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30.06.2020 |

EPA-Moratorium beendet: Drohen weitere Patente auf Pflanzen und Tiere?

Salat
Keine Patente auf Salat (Foto: CC0)

Die Hoffnung auf ein eindeutig auslegbares Verbot von Patenten auf Pflanzen und Tiere aus konventioneller Züchtung in Europa hat einen Dämpfer erhalten. Im rechtlichen Theater am Europäischen Patentamt (EPA) in München, das mit der Vergabe dieser Patente regelmäßig für Empörung sorgte, folgt der nächste Akt: Präsident António Campinos hob Anfang Juni ein Moratorium zur Prüfung von Patenten auf Pflanzen und Tiere aus konventioneller Züchtung auf. Dieses war 2019 wegen eines Rechtstreits über die Patentierbarkeit von Pflanzen und Tieren, die nicht mithilfe von Gentechnik gezüchtet wurden, sondern mit herkömmlichen Verfahren – im Fachjargon „im Wesentlichen biologische Verfahren“ genannt – am EPA verhängt worden. Noch Mitte Mai urteilte die Große Beschwerdekammer, die höchste rechtliche Instanz des Patentamtes, in ihrer Stellungnahme „G3/19“, dass Pflanzen und Tiere aus „im Wesentlichen biologischen Züchtungsverfahren unter dem Europäischen Patentübereinkommen nicht patentierbar sind“. Nun heißt es in einer Mitteilung vom 3. Juni: „Der Präsident des EPA hat beschlossen, die Aussetzung von Verfahren mit Wirkung vom 15. Mai 2020 aufzuheben. Die betreffenden Verfahren werden schrittweise wieder aufgenommen.“ Nichtregierungsorganisationen fürchten nun eine neue Welle von Patenten auf Pflanzen und Tiere.

Deswegen appellieren jetzt rund 40 Organisationen an Bundesjustizministerin Christine Lambrecht, dem Hin und Her einen Riegel vorzuschieben. In einem Brief fordert das Bündnis „Keine Patente auf Saatgut!“ die Bundesregierung auf, ihren Platz im Verwaltungsrat des EPA zu nutzen und auf eine klare und korrekte Auslegung der Patentgesetze zu drängen. Zu den Unterzeichnern dieses Briefes gehören zahlreiche deutsche Organisationen von A wie Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) bis Z wie Zukunftsstiftung Landwirtschaft (ZSL). „Wir vertrauen darauf, dass Ministerin Lambrecht tatsächlich aktiv wird, bevor weitere strittige Patente erteilt werden. Dies entspricht nicht nur dem Inhalt des Koalitionsvertrages, sondern betrifft eine grundlegende Frage von Gerechtigkeit und Ethik“, kommentiert Georg Janßen, Bundesgeschäftsführer der AbL. „Das Patentrecht wird sonst dazu missbraucht, um sich Kontrolle über die Landwirtschaft und die Grundlagen unserer Ernährung zu verschaffen.“ Die Organisationen kritisieren, die Bundesregierung habe das Urteil der Großen Beschwerdekammer zwar begrüßt, aber keinerlei weitergehende Initiativen angekündigt.

Das Bündnis moniert, dass die Entscheidung des Präsidenten getroffen wurde, bevor alle entscheidenden Fragen geklärt wurden. Aktuell herrsche Unklarheit darüber, wie herkömmliche Zuchtverfahren definiert sind und es wurden weiterhin Patente auf Pflanzen erteilt, die nicht aus gentechnischen Verfahren, sondern aus zufälligen Prozessen hervorgegangen sind. Beispiele sind erteilte Patente auf Gerste und Bier der Firma Carlsberg, die auf zufälligen Mutationen beruhen, oder Patente auf konventionell gezüchteten Salat, Melonen, Zwiebeln und Tomaten. Patent EP2966992 erstreckt sich auf einen Salat, der auch bei höheren Temperaturen angebaut werden kann. Diese Eigenschaft beruht auf einer zufälligen Mutation im Erbgut und erleichtert die Anpassung an den Klimawandel. Die niederländische Saatgutfirma Rijk Zwaan Zaadteelt will sich diese Ansprüche sichern. „Wenn eine Firma exklusiv jene Eigenschaft in Händen hat, die den Anbau von Salat bei höheren Temperaturen ermöglicht, wird diese Firma in Zukunft bestimmen, welchen Salat wir anbauen und essen können und zu welchem Preis“, warnt Katherine Dolan, Expertin für Saatgutpolitik bei ARCHE NOAH. „Die EuropäerInnen wollen nicht, dass wichtige Kulturpflanzen patentierbar werden und dass die Vielfalt eingeschränkt wird“, so Dolan. „Die Botschaft ist beim EPA nicht angekommen. Also muss die Politik die Regeln des Patentsystems in die Hände nehmen.“

Die Unterzeichner des Briefes an Lambrecht warnen, dass wegen der fehlenden Rechtsklarheit das EPA den Spielraum habe, Patente auf natürliche Prozesse bzw. Zufallsmutationen zu erteilen. „Neben der Frage, wie ‚im Wesentlichen biologische Verfahren‘ definiert sind, betrifft das auch die Frage, wie der Patentschutz für gentechnische Verfahren so begrenzt werden kann, dass er sich nicht auch auf alle anderen Pflanzen und Tiere mit entsprechenden züchterischen Merkmalen erstreckt. Auch muss sichergestellt werden, dass jegliches Zuchtmaterial und jegliche herkömmliche Zuchtmethode, wie bestimmte Auswahlverfahren, tatsächlich von der Patentierung ausgenommen sind“, heißt es in dem Schreiben. Die Autoren fordern zudem eine Überprüfung, ob das Urteil G3/19 vom Mai konform mit dem Patentrecht ist. Denn vor Juli 2017 widerrechtlich erteilte Patente hätten weiterhin Bestand und angemeldete Patente auf herkömmlich gezüchtete Pflanzen und Tiere, deren Prüfergebnis aussteht, könnten noch erteilt werden. „Nach unserer Recherche könnten davon über 300 Patentanträge betroffen sein. Bisher galt dagegen die Regel, dass Patentanträge und Einspruchsverfahren nach der aktuellen Rechtsauslegung entschieden werden“, schreiben die Organisationen. (ab)

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