inklusive Forstwirtschaft und Fischerei). Im Jahr 2000 waren es noch 1,04 Milliarden Menschen oder 40 % der Erwerbstätigen. Zwischen 2000 und 2021 ging die Zahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft in Asien von rund 800 auf etwa 580 Millionen zurück. Das bedeutet, dass mehr als jeder vierte Beschäftigte in der Region den Sektor verlassen hat, um eine andere Tätigkeit außerhalb der Landwirtschaft auszuüben. In Europa verließ die Hälfte der Arbeitskräfte den Agrarsektor, während in Afrika die Beschäftigung in der Landwirtschaft zunahm. Der Beitrag der Land- und Forstwirtschaft sowie der Fischerei zur Wirtschaft nahm zwischen 2000 und 2020 real um 78 % zu und erreichte im Jahr 2020 eine Wertschöpfung von 3,6 Billionen US-Dollar. In Afrika hat sich die Wertschöpfung in diesem Zeitraum mehr als verdoppelt (+147 %) und erreicht 413 Milliarden US-Dollar. Der größte Anteil an der Gesamtwertschöpfung entfiel mit 64 % auf Asien: Der Kontinent verzeichnet einen Anstieg um 91 %, von 1,2 Billionen USD im Jahr 2000 auf 2,3 Billionen USD im Jahr 2020. Bis 2019 verringerte sich der weltweite Beitrag der Landwirtschaft zum Bruttoinlandsprodukt (BIP), doch aufgrund der Pandemie und den Einschränkungen im Zusammenhang mit COVID-19 ging die Wertschöpfung im Industrie- und Dienstleistungssektor zurück, während sie in der Landwirtschaft weiter anstieg, wodurch es 2020 zu einem „künstlichen“ Anstieg des Anteils der Landwirtschaft am gesamten BIP kam.

Kapitel 1 befasst sich auch mit den Inputs in der Landwirtschaft: Der Einsatz von Pestiziden stieg im Zeitraum 2000-2020 weltweit um 30 % auf 2,7 Millionen Tonnen. Die Ausbringung von Pestiziden erreichte bereits 2012 ihren Höchststand und begann 2017, leicht zu sinken. Auf Nord- und Südamerika entfiel mit 51 % der Löwenanteil des Pestizideinsatzes, gefolgt von Asien (25 %), Europa (18 %), Afrika und Ozeanien. Der Anteil Amerikas am globalen Pestizidverbrauch stieg um 7 Prozentpunkte, während der Anteil Asiens und Europas um 4-5 Punkte auf 25 % bzw. 18 % zurückging. In absoluten Zahlen waren die USA im Jahr 2020 Spitzenreiter mit 0,41 Millionen Tonnen oder 15 % des weltweiten Pestizidverbrauchs, knapp vor Brasilien (0,38 Mio. t.) und China (0,27 Mio. t.). Die Länder mit dem höchsten Pestizideinsatz pro Hektar waren St. Lucia mit 20 kg/ha, die Malediven (17 kg/ha) und Oman (16 kg/ha). Der gesamte landwirtschaftliche Einsatz von anorganischen Düngemitteln, ausgedrückt als Summe der drei Nährstoffe Stickstoff (N), Phosphor (P2O5) und Kalium (K2O), betrug im Jahr 2020 rund 201 Millionen Tonnen. Der Anteil von Stickstoffdünger machte 56 % aus, während auf Phosphor 24 % und Kalium 20 % entfielen. Der Gesamtverbrauch von Düngemitteln war im Jahr 2020 um 49 % höher als zur Jahrtausendwende. Der Einsatz von Stickstoffdünger stieg um 40 %, von Phosphor um 49 % und von Kalium um 81 %.

