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17.01.2020 |

Deutsche Agrarkonzerne: Mangelnder Menschenrechtsschutz in Lieferketten

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Soja aus Südamerika ist oft menschenrechtlich bedenklich (Foto: CC0)

Die größten deutschen Agrarkonzerne ergreifen keine ausreichenden Maßnahmen gegen die Verletzung von Menschenrechten in ihren Lieferketten. Das zeigt eine Studie der Organisationen Germanwatch und Misereor, die am Mittwoch veröffentlicht wurde. Darin wurden die größten Unternehmen aus der Geflügelfleisch-, Milch-, Futtermittel- und Agrarchemiebranche in Deutschland unter die Lupe genommen. Das Ergebnis ist ernüchternd: „Kein einziges der insgesamt 15 Unternehmen erfüllt ausreichend die Anforderungen der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“, sagt Cornelia Heydenreich von Germanwatch, Autorin der Studie. „Die Achtung der Menschenrechte ist bei den Geschäften dieser Unternehmen oft nicht sichergestellt.“ Dabei kommt es gerade in der Ernährungsindustrie und Landwirtschaft rund um den Globus häufig zu Menschenrechtsverletzungen, von denen Produzenten, Konsumenten oder Menschen vor Ort entlang der Wertschöpfungskette betroffen sein können. Dazu gehören die Verwehrung des Zugangs zu Land und Wasser, Gesundheitsschäden durch den Einsatz von Pestiziden, ausbeuterische Arbeitsbedingungen auf Plantagen oder die Marktverdrängung von Kleinbetrieben durch Dumpingexporte. Obwohl es viele Belege für Menschenrechtsverletzungen unter Beteiligung deutscher Unternehmen im Ausland gibt, konnten Betroffene bisher noch nie eine Entschädigungsklage vor deutschen Gerichten einreichen, kritisiert die Studie.

Für die Erhebung versandten die Organisationen Fragebögen an die größten in Deutschland operierenden Geflügelproduzenten (PHW-Gruppe, Rothkötter, Sprehe Gruppe, Heidemark und Plukon) und Molkereien (Müller-Milch, Deutsches Milchkontor, Arla Foods, Friesland Campina und Hochwald), die Futtermittelunternehmen Agrarvis Raiffeisen, BayWa und Cargill sowie die Chemiekonzerne BASF und Bayer. Zudem wurden menschenrechtliche Grundsatzerklärungen, unternehmensinterne Verhaltenskodizes, Kodizes für Lieferanten, Geschäfts- und Nachhaltigkeitsberichte und die Unternehmenswebseiten ausgewertet. Acht der befragten Unternehmen antworteten. Die Studie gelangt zu dem Fazit, dass die Agrarkonzerne ihre menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten bisher nur ungenügend umsetzen. Nur sieben Unternehmen verfügen über eine Grundsatzerklärung zu Menschenrechten, die den Mindestanforderungen der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte entspricht. Arla habe als einziges Unternehmen bislang eine systematische menschenrechtliche Folgenabschätzunge durchgeführt. Gegenmaßnahmen zur Vermeidung oder Beendigung von Menschenrechtsverletzungen oder Reaktionen gab es meist nur, wenn bereits öffentlich über Missstände berichtet wurde. „Die Studie zeigt, wie wichtig ein Lieferkettengesetz ist, das deutsche Unternehmen verbindlich zur menschenrechtlichen Sorgfalt verpflichtet“, betont Mitautor Armin Paasch von MISEREOR.

Der Studie zufolge gibt es vor allem im Geflügelfleischsektor hohe menschenrechtliche Risiken. Der Sojaanbau für Futtermittel führe vielfach zu Landvertreibungen und zum Einsatz giftiger Pestizide in Südamerika. Auch die Arbeitsbedingungen in deutschen Schlachtbetrieben seien zum Teil menschenverachtend. Exporte von Geflügelteilen aus der EU bedrohten in Westafrika das wirtschaftliche Überleben einheimischer Produzenten und gefährdeten ihre Lebensgrundlage. „Angesichts der bisher beobachteten Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Geflügelfleisch ist es erschreckend, dass sich diese Branche laut unserer Untersuchung am wenigsten mit den menschenrechtlichen Risiken beschäftigt“, moniert Heydenreich. Rothkötter, Sprehe und Heidemark hätten sich noch gar nicht öffentlich verpflichtet, die Menschenrechte zu achten. Auch die beiden anderen Geflügelunternehmen sehen allenfalls bedingt ihre Lieferanten in der Pflicht. Doch auch bei den anderen Branchen sehen die Organisationen große Defizite.

Der Bundesregierung stellt die Studie kein besseres Zeugnis aus, sondern wirft ihr vor, es versäumt zu haben, in der Handelspolitik Menschenrechtsstandards wirkungsvoll zu verankern. Paasch verweist darauf, dass Handelsabkommen der EU in Ländern des globalen Südens mitunter den Zugang von Kleinproduzenten zu Märkten, Saatgut und Land gefährden. „Die Bundesregierung hatte zugesagt, sich in der EU für wirkungsvollere Nachhaltigkeitsfolgenabschätzungen und verbindliche Menschenrechtsstandards in Handelsabkommen einzusetzen, ist bislang aber untätig geblieben.“ Die Organisationen warnen insbesondere aufgrund der massiven Menschenrechtsverletzungen und Regenwaldabholzung in Brasilien vor der Ratifizierung des EU-Handelsabkommens mit den Mercosur-Staaten. Zudem fordern sie die Bundesregierung auf, zügig ein Lieferkettengesetz auszuarbeiten und zu beschließen, wie es Arbeitsminister Heil und Entwicklungsminister Müller angekündigt hatten, nachdem ein Monitoring im Auftrag der Bundesregierung ergeben hatte, dass nur ein Fünftel der deutschen Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern ihren menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten nachkommen. Auch der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann, sieht Handlungsbedarf. „Wir haben den Unternehmen die Möglichkeit gegeben, sich selbst auf die Einhaltung von Standards in ihren Lieferketten zu verpflichten, doch die Evaluierung hat gezeigt, dass da zu wenig passiert ist“, sagte er dem Handelsblatt. „Deshalb brauchen wir auch hier verbindliche Spielregeln.“ (ab)

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