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27.07.2021 |

Welternährungsgipfel: Hunderte NGOs boykottieren Pre-Summit

FSS4P
Alternativgipfel: Food Systems 4 People

Seit Montag findet in Rom der Vorgipfel zum UN Food Systems Summit (UNFSS) statt – allerdings ohne die Beteiligung vieler zivilgesellschaftlicher Organisationen und mit dem Thema befassten Wissenschaftler*innen. Denn die Organisation des Welternährungsgipfels 2021, der im September in New York abgehalten wird, steht heftig in der Kritik. Die Missachtung der Rechte und Perspektiven der von Hunger und Armut Betroffenen, mangelnde Transparenz und der übermäßige Einfluss der Agrarindustrie auf die Agenda des Gipfels sind nur einige der Gründe, weshalb im Vorfeld zahlreiche Nichtregierungsorganisationen weltweit, Wissenschaftler*innen und der aktuelle und ehemalige UN-Sonderberichterstatter für das Menschenrecht auf Nahrung Bedenken äußerten. Nun haben mehr als 300 NGOs aus allen Teilen der Welt ihren Boykott des vom 26. bis 28. Juli stattfindenden Pre-Summits erklärt, da der Gipfel zu stark von Unternehmen beeinflusst werde und es an Transparenz und Rechenschaftsmechanismen mangle. Sie halten stattdessen seit Sonntag online einen Gegengipfel ab, die “People’s Counter-Mobilization to Transform Corporate Food Systems”. Auch die deutsche Beteiligung in Rom fällt dürftig aus: MISEREOR, Brot für die Welt, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), FIAN und INKOTA kündigten in einer gemeinsamen Pressemitteilung an, dem Vorgipfel fernzubleiben.

Auf dem UN-Vorgipfel kommen Staats- und Regierungschefs sowie Delegierte aus mehr als 100 Ländern zusammen, um das eigentliche Hauptevent im September vorzubereiten, auf dem über die Zukunft der Ernährungssysteme und der Landwirtschaft diskutiert wird. Die Vereinten Nationen wollen dort Fortschritte bei den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) machen, indem bei den Ernährungssystemen angesetzt wird, die eng mit globalen Herausforderungen wie Hunger, Klimawandel, Armut und Ungleichheit verknüpft sind. Auf der Webseite brüstet sich die UN damit, dass der Vorgipfel auch Jugendliche, Landwirte, indigene Völker und die Zivilgesellschaft einbeziehe, doch das sehen viele dieser Gruppen anders. „Mit seiner Vielzahl an Diskussionsforen erweckt der Gipfel den Eindruck großer Inklusivität. Doch dieser Eindruck täuscht“, kritisiert Paula Gioia von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). „Das Machtgefälle zwischen Agrarkonzernen und kleinen- und mittelständischen Lebensmittelerzeuger*innen wird nicht berücksichtigt.“ Sie befürchtet, dass die Stimmen der Bäuerinnen und Bauern, die im Zentrum der Ernährungssysteme stehen und stehen müssen, überhört zu werden drohen.

Der diesjährige Welternährungsgipfel wurde initiiert durch eine Partnerschaft zwischen der UN und dem Weltwirtschaftsforum, dem die 1000 führenden Unternehmen der Welt angehören. Allein das sollte aufhorchen lassen. „Im März 2020 schrieben 550 Organisationen (...) an UN-Generalsekretär António Guterres, um ihn zu warnen, dass der Gipfel nicht an das Erbe vergangener Welternährungsgipfel anknüpft, die einst von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) einberufen wurden“, erinnern Elizabeth Mpofu und Edgardo Garcia vom Internationalen Koordinationskomitee der Kleinbauernsorganisation „La Via Campesina“ in einem Artikel für Al Jazeera. „Die FAO erhielt von ihren Mitgliedsstaaten das Mandat, diese Veranstaltungen zu organisieren, und sie sorgte für die aktive Teilnahme der Zivilgesellschaft durch parallele, selbstorganisierte Foren.“ Doch für den UNFSS 2021 gab es kein solches Mandat. Die deutschen NGOs und Hilfswerke kritisieren, dass der Gipfel ohne die Einbeziehung des für Welternährungsfragen zuständigen UN-Komitee (CFS) angestoßen wurde. „Schlüsselpositionen wurden mit Führungskräften der umstrittenen ‚Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika‘ besetzt, die eng mit der Agrarindustrie zusammenarbeitet. Wiederholte Versuche der zivilgesellschaftlichen Organisationen im CFS, Struktur, Prozess und Ergebnisse des UN-Ernährungsgipfels demokratischer und auf Basis einer Verwirklichung des Rechts auf Nahrung zu gestalten, blieben ohne Erfolg“, kritisieren sie in ihrer Pressemitteilung. „Wir sehen in diesem Vorgehen mangelnde Transparenz, die zu Lasten der einfachen Produzent*innen und Konsument*innen gehen könnte“, betont Lutz Depenbusch, Referent für Landwirtschaft und Ernährung bei MISEREOR. Der ganze Ansatz des Gipfels berge zudem die Gefahr, dass gegensätzliche Ernährungssysteme gleichberechtigt nebeneinandergestellt würden. „Im CFS gefasste Beschlüsse für eine Priorisierung agrarökologischer Landwirtschaftsmodelle würden dadurch wieder in Frage gestellt und eine nachhaltige Transformation der Ernährungssysteme um Jahre zurückgeworfen“, so Depenbusch.

Auch Elizabeth Mpofu und Edgardo Garcia sind besorgt: „Der UNFSS ermöglicht eine größere Unternehmenskonzentration, fördert nicht nachhaltige globalisierte Wertschöpfungsketten und den Einfluss der Agrarindustrie auf öffentliche Institutionen.“ Sie kritisieren, dass die Leitung des Gipfels fest in den Händen von ‚Experten‘ liege, die als entschiedene Verfechter der industriellen Landwirtschaft bekannt sind, und dass einige Staaten, in denen viele dieser große multinationale Konzerne angesiedelt sind, die Agenda bestimmen. Zwar sei es den Organisatoren des Gipfels gelungen, die Teilnahme eines kleinen Teils der globalen Zivilgesellschaft sicherzustellen und dies als Beweis für den inklusiven Charakter des Gipfels anzupreisen, doch der Gipfel sei weit davon entfernt, partizipativ zu sein. „Wenn es darum geht, die Zukunft unseres Ernährungssystems zu definieren, raten Sie mal, wer von der UN eingeladen wird, um den Plan, die Prinzipien und den Inhalt des globalen Gipfels zu konzipieren und zu konstruieren. Es sind die großen Agrarkonzerne!”, schreiben Mpofu und Garcia. Dies stößt auch den deutschen Organisationen bitter auf: „Der aktuelle Prozess stellt die Interessen der Agrar- und Ernährungsindustrie über menschenrechtliche Verpflichtungen. Das ist fatal, weil das Menschrecht auf Nahrung damit entwertet wird“, sagt Astrud Lea Beringer von der Menschenrechtsorganisation FIAN. „Dies hat mehr als 500 Nichtregierungsorganisationen aus der ganzen Welt dazu bewogen, dem UN Gipfel fernzubleiben und einen internationalen Gegengipfel zu organisieren.“ (ab)

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