Lebensmittel oder Krankmacher?

Hunger ist zunächst der absolute Mangel an Kalorien. Damit Ernährung gesund ist, muss sie jedoch nicht nur genug Energie enthalten, sondern auch eine ausgewogene Mischung an Eiweiß, Kohlehydraten und Fett sowie eine Vielzahl lebenswichtiger Mikronährstoffe wie Eisen, Zink, Jod, Mineralstoffe und Vitamine.„Gut 85% der Menschheit sind zwar ausreichend mit Proteinen und Energie versorgt, aber nur zwei Drittel mit genügend Vitaminen und essentiellen Mineralstoffen. Die Versorgung der armen Bevölkerung mit vielen dieser Nährstoffe hat sich verschlechtert. Dies ist die Folge verminderter Ernährungsvielfalt durch verstärkte Monokulturen von Grundnahrungsmitteln (Reis, Weizen und Mais) und des Verlustes einer Reihe nährstoffreicher Pflanzen in lokalen Ernährungssystemen.“ (Synthese, S. 54) Weltweit leiden rund zwei Milliarden Menschen unter einem Mangel an einem, häufiger sogar mehreren Mikronährstoffen – mit teilweise fatalen Folgen. Kurzfristige Notmaßnahmen wie die Verteilung von Vitamin A an Schwangere und Kleinkinder können in akuten Fällen Leben retten und Symptome lindern. Auch der Zusatz von Mikronährstoffen in Lebensmitteln kann helfen. Der Schlüssel zu einer ausgewogenen und gesunden Ernährung ist jedoch der Anbau und Genuss einer Vielfalt von Pflanzen und anderen Produkten mit ihren unterschiedlichen Inhaltsstoffen sowie eine Nahrungsmittelverarbeitung, die deren Qualität erhält. Dies gilt für die Selbstversorgung in ländlichen Regionen ebenso wie für hoch verarbeitete Lebensmittel im Supermarkt.

Fehlernährung und krankhafte Überernährung

Weltweit waren 2016 gut 1,9 Milliarden Erwachsene übergewichtig, davon 650 Millionen krankhaft fettleibig (adipös). Diese „globale Epidemie” - so die WHO - breitete sich rasant aus, zunehmend auch in armen Ländern. Zu energiereiche Ernährung bei mangelnder Bewegung ist die Ursache. Der weltweite Anteil der fettleibigen Erwachsenen hat sich zwischen 1975 und 2016 verdreifacht. Übergewicht gilt mittlerweile als wichtigste Ursache für Diabetes, Bluthochdruck, Schlaganfälle und bestimmte Krebsarten.„Die Konzentration auf Produktionssteigerung und Ernährungssicherheit statt Ernährungsqualität hat zum Anstieg der weltweiten Fettleibigkeit und der doppelten Belastung von Unter- und Überernährung in Entwicklungsländern beigetragen.“ (Global, S. 196)

Unter-, Über- und Fehlernährung zusammen sind für die meisten nicht ansteckenden Krankheiten und gesundheitlichen Beeinträchtigungen verantwortlich. Sie treffen in unterschiedlichem Maße heute gut die Hälfte der Weltbevölkerung und haben eine wesent- liche gemeinsame Ursache: Die Entkoppelung, Trennung und Entfremdung von Lebensmittel- erzeugung und ‑verbrauch.„Die öffentliche Finanzpolitik sollte die Gesundheit der Bevölkerung berücksichtigen. Agrarsubventionen, Umsatz- und Mehrwertsteuer sowie Anreize und Regulierungen für die Lebensmittelvermarktung könnten mit dem Ziel umgestaltet werden, die Ernährung und Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern – etwa indem Erzeugung und Verzehr gesünderer Lebensmittel wie Obst und Gemüse gefördert werden.“ (Synthese, S. 56)
Der Weltagrarbericht fordert, diese Zusammenhänge auf allen Ebenen wiederherzustellen. Die feinen Küchen dieser Welt können uns hierbei den Weg weisen: Viele pflanzliche und wenige, aber dafür gute tierische Produkte sowie eine maximale Vielfalt sind das Geheimnis toskanischer, chinesischer, indischer, französischer wie orientalischer Spitzenköche, die sich alle auf die reiche Tradition der einfachen Küche ihrer Region berufen. Auch die Politik könnte handeln, wie der Weltagrarbericht betont. >>mehr

