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13.10.2020 |

Positionspapier: NGOs fordern Kehrtwende bei der Hungerbekämpfung

Positionspapier
Cover des Positionspapiers

Eine radikale Kehrtwende bei der Hungerbekämpfung ist unerlässlich und die Bundesregierung muss ihren Einfluss nutzen, um auf eine gerechte, agrarökologische und demokratische Ausrichtung der globalen Ernährungssysteme hinzuwirken. Das fordert ein Bündnis von 46 deutschen Nichtregierungsorganisationen im Vorfeld des Welternährungstages, der am 16. Oktober begangen wird. In einem von MISEREOR, FIAN, INKOTA, Oxfam und Brot für die Welt herausgegebenen Positionspapier stellen sie 11 notwendige Schritte vor und liefern 60 Empfehlungen, wie sich die Bundesregierung in den jeweiligen Bereichen für eine Welt ohne Hunger einsetzen kann. Mit den UN-Nachhaltigkeitszielen (SDGs) hatten sich die UN-Mitglieder und damit auch Deutschland dazu bekannt, bis 2030 den Hunger auf der Welt zu beseitigen. Doch seit fünf Jahren steigt die Zahlen der hungernden Menschen wieder stetig an. 2019 litten rund 690 Millionen Menschen chronisch an Hunger, 10 Millionen mehr als im Vorjahr. Die Vereinten Nationen schätzen, dass ohne eine radikale Kehrtwende bei der Hungerbekämpfung im Jahr 2030 schon 840 Millionen Menschen hungern werden. Daher fordern die Organisationen aus den Bereichen Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung und Entwicklungszusammenarbeit, darunter auch die Zukunftsstiftung Landwirtschaft, dass die Strategien gegen Hunger neu ausgerichtet und die politischen Voraussetzungen geschaffen werden, um die globalen Ernährungssysteme umzugestalten.

„Mit Menschenrechten gegen den Hunger, statt Vereinnahmung durch Konzerne“, lautet die erste der 11 Forderungen oder Schritte. „Wer den Hunger bekämpfen will, muss die Rechte der Menschen stärken, die von Hunger betroffen sind“, erklärt Sarah Schneider, Welternährungexpertin bei MISEREOR, sprich: z.B. die Rechte von kleinbäuerlichen Erzeuger*innen, Indigenen, Fischer*innen, Arbeiter*innen und Frauen achten, fördern und schützen. Die Bundesregierung und die UN müssten daher den Grundsatz „Nichts über uns ohne uns“ in allen Bereichen und Programmen zentral verankern. Das gelte auch für den 2021 stattfindenden UN-Welternährungsgipfel (Food Systems Summit), wo die Weichen für die Ernährungspolitik neu gestellt werden sollen, aber die am meisten von Hunger und Armut Betroffenen bisher nicht in die Planungen mit einbezogen werden. Das unterstreicht auch Stig Tanzmann, Landwirtschafts-Experte von Brot für die Welt: „Kleinbäuerliche Betriebe erzeugen einen Großteil der Lebensmittel und sind zugleich überproportional von Hunger betroffen. Deshalb brauchen sie Zugang zu politischen Entscheidungsprozessen, damit ihr Zugang zu Land, Wasser, Saatgut und Wissen endlich gesichert wird. Sie müssen über ihre Zukunft mitbestimmen können“, so Tanzmann. Die Corona-Pandemie habe gezeigt, wie problematisch es ist, wenn Kleinbauern, Landarbeiterinnen, Indigene und Frauen bei Entscheidungen übergangen werden.

Zudem fordern die Organisationen die Regierung auf, Agrarökologie statt das Agrobusiness zu fördern. Sie solle den Aufbau von ökologischen, gerechten und widerstandsfähigen Ernährungssystemen auf lokaler und regionaler Ebene unterstützen, die die Interessen von kleinbäuerlichen Erzeuger*innen und Arbeiter*innen vor die Profitinteressen der Agrar- und Lebensmittelindustrie stellen. Das BMZ sollte deshalb systematisch agrarökologische Ansätze fördern und den Aufbau agrarökologischer Netzwerke und Basisorganisationen im globalen Süden, besonders von Frauen, finanziell unterstützen. Des Weiteren müsse der Einsatz von chemisch-synthetischen Düngemitteln und Pestiziden stufenweise bis 2030 beendet werden. In der Entwicklungszusammenarbeit dürfe keine (alte und neue) Gentechnik zum Einsatz kommen und finanziert werden, so eine weitere Empfehlung. Es wird auch an die Bundesregierung appelliert, sich national und international für Agrarökologie als zentrales Förderkonzept bei Klimaschutz und Klimaanpassung im Agrar- und Ernährungsbereich einzusetzen. „Bei agrarökologischen Ansätzen wird vielfältiges Saatgut eingesetzt, die Bodenfruchtbarkeit verbessert und Humus im Boden aufgebaut. Dies bringt viele Vorteile: stabilere Ernten, weniger Krankheits- und Schädlingsdruck sowie eine verbesserte Wasserregulierung und mehr gespeicherter Kohlenstoff im Boden“, so das Papier.

Das Bündnis sieht die Gründe für die fehlenden Fortschritte bei der Hungerbekämpfung maßgeblich darin, dass sich die Politik an den Interessen großer Konzerne ausrichtet. Weitere Forderungen lauten daher: „Menschenwürdige Arbeitsbedingungen statt Hungerlöhne und Ausbeutung“, „Gerechter Agrarhandel statt neo-liberale Agrarhandelspolitik“ oder „Vorrang der Menschenrechte vor Profitgier, Nahrungsmittelspekulation und Schuldendienst“. Weltweit leiden viele Landarbeiter*innen unter katastrophalen Arbeits- und Lebensbedingungen, sind hochgefährlichen Pestiziden ausgesetzt und sie gehören zu den ärmsten Menschen im ländlichen Raum und viele von ihnen hungern – obwohl sie dort leben, wo Lebensmittel produziert werden oder diese gar selbst für internationale Märkte produzieren, ist in dem Papier nachzulesen. „Kleinbäuerliche Erzeuger und Landarbeiterinnen hungern, weil sie in globalen Lieferketten ausgebeutet werden, weil ihre Lebensgrundlagen zerstört werden und der Klimawandel sie besonders stark trifft“, kritisiert Philipp Mimkes, Geschäftsführer von FIAN. Trotz harter Arbeit erzielen sie keine existenzsichernden Einkommen und Löhne. Die NGOs betonen, dass Landwirtschaft und Ernährung nicht den konzerndominierten Märkten überlassen werden darf. „Die enorme Macht von großen Konzernen ist nicht alternativlos. Die Bundesregierung hat es in der Hand, die Macht der Konzerne zurückzudrängen“, erklärt Marita Wiggerthale, Agrarexpertin bei Oxfam. Sie könnte etwa Patente auf Leben verbieten und eine rechtliche Grundlage schaffen, um übermächtige Konzerne zu entflechten.“ (ab)

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