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22.09.2022 |

Oxfam: Akuter Hunger in „Klima-Hotspots“ nimmt stark zu

Vertrocknet
Klimawandel und Hunger gehen Hand in Hand (Foto: CC0)

In den zehn weltweit am stärksten von extremen Wetterereignissen betroffenen „Klima-Krisenherden“ ist die Zahl der Menschen, die an akutem Hunger leiden, in den letzten Jahren enorm angestiegen. Darauf macht eine neue Publikation von Oxfam International aufmerksam, die am 16. September erschienen ist. Demnach hat sich der akute Hunger in diesen Ländern während der letzten sechs Jahre mehr als verdoppelt. Laut der Organisation ist der Zusammenhang zwischen wetterbedingten Krisen und dem Anstieg des Hungers in diesen und anderen Ländern „eindeutig und unbestreitbar“. In dem Kurzbericht „Hunger in a heating world“ heißt es: „Die Klimakrise verstärkt zunehmend Bedrohungen und verbündet sich so mit anderen Hauptursachen von Hunger, wie Konflikten, wirtschaftlichen Schocks, Vertreibung, Armut und wachsender Ungleichheit.“ Der Klimawandel erhöhe den Druck auf die Ernährungssysteme, untergrabe die Ernährungssicherheit und erhöhe Sicherheitsrisiken. „Klimawandel ist nicht länger nur eine tickende Zeitbombe, sondern eine, die gerade vor unseren Augen explodiert“, betont Gabriela Bucher, die Generaldirektorin von Oxfam International. „Die Klimakrise bringt mehr und mehr extreme Wetterverhältnisse wie Dürren, Wirbelstürme und Überschwemmungen mit sich – diese haben sich in den letzten 50 Jahren verfünffacht, treten immer öfter auf und fordern immer mehr Todesopfer.“

Oxfam nahm jene zehn Länder genauer unter die Lupe, für die es von den Vereinten Nationen seit dem Jahr 2000 die meisten humanitären Hilfsaufrufe in Reaktion auf extreme Wetterereignisse gegeben hatte. Das waren Somalia, Haiti, Dschibuti, Kenia, Niger, Afghanistan, Guatemala, Madagaskar, Burkina Faso und Simbabwe. Für Somalia und Haiti etwa zählte Oxfam in den letzten zwei Jahrzehnten 16 bzw. 12 UN-Hilfsaufrufe. Die Berechnungen zu den von akutem Hunger betroffenen Menschen basieren auf dem „Global Report on Food Crises“ (GRFC), einem UN-Bericht, der seit 2016 jährlich vom Food Security Information Network veröffentlicht wird. Der GRFC verwendet eine Skala (IPC), die das Ausmaß der Ernährungsunsicherheit in fünf Phasen (minimal, angespannt, Krise, Notfall und Katastrophe/Hungersnot) einteilt. Aktuell leiden 47,5 Millionen Menschen in den zehn untersuchten Ländern an akutem Hunger (IPC-Phase 3+), gegenüber 21,3 Millionen im Jahr 2016. Das ist ein Anstieg um 123 %. Fast 18 Millionen Menschen in diesen zehn Ländern stehen derzeit am Rande des Hungertodes (Gesamtzahl der Menschen, die im Jahr 2021 in die IPC-Phase 4 und 5 eingestuft wurden). „Millionen von Menschen, die bereits unter anhaltenden Konflikten, grassierender Ungleichheit und Wirtschaftskrisen leiden, verlieren nun durch Unwetterkatastrophen, Klima-Extreme und die schleichenden Veränderungen ihre Lebensgrundlagen“, beklagt Bucher. „Die Zunahme solcher Ereignisse ist so extrem, dass Menschen mit niedrigem Einkommen die Folgen immer weniger abfangen können und schließlich hungern müssen.“