Das zweite Kapitel gibt einen Überblick über Produktion, Handel und Preise von Rohstoffen. Von 2000 bis 2020 stieg die Produktion von Hauptanbaukulturen wie Zuckerrohr, Mais, Weizen und Reis um 52 % auf insgesamt 9,3 Milliarden Tonnen. Getreide war mit etwa einem Drittel der Gesamterzeugung die wichtigste Gruppe der Ackerkulturen. Gerade einmal vier Pflanzensorten machten rund die Hälfte der weltweiten Produktion aus: Zuckerrohr (20 % der Gesamtmenge mit 1,9 Milliarden Tonnen), Mais (12 % mit 1,2 Mrd. t.), Weizen und Reis (jeweils 8 % mit 0,8 Mrd. t). Bei jeder Kultur nahm der jeweilige Top-Erzeuger auch eine recht dominante Stellung bei der Produktion ein: So wurde etwa 40 % des Zuckerrohrs in Brasilien produziert, während die USA 31 % der weltweiten Maisernte einbrachten. Die weltweite Produktion von Pflanzenölen stieg zwischen 2000 und 2019 um 125 % auf 208 Millionen Tonnen. Palmöl verzeichnete mit 236 % den größten Zuwachs. Aufgrund seiner Verwendung für die Herstellung von Biodiesel überholte Palmöl im Jahr 2006 Sojaöl als das wichtigste Pflanzenöl. Weltweit wurden 2020 gut 337 Millionen Tonnen Fleisch erzeugt. Das sind 45 % oder 104 Millionen Tonnen mehr als im Jahr 2000. Mit einem Anteil von 35 % führte Hähnchenfleisch, gefolgt von Schweinefleisch (33 %). Seit 2000 verzeichnet Hähnchenfleisch in absoluten und relativen Zahlen den größten Zuwachs (+104 % oder 61 Mio. Tonnen).

In diesem Kapitel wird auch der FAO-Lebensmittelpreisindex analysiert, der die monatliche Veränderung bei einem internationalen Warenkorb an Lebensmitteln misst. Seit Januar 2000 ist der Food Price Index von 85,4 Punkten auf 138 Punkte im August 2022 gestiegen. Während der Lebensmittelkrise 2007/2008, als die Preise für Getreide, vor allem für Reis und Weizen, Rekordwerte erreichten, ging er stark in die Höhe. Ende 2010 und Anfang 2011 zogen die Lebensmittelpreise erneut massiv an (insbesondere Zucker und Milchprodukte). Zu Beginn der COVID-19-Pandemie sank der Index, was die Unsicherheiten auf den Rohstoffmärkten widerspiegelt. Zwischen Mai 2020 und März 2022 kletterte er jedoch unaufhörlich auf 159,7 Punkte, seinen bisher höchsten Wert. Dies lässt sich auf eine Kombination an Faktoren zurückführen, wie die Folgen der COVID-19-Pandemie für die Versorgungsketten, die Wiederbelebung der Wirtschaftstätigkeit und der Nachfrage in 2021 sowie Beeinträchtigungen der Exporte von Getreide und Pflanzenöl aus Russland und der Ukraine.

Kapitel 3 dreht sich um Ernährungssicherheit und Ernährung, aber die Zahlen sprechen keine grundsätzlich andere Sprache als im SOFI-Bericht, der im Juli von fünf UN-Organisationen herausgegeben wurde. Das Jahrbuch bietet jedoch nochmals einen Abriss zum 20-Jahres-Trend, der durchweg frustrierend ist. Der Anteil der unterernährten Menschen an der Gesamtbevölkerung hat nach einem jahrzehntelangen Rückgang – und fünf Jahren relativer Stabilität seit 2014 – zwischen 2019 und 2020 wieder stark zugenommen und kletterte zwischen 2020 und 2021 weiter, wenn auch langsamer. Fast 10 % der Weltbevölkerung litten 2021 an Hunger, verglichen mit 8 % im Jahr 2019. Am schlimmsten ist die Lage in Afrika: 2021 waren 20,2 % der Bevölkerung des Kontinents unterernährt. Die Zahlen zur weltweiten Versorgung mit Lebensmitteln zeigen, dass eigentlich genug für alle vorhanden wäre. Die durchschnittliche Energieversorgung (DES), gemessen in Kalorien pro Person und Tag, stieg kontinuierlich an auf 2.963 kcal im Zeitraum 2019-2021. Das sind 9 % mehr als im Zeitraum 2000-2002, als die Energiezufuhr bei im Schnitt 2.712 kcal lag. Am höchsten ist der Kalorienverbrauch in Nordamerika und Europa mit 3.537 kcal pro Person/Tag. Afrika hat mit 2.589 kcal das geringste Angebot. In der Region war zunächst ein stetiger Anstieg zu verzeichnen, der jedoch 2012-2014 stagnierte und dann ging die Menge wieder zurück. Der schnellste Anstieg fand in Asien statt, wo die Energiezufuhr in den letzten zwei Jahrzehnten um 14 % zunahm. Der Bericht zeigt auch das andere Gesicht der Unterernährung: Die Fettleibigkeit bei Erwachsenen ab 18 Jahren nahm zwischen 2000 und 2016 in allen Regionen der Welt rapide zu. Im Jahr 2016 waren 13,1 % der erwachsenen Bevölkerung fettleibig, während es 2000 erst 8,7 % waren. In Ozeanien und Nordamerika sowie Europa lebten prozentual gesehen die meisten fettleibigen Erwachsenen (ca. 27-28 % der Bevölkerung), gefolgt von Lateinamerika und der Karibik.

