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16.08.2017 |

Vielfalt statt angereicherte Kekse im Kampf gegen die Mangelernährung

Indien
Statt angereicherte Kekse hilft ausgewogene Nahrung gegen Mangelernährung (Foto: CC0)

Allianzen von Regierungen und Konzernen zur Anreicherung von Nahrungsmitteln mit Nährstoffen tragen nicht zur nachhaltigen Bekämpfung von Mangelernährung bei. Stattdessen verdrängen sie traditionelle Esskulturen und nährstoffreiche Lebensmittel, schaffen Abhängigkeit und dienen vornehmlich der Profitmaximierung der Konzerne. Darauf macht eine neue Studie aufmerksam, die von der Menschenrechtsorganisation FIAN Österreich Anfang August veröffentlicht wurde. Das Dossier nimmt mehrere Allianzen von Regierungen und Konzernen unter die Lupe, die die Anreicherung von Grundnahrungsmitteln mit künstlichen Vitaminen und Mineralstoffen, auch mithilfe von Gentechnik, im Globalen Süden propagieren. Dazu gehören die Initiative Scaling Up Nutrition (SUN), eine breit aufgestellte Kooperation von Regierungen, Unternehmen, Nichtregierungs- und UN-Organisationen, oder die Global Alliance for Improved Nutrition (GAIN), eine von der UN ins Leben gerufene Stiftung. Unterstützt werden die Allianzen von UN-Institutionen und weiteren mächtigen Akteuren wie Weltbank, G8 und Privatstiftungen, allen voran die Bill & Melinda Gates Stiftung.

Die Studie dokumentiert, wie Regierungen weltweit Partnerschaften mit Konzernen der Agrar- und Ernährungsindustrie eingehen, die in der Produktion, Vermarktung und Anreicherung von Lebensmitteln oder künstlichen Nährstoffen aktiv sind. Länder des globalen Südens werden mit Investitionszusagen gelockt, wenn sie im Gegenzug ihre Ernährungs- und Gesundheitspolitik nach den Konzerninteressen ausrichten. „Konkret heißt das: Gesetzlich verankerte Anreicherungspflicht, gentechnikfreundliche Gesetzgebungen, Änderungen der Landnutzungsrechte auf Kosten von Kleinbäuerinnen und -bauern, Kriminalisierung des traditionellen, freien Tausches von Samen“, erklärt Studienautorin Melanie Oßberger von FIAN Österreich. „Insgesamt wird dem agroindustriellen Modell Vorschub geleistet, dadurch die Biodiversität reduziert, und so Mangelernährung verstärkt.“

Anhand mehrerer Fallbeispiele zeigt die Studie auf, wie Unternehmen wie Monsanto, Nestle oder Unilever sich unter dem Deckmantel der Bekämpfung von Mangelernährung satte Gewinne auf Kosten der Gesundheit der Betroffenen sichern. In Kenia etwa hat GAIN ein Projekt mit dem dortigen Gesundheitsministerium umgesetzt, das sich zum Ziel gesetzt hatte, 200.000 Kinder zwischen 6 und 23 Monaten vor Nährstoffdefiziten zu schützen. Zum Start wurden 20 Millionen Päckchen mit Nährstoffpulver von DSM, dem größten Nährstoffproduzenten weltweit, verteilt. Teil der großangelegten Marketingkampagne ist der Tür-zu-Tür-Verkauf in Wohngebieten mit sozial schwachen Familien. Der US-Konzern Herbalife beteiligt sich finanziell. Die Strategie, verarbeitete Lebensmittel als „gesund“ zu verkaufen, wird auch in Indien angewandt. Die vom Britannia-Konzern vertriebenen Kekse der Marke Tiger sind mit Vitaminen und Mineralstoffen angereichert. Vor einigen Jahren versuchte die damalige Britannia-Chefin Vinita Bali, das gekochte Mittagessen an Indiens Schulen durch eine Packung angereicherter Kekse zu ersetzen. Die Initiative scheiterte knapp am Widerstand im Parlament und in der Zivilgesellschaft. Heute ist Vinita Bali Vorstandsvorsitzende von GAIN. FIAN kritisiert, dass solche Programme die von Mangelernährung Betroffenen zu EmpfängerInnen von Lebensmitteln macht, statt sie in ihrem Recht zu stärken, ihre Nahrung selbst zu erzeugen. Damit wird ihr Zugang zu und die Verfügbarkeit von Lebensmitteln eingeschränkt und ihre Souveränität beschnitten. Statt selbst die Verantwortung für den Anbau oder den Erwerb von gesunden Lebensmitteln übernehmen zu können, werden sie in eine Bittstellerposition manövriert, aus der sie sich nur schwer wieder befreien können.

Zwar sei es unbestritten, dass angereicherte Lebensmittel bei akuten Hungersnöten und für spezielle Zielgruppen Teil der Lösung im Kampf gegen Mangelernährung sein könne, erklärt die Studienautorin. Eine natürliche, vielfältige Ernährung können sie aber nicht dauerhaft ersetzen. Sobald Ausgabe und Verzehr angereicherter Lebensmittel eingestellt werden, kehren die Leiden laut Oßberger zurück. Mit dem Fokus auf eine technische Lösung würde die Debatte um Hunger und Mangelernährung zudem entpolitisiert. „Die Ursachen von Mangelernährung werden nicht bekämpft. Die Studie zeigt klar: Der Staat kommt seinen menschenrechtlichen Pflichten nicht nach, indem er zulässt und aktiv dazu beiträgt, dass die Anreicherungsallianzen das Menschenrecht auf Nahrung untergraben.“ (ab)

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