Unter den zehn Ländern hat Burkina Faso mit einem Plus von 1350 % seit 2016 die höchste Zunahme akuten Hungers zu verzeichnen. Mit Stand Juni 2022 litten mehr als 3,4 Millionen Menschen dort aufgrund bewaffneter Konflikte und der zunehmenden Versteppung von Acker- und Weideland unter extremem Hunger. Im Landwirtschaftsjahr 2021/22 ging die Getreideproduktion in Burkina Faso im Vergleich zum Vorjahr um 10 % zurück. Bei einer globalen Erwärmung von mehr als 2°C könnten die Erträge von Getreide wie Hirse und Sorghum in Ländern wie Burkina Faso und Niger um 15-25 % zurückgehen. In Niger sind heute 2,6 Millionen Menschen von akutem Hunger betroffen (ein Anstieg um 767 % gegenüber 2016). Die Getreideproduktion ist um fast 40 % eingebrochen, da häufige Klimaschocks und anhaltende Konflikte die Ernte zunehmend erschweren. Auch in Lateinamerika nimmt der Hunger zu, obwohl es dort viele Länder mit mittlerem Einkommen gibt. In El Salvador, Guatemala, Honduras und Nicaragua hat sich die Zahl der Hungernden in den letzten zwei Jahren fast vervierfacht von 2,2 Millionen Menschen im Jahr 2018 auf fast 8 Millionen Menschen im Jahr 2021 – eine Folge von Extremwetterereignissen in den letzten Jahren und der durch COVID-19 verursachten Wirtschaftskrise. Guatemala befindet sich auch in der traurigen Top Ten mit 6 UN-Aufrufen, die Wetterextreme als Hauptursache hatten. Das Land verzeichnete zwischen 2016 und 2021 einen Anstieg des akuten Hungers (IPC3+) um 147 %. Eine schwere Dürre hat zuletzt zum Verlust von fast 80 % der Maisernte beigetragen und Kaffeeplantagen verwüstet. „Wir hatten fast acht Tage lang kaum etwas zu essen“, wird Mariana López, die mit ihren Kindern in Naranjo im Trockenkorridor Guatemalas lebt, von Oxfam zitiert. Die anhaltende Dürre zwang sie, ihr Land zu verkaufen.

Der durch die Klimakrise verursachte Hunger ist auch eine Folge der globalen Ungleichheit, erklärt Oxfam. Die Länder, die am wenigsten für den Klimawandel verantwortlich sind, leiden am meisten unter seinen Auswirkungen und haben zugleich die geringsten Ressourcen, um ihn zu bewältigen. Dem Kurzbericht zufolge belief sich der CO2-Ausstoßes der 10 als Klimakrisenherde eingestuften Länder im Jahr 2020 auf insgesamt 0,002 Billionen Tonnen – das sind gerade einmal 0,13% der weltweiten Emissionen. Die Kohlenstoffemissionen der G20-Länder – die zusammen über 80 % der Weltwirtschaft kontrollieren und für über drei Viertel des globalen CO2-Ausstoßes verantwortlich sind – sind 650 Mal höher als die Emissionen dieser zehn Länder. Die Wohltätigkeitsorganisation prangert an, dass die Staats- und Regierungschefs der reichen Länder weiterhin milliardenschwere Unternehmen unterstützen, die Umwelt und Klima schädigen, weil diese oft ihre Partei und ihren Wahlkampf fördern. „Die täglichen Profite der fossilen Energiekonzerne lagen in den vergangenen 50 Jahren im Durchschnitt bei 2,8 Milliarden Dollar. Die Profite von nicht einmal ganz 18 Tagen könnten die 49 Milliarden Dollar decken, die laut der UN gebraucht werden, um den gesamten Bedarf an humanitärer Hilfe im Jahr 2022 zu decken“, rechnet Oxfam vor. „Wir können die Klimakrise nicht bewältigen, solange wir die grundlegenden Ungleichheiten in unseren Ernährungs- und Energiesystemen nicht bewältigen“, führt Bucher aus. „Die Kosten dafür können leicht gedeckt werden, indem umweltverschmutzende Unternehmen stärker besteuert würden. Ein einziges Prozent des durchschnittlichen Jahresprofits der fossilen Energiekonzerne würde 10 Milliarden Dollar freisetzen. Damit wäre der größte Teil der Finanzierungslücke für den UN-Aufruf zur Ernährungssicherung geschlossen.“ (ab)

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