Kapitel 4 befasst sich mit den Nachhaltigkeits- und Umweltaspekten der Landwirtschaft. Zwischen 2000 und 2020 schrumpft die landwirtschaftliche Nutzfläche um 134 Millionen Hektar – eine Fläche fast so groß wie Peru. Etwa 4,74 Mrd. Hektar der Erdoberfläche sind landwirtschaftliche Nutzfläche, einschließlich Wiesen und Weiden sowie Ackerland. Die Autor*innen betonen, dass die Landwirtschaft sowohl vom Klimawandel betroffen ist als auch eine wichtige Verursacherin von Treibhausgasemissionen ist. Die Gesamtemissionen auf landwirtschaftlichen Flächen beliefen sich im Jahr 2020 auf 10,5 Mrd. Tonnen Kohlendioxidäquivalent (Gt CO2eq) – ein Rückgang von 4 % gegenüber dem Jahr 2000. Er ist darauf zurückzuführen, dass die Verringerung der Emissionen aus der Umwandlung von Wäldern höher ausfiel als der Anstieg der Emissionen in landwirtschaftlichen Betrieben. Aktivitäten auf den Höfen verursachten 7,4 Gt CO2eq oder 70 % aller Emissionen im Jahr 2020, gefolgt von der Umwandlung von Wäldern/Abholzung (28 %) und Feuern in tropischen Regenwäldern und auf organischen Böden (2 %). Nach Weltregionen betrachtet war Asien der größte landwirtschaftliche Emittent (36 % der Gesamtemissionen) im Jahr 2020, gefolgt von Amerika (30 %), Afrika (23 %) und Europa (9 %). Von den 7,4 Gt CO2eq landwirtschaftlicher Emissionen, die in Betrieben anfielen (d.h. mit dem Anbau von Feldfrüchten und der Tierhaltung in Verbindung stehen), entstanden 38 % durch enterische Fermentation im Verdauungssystem von Wiederkäuern. Auf Weiden verbleibender Dünger machte 24 % aus, während entwässerte organische Böden einen Anteil von 12 % und Methan aus dem Reisanbau 9 % verursachten. Als CO2-intensivstes Produkt identifizierte der Bericht Rinderfleisch, das im globalen Durchschnitt 30 kg CO2eq pro Kilo verursachte, gefolgt von Schaffleisch (24 kg CO2eq/kg), während die Emissionsintensität von Schweine- und Hühnerfleisch deutlich geringer war (1,8 kg bzw. 0,6 kg CO2eq/kg). Bei der Produktion von Getreide fallen deutlich weniger Emissionen an, aber Reis verursachte das Fünffache an Emissionen im Gegensatz zu Weizen. (ab)

30.11.2022 |

Brasilien: Sojaanbau für die EU heizt Entwaldung im Cerrado an

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Typische Cerrado-Landschaft bei Mato Grosso: Soja, soweit das Auge reicht (Foto: Jeff Belmonte, bit.ly/CerJeff bit.ly/4_CC_BY_2-0)