Fakten & Zahlen

Nach den neusten Angaben der Weltgesundheitsorganisation litten 2022 etwa 2,5 Milliarden Menschen über 18 Jahre an Übergewicht. Von ihnen waren 890 Millionen Menschen krankhaft fettleibig. Rund 16% der Weltbevölkerung gelten nun als fettleibig und dieser Anteil hat sich seit 1990 mehr als verdoppelt. Etwa 37 Millionen Kinder unter fünf Jahren waren 2022 übergewichtig.

Der Anteil der übergewichtigen Menschen an der Bevölkerung hat sich in den letzten 40 Jahren fast verdoppelt: 1975 hatten 21,5% der Erwachsenen Übergewicht, 2016 waren es bereits 39%. Der Anteil der fettleibigen Menschen hat sich sogar verdreifacht, von 4,7% auf 13,1% aller Erwachsenen weltweit.

Auch 10 Milliarden Menschen können gesund und nachhaltig innerhalb der planetaren Grenzen ernährt werden. Doch wir müssen unsere Ernährung ändern. Die EAT-Lancet Commission schlägt die „planetare Gesundheitsdiät“ vor. Dafür muss sich der globale Konsum von Lebensmitteln wie rotem Fleisch und Zucker halbieren, während doppelt so viel Nüsse, Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte verzehrt werden sollen. 2.500 kcal täglich sind vorgesehen, von denen 35% auf Vollkornprodukte und Knollen entfallen und die meisten Eiweiße pflanzlich sind. Der Ernährungsplan beinhaltet 500 Gramm Obst und Gemüse und 250g Milchprodukte, aber nur 14g rotes Fleisch und 13g Eier.

Unser Ernährungssystem macht krank. Die Zahl der Übergewichtigen übertrifft mittlerweile die der Unterernährten bei weitem. Der UN-Sonderberichterstatter schlägt vor, ungesunde Produkte zu besteuern; salz-, zucker- und fettreiche Lebensmittel zu regulieren; Werbung für Junkfood einzuschränken; Agrarsubventionen abzuschaffen, die ungesunde Zutaten billiger machen und die lokale Nahrungsmittelproduktion zu unterstützen, damit alle Zugang zu gesunder Nahrung haben.

In Deutschland sind sind 67% der Männer und 53% der Frauen übergewichtig. Jeder vierte Bürger (23% der Männer, 24% der Frauen) ist sogar adipös und hat einen Body-Mass-Index über 30. In der Altersgruppe der 70- bis 79-Jährigen sind 82,5% der Männer und 80,3% der Frauen übergewichtig.

2 Milliarden Menschen weltweit weisen ein Defizit an einem oder mehreren Mikronährstoffen auf. 31% der Kinder unter fünf Jahren leiden an Vitamin-A-Mangel, in Ostafrika sind es sogar 46%. In Südasien mangelt es 66% der Kinder an Eisen.

Jährlich erblinden 250.000 bis 500.000 Kinder an den Folgen von Vitamin-A-Mangel. Die Hälfte von ihnen stirbt innerhalb eines Jahres nach dem Verlust des Augenlichts.

2018 wurden in Deutschland 722 Tonnen Antibiotika an Tierärzte abgegeben und kamen in der Tierhaltung zum Einsatz. 2011 waren es mit 1.706 Tonnen noch mehr als doppelt so viel. Mit 300 Tonnen entfiel über 40% der Gesamtabgabemenge allein auf das Postleitzahlgebiet 49 um Diepholz, Osnabrück und Vechta, wo Massentierhaltung weit verbreitet ist. Die Abgabe von Fluorchinolonen in der Tiermast, die als wichtige Reserveantibiotika für den Menschen gelten, stiegen seit 2011 an auf einen Spitzenwert von 12,3 Tonnen in 2014 an. 2018 wurden noch 7,7 Tonnen eingesetzt.

Eine Studie des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW hat ergeben, dass 9 von 10 Masthühnern (92,5%) während ihrer Mastdauer mit Antibiotika behandelt wurden. Die Studie bezog 832 Mastdurchgänge aus 184 Betrieben ein, die 2011 in NRW untersucht wurden.

Nach Angaben der WHO traten im Jahr 2018 rund 484.000 neue Fälle von multiresistenter Tuberkulose (MDR-TB) auf, bei der Patienten gegen die üblichen Medikamente resistent sind. Fast die Hälfte der Betroffenen leben in drei Ländern: Indien (27%), China (14%) und Russland (9%).

Der weltweite Einsatz von Pestiziden ist zwischen 2000 und 2021 um 60% auf 3,5 Millionen Tonnen gestiegen. Der größte Anstieg wurde von 2000 bis 2016 verzeichnet und nach einem kleinen Rückgang 2018 nahm der Verbrauch wieder zu. Der größte Zuwachs wurde in Nord-und Südamerika verzeichnet. Der Anteil der Region am globalen Pestizideinsatz stieg von 41% auf 50% an. An 2. Stelle steht Asien (28% in 2021), gefolgt von Europa (14%), Afrika (6%) und Ozeanien.

Laut Pestizidatlas ist die Menge der rund um den Globus eingesetzten Pestizide seit 1990 um 80% gestiegen. Die jährlich ausgebrachte Pestizidmenge liegen bei circa 4 Millionen Tonnen weltweit. Fast die Hälfte davon sind Herbizide, die gegen Unkräuter verwendet werden; knapp 30% sind Insektizide und etwa 17% sind Fungizide gegen Pilzbefall. Marktanalysen bezifferten den Wert des globalen Pestizid-Marktes im Jahr 2019 auf fast 84,5 Milliarden US-Dollar.

Pestizide haben laut einem UN-Bericht katastrophale Auswirkungen auf die Umwelt, die menschliche Gesundheit und die gesamte Gesellschaft und verursachen jedes Jahr 200.000 tödlich endende akute Pestizidvergiftungen. Die UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Nahrung bezeichnet es als Mythos, dass Pestizide zur Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung notwendig seien.

Im Jahr 2021 waren in Deutschland 950 Pflanzenschutzmittel mit insgesamt 281 Wirkstoffen zugelassen. Insgesamt wurden im Inland 106.189 Tonnen Pflanzenschutzmittel abgegeben. Die abgegebene Wirkstoffmenge belief sich auf 48.683 Tonnen Wirkstoffe (bzw. auf 28.945 Tonnen Wirkstoffe ohne inerte Gase zum Vorratsschutz). Auf Herbizide entfielen 16.114 Tonnen, auf Fungizide 9.699 und Insektizide 20.514 Tonnen Wirkstoff. 2018 war die im Inland abgegebene Wirkstoffmenge mit 44.988 Tonnen und 2019 mit 45.237 Tonnen Wirkstoff deutlich niedriger. 

Von den 335.000 tödlichen Unfällen am Arbeitsplatz ereignen sich mindestens 170.000 Unfälle pro Jahr in der Landwirtschaft. Maschinen, wie Traktoren und Erntemaschinen, sind für die meisten Verletzungen verantwortlich. Hinzu kommen 70.000 Pestizidvergiftungen mit tödlichem Ausgang und 7 Millionen Fälle mit akuten und langfristigen Gesundheitsschäden durch Pestizide.

Weltweit müssen immer noch 152 Millionen Kinder arbeiten. 71% der Kinderarbeit findet in der Landwirtschaft statt. Circa 108 Millionen Kinder zwischen fünf und 17 Jahren arbeiteten 2016 in diesem Sektor. Die Dunkelziffer bei der Kinderarbeit in der Landwirtschaft ist besonders hoch.

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