Der Sojaanbau im brasilianischen Cerrado – unter anderem auch für die Fütterung deutscher Masttiere – hat in den letzten 20 Jahren zur Zerstörung von 4,2 Millionen Hektar Land geführt. Darauf weist ein neuer Bericht hin, den die Deutsche Umwelthilfe (DUH) am 29. November gemeinsam mit der brasilianischen Recherche-NGO Repórter Brasil veröffentlichte. Das Papier belegt die dramatischen Auswirkungen des Sojaanbaus auf das Biom, das sich über knapp 25% des brasilianischen Staatsgebiets in elf Bundesstaaten erstreckt und eine zentrale Rolle als „Wasserspeicher“ für das Land ausübt, da dort Flüsse entspringen und drei wichtige Grundwasserspeicher liegen. „Der brasilianische Cerrado ist nicht nur die artenreichste Savanne der Welt. Mittlerweile zählt sie längst zu einem Hotspot für den Sojaanbau in Brasilien und wurde bereits zu großen Teilen zerstört. Und wofür? Für billiges Futtermittel und die deutsche Massentierhaltung“, kritisiert Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der DUH. Die Veröffentlichung des Berichts ist nicht zufällig gewählt: Anfang Dezember entscheiden die EU-Kommission, Rat und Parlament abschließend über eine EU-Verordnung gegen Entwaldung und über entwaldungsfreie Produkte. Doch die DUH befürchtet, der Cerrado könne hier nicht ausreichend berücksichtigt werden und fordert daher die Bundesregierung auf, sich für eine starke EU-Verordnung einzusetzen und den Cerrado darin aufzunehmen.

Gegenwärtig entfallen 52% der gesamten Sojaanbaufläche Brasiliens auf den Cerrado und dort insbesondere auf die Region Matopiba, dem neuen landwirtschaftlichen Grenzgebiet Brasiliens, das Gebiete in Maranhão, Piauí, Bahia sowie das gesamte Gebiet von Tocantins umfasst, heißt es in der Einleitung des Berichts. Die Sojaanbaufläche im Cerrado nahm von 7,5 Millionen Hektar in der Erntesaison 2000/2001 auf 20 Millionen Hektar im Jahr 2020/2021 zu – ein Anstieg von fast 170%. Im selben Zeitraum stieg die Anbaufläche für Soja in Matopiba von 970.000 Hektar auf 4,7 Millionen Hektar und somit fast auf das Fünffache. Die Geschichte der Besiedlung der Cerrado-Region zeigt, „dass die Ausweitung des Sojaanbaus für den globalen Rohstoffhandel nicht ohne Abholzung der einheimischen Vegetation, Ausbeutung von Wasserressourcen und Konflikte mit traditionellen Gemeinschaften vonstattenging“, schreiben die Autor*innen. Dies lässt sich nun auch in der Matopiba ablesen, wo die Expansion der Agrarindustrie zu einer enormen Belebung des Immobilienmarkts und einer intensiven Suche nach Land geführt, das schnell in landwirtschaftliche Flächen umgewandelt werden kann. „Unermessliche Flächen einheimischen Waldes wurden – und werden – eingezäunt, abgeholzt und in Plantagen umgewandelt, und es gibt deutliche Anzeichen für illegale Landnahme“, so der Bericht, der anhand von drei Fallstudien darstellt, wie einige der größten derzeit im Cerrado tätigen Handelsunternehmen Geschäftsbeziehungen zu Sojaproduzenten unterhalten, die in Landkonflikte und Fälle von Entwaldung verwickelt sind.

In dem Bericht werden Zahlen zur Abholzung zusammengetragen. Demnach war Soja zwischen 2000 und 2016 für 9% der Abholzung von Urwäldern in Südamerika verantwortlich. In diesem Zeitraum wurde fast die Hälfte (44%) der neuen Anbauflächen auf dem Kontinent im Cerrado erschlossen. Laut einem vom Brasilianischen Verband der Pflanzenölindustrie (ABIOVE, Associação Brasileira das Indústrias de Óleos Vegetais) finanzierten Bericht wird im Cerrado Soja auf 4,19 Millionen Hektar Flächen angebaut, die in den letzten 20 Jahren abgeholzt wurden – eine Fläche doppelt so groß wie Hessen. Das entspricht 14,4% der gesamten Entwaldung im Cerrado, doch die Hauptursache für die Abholzung dort bleibt nach wie vor die Viehzucht: 67% der Fläche wird als Weideland genutzt.

Als Reaktion auf öffentlichen Druck hin haben einige der größten in den Sojahandel involvierten Agrarkonzerne vor kurzem Pläne angekündigt, in ihren Lieferketten „Nullentwaldung“ zu erreichen. Cargill und ADM wollen dieses Ziel bis 2030 erreichen, wobei alle Biome einbezogen werden sollen, während Bunge und LDC für 2025 ähnliche Ziele angekündigt haben. „Theoretisch gibt es die „Nullentwaldung“ im brasilianischen Amazonasgebiet bereits seit über einem Jahrzehnt. Im Rahmen des Sojamoratoriums haben sich die größten Handelsunternehmen des Sektors verpflichtet, nach 2008 kein Soja mehr zu erwerben, das in entwaldeten Gebieten der Region angebaut wurde“, so die Autor*innen. Die Übertragung ähnlicher Kriterien auf den Cerrado ist nun erneut ein Zankapfel zwischen den verschiedenen Interessengruppen und es bestehen erhebliche Zweifel daran, dass sich die wichtigsten Agrarunternehmen im Cerrado daran halten werden. Zudem lässt sich dem Bericht zufolge der tatsächliche Ursprung von Soja durch Fälschung von Dokumenten durch die Farmer leicht verschleiern oder wenn Soja von Erzeugern bezogen wird, die nachweislich Sojabohnen aus illegal entwaldeten Gebieten angebaut haben, bleiben Sanktionen oft aus. Die Misserfolge bei der Überwachung des Sojamoratoriums im Amazonasgebiet sind ein Warnsignal auch für künftige Initiativen im Cerrado, so das Fazit des Berichts, der fordert, daraus Lehren für den Cerrado zu ziehen.

Die EU ist hier in der Verantwortung. 2021 exportierte Brasilien 86,1 Millionen Tonnen Sojabohnen, wobei China mit 70% der wichtigste Handelspartner war, gefolgt von der EU mit 8,4 Millionen Tonnen. Beim Sojaschrot (Gesamtexport 17,1 Millionen Tonnen) ist die EU der Hauptabnehmer. Die Niederlande waren mit 2 Millionen Tonnen der größte Importeur innerhalb der EU, gefolgt von Frankreich (1,3 Mio. Tonnen) und Deutschland (1 Mio. Tonnen). Schätzungsweise 20% der Sojaexporte aus dem Cerrado und dem Amazonasgebiet in die EU könnten Soja umfassen, die durch illegale Entwaldung gewonnen wurde, wie eine Studie brasilianischer Wissenschaftler im Fachjournal Science besagt. Laut der non-profit Transparenzinitiative Trase konzentriert sich ein Großteil des Entwaldungsrisikos durch den Import von Sojafuttermitteln in die EU auf den Cerrado. Die 4,6 Mio. Tonnen Soja, die 2018 direkt von dort in die EU exportiert wurden, stehen laut Trase in Verbindung mit einem Entwaldungsrisiko von knapp 26.000 Hektar. Somit konzentrieren sich fast zwei Drittel (65%) der durch Sojaimporte in die EU verursachten Entwaldung auf den Cerrado. Trotz illegaler Entwaldung und Landraubs soll der Cerrado womöglich nicht im Anfang Dezember stattfindenden finalen Trilog zur EU-Verordnung aufgenommen werden, wie die DUH befürchtet. Grund sei, dass der Europäische Rat sich mehrheitlich auf klassische Wälder wie den Amazonas-Regenwald beschränken möchte. Laut einer FAO-Definition wird die Savanne nur zu geringen Teilen als Wald und zu über 70% als sogenanntes „other wooded land“ eingestuft. Sollte sich der EU-Rat auf die Definition der FAO stützen, wären nur knapp 26% des Cerrado geschützt. Damit würde ein Großteil der durch die EU verursachten Entwaldung jedoch außer Acht gelassen, bemängelt der Umweltschutzverband. „Sollten sich die Hardliner im EU-Rat durchsetzen, besteht die Gefahr, dass Soja aus Landraub und Entwaldung weiter zu uns gelangt. Damit das nicht passiert, muss die Bundesregierung jetzt ihr politisches Gewicht in die Waagschale werfen, denn wir dürfen diese historische Chance nicht verpassen“, so Müller-Kraenner. Die DUH fordert daher die Bundesregierung auf, sich für die Aufnahme von Buschland und Trockenwäldern in die EU-Verordnung einzusetzen. (ab